| # taz.de -- die wahrheit: Messe der Streikmeister | |
| > Trotz bundesweitem Lokführerstreik wurde die IntaSTRike 2007 pünktlich | |
| > eröffnet. Die europäische Wandermesse für Streikkultur gastiert dieses | |
| > Jahr in Rüsselsheim. | |
| Bild: Auch das beliebte Streik- und Demonstrationsutensil Trillerpfeife wird au… | |
| Kurz vor Eröffnung der IntaSTRike vorgestern Abend in der Rüsselsheimer | |
| Joschka-Fischer-Halle heißt es plötzlich, das Hallenpersonal sei | |
| überraschend in den Ausstand getreten, weswegen die offizielle | |
| Auftaktveranstaltung der Messe - im Beisein immerhin des zweiten | |
| Bürgermeisters und eines evangelischen Arbeitergeistlichen - kurzfristig | |
| abgesagt werden müsse. Tatsächlich hatte da aber nur ein Anonymus den | |
| vermeintlichen Spitzenwitz in die Welt zu setzen versucht, dass | |
| ausgerechnet die Fachmesse für Streikkultur wegen eines Streiks ausfallen | |
| müsse. Hardy Wealth, 34, Sprecher des Dachverbands der Streikmittel | |
| produzierenden Gewerke in Europa, kann über solche Scherzkekse nicht mal | |
| mehr müde lächeln. "Mit deren Jokes haben wir es eigentlich immer zu tun. | |
| Egal wo wir die Messe gerade ausrichten." | |
| Dazu muss man wissen, dass die IntaSTRike eine sogenannte Flying Fair ist, | |
| eine fliegende Messe ohne festen Ausstellungsplatz. "Europäische | |
| Wandermesse", wie Wealth als Übersetzung vorschlägt. "An unseren letzten | |
| Messestandorten streikten jedenfalls auch alle. Ob 2004 im österreichischen | |
| Steinkühlen, 2005 im dänischen Ængelenkefer oder 2006 im polnischen | |
| Bzirzke. Erst streikten die Taxi- oder Busfahrer, dann die Kellner und | |
| Hoteliers, schließlich die Huren. Superwitzig." Der gelernte Gewerkschafter | |
| aus Manchester macht eine abfällige Geste, bevor er sich entschuldigt: Als | |
| Cheffunktionär seines Verbandes habe er jetzt kurz vor der Messeeröffnung | |
| Wichtigeres zu tun, als die Presse über aberwitzige Falschmeldungen zu | |
| informieren; unklar ist allerdings, was. Also schieben wir schnell noch | |
| eine kurze Frage nach: "Der Lokführerstreik momentan in Deutschland " - | |
| "Wie bitte?" Mr. Wealth tut so, als habe er nicht richtig verstanden. | |
| "Sagten Sie Lokführerstreik? Ich würde da eher von einem Streikchen | |
| sprechen. Nicht der Rede wert." Keine weiteren Fragen. | |
| Eine halbe Stunde drauf wird dann die IntaSTRike mit einem gellenden | |
| Trillerpfeifenkonzert eröffnet. Alle Ansprachen erfolgen per extra | |
| schrabbeligem Megafon. Zu futtern gibts wider Erwarten auch was: zwei | |
| dreifingerdick mit Rüsselsheimer Mettworscht belegte Stullen, dazu Senf | |
| satt, wie es ausdrücklich heißt. An flüssiger Nahrung wird pottweise heißer | |
| Früchtetee gereicht, der aber in Wirklichkeit nur lauwarm ist. Der Rest ist | |
| solidarisches Herumstehen um die im ungeheizten Festsaal verstreut | |
| aufgestellten Tonnenfeuer sowie ein gemeinschaftliches Ausbuhen von | |
| plötzlich auftauchenden Streikbrechern, die sich aber als von der | |
| Messeleitung bestellte Mimen eines Offenbacher Statistenverleihs entpuppen. | |
| Da sind sie allerdings schon von einigen bulgarischen Messegästen brutal | |
| zusammengetreten worden, die den "kleinen Spaß" (Hardy Wealth) nicht so | |
| schnell schnallten. | |
| Den Abend lassen wir dann angemessen ungemütlich im "Lafo" ausklingen, | |
| einem provisorischen Streiklokal, das die Mitglieder einer Rüsselsheimer | |
| Hartz-IV-Initiative im Auftrag der gewerkschaftsnahen | |
| Hanns-Böckler-Stiftung in der Tiefgarage der Joschka-Fischer-Halle aus ein | |
| paar ollen Euro-Paletten und LKW-Planen zusammengebosselt haben. Mit | |
| ausdrücklicher Billigung ihrer Arbeitsagenturen, versteht sich. Um die | |
| fleißigen Hartz-Vierer nicht zu düpieren, hängen wir dort bis in die frühen | |
| Morgenstunden ab. Immer wieder wollen sie mit uns die Landtagswahlchancen | |
| der hessischen Linken diskutieren. Öder gehts kaum. Beim Eintreffen dann | |
| morgens im Hotel sagt doch der Portier ganz schnippisch, als wir uns als | |
| Gäste der IntaSTRike zu erkennen geben: "Sorry, aber ich glaube, ich | |
| streike." Um dann aber alsbald "die Situation als witzig gemeint" | |
| aufzulösen. Sein Glück. Um ein Haar hätten wir ihm eine reingesemmelt. | |
| Nach dem Ausschlafen dann gestern Mittag: Abfahrt zur Messe. "Einmal zur | |
| IntaSTRike, bitte." Der Taxifahrer macht allerdings keine Anstalten, | |
| loszufahren, verschränkt bloß grinsend die Arme. Ich streike, soll das wohl | |
| heißen. Doch den faden Zahn können wir dem Scherzkeks schnell ziehen: "Mach | |
| endlich hinne, Witzbold." Und so geschiehts denn auch. Das Trinkgeld aber | |
| ist gestrichen. | |
| Der anschließende Messerundgang ist schnell absolviert. Die 21 Unternehmen | |
| aus 13 Ländern, die sich und ihre Streikmittelerzeugnisse auf der | |
| diesjährigen IntaSTRike präsentieren, zeigen in Rüsselsheim vornehmlich | |
| Altbekanntes. Allein zwölf Firmen sinds, die einen dieser Pappsärge im | |
| Angebot haben, mit denen Streikende auf ihren Demonstrationen alles | |
| Mögliche symbolisch zu Grabe tragen können. Dazu gibt es alle nur | |
| erdenklichen Formen und Sorten an Tröten, Rasseln und Trillerpfeifen zu | |
| sehen. Nicht zu vergessen diese verschiedenfarbigen Plastiktütenüberwürfe, | |
| auf denen "Wir streiken" steht. | |
| Wir nehmen schließlich ein Taxi zum Bahnhof, treffen im Bahnhofsviertel | |
| tatsächlich auf eine Rüsselsheimer Bordsteinschwalbe, die - "tut mir echt | |
| leid, Kollegen" - angeblich gerade in einen unbefristeten Fickstreik | |
| getreten ist. Wir tun so, als müssten wir uns halb schlapp lachen. | |
| 27 Oct 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Fritz Tietz | |
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