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# taz.de -- Hisbollah-Ausstellung in Beirut: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
> Ortstermin im Kriegsmuseum: Rauchende Truppentransporter und nachgebaute
> Unterstände. 14 Monate nach dem Libanonkrieg gibt sich die
> Schiitenorganisation selbstsicher.
Bild: Eine Besuchergruppe betrachtet im Kriegsmuseum ausgestellte erbeutete Hel…
BEIRUT taz Im Innern eines Hisbollah-Unterstands: Misstrauisch beäugt der
Kämpfer in Tarnanzug und Stahlhelm, das Gewehr im Anschlag, durch eine
kleine Lücke im Sandsackwall die feindlichen israelischen Stellungen. Das
Licht ist gedämpft. Ein paar Meter weiter im unterirdischen Operationsraum
studiert ein Kommandeur aufmerksam eine überdimensionale Karte des
Südlibanon. Daneben hat einer der Kämpfer in einem kleinen Aufenthaltsraum
seine Kalaschnikow an den Nagel gehängt und verbeugt sich zum Gebet. An der
Wand hängt ein Bild des Hisbollah Generalsekretärs Hassan Nasrallah. Im
Hintergrund wird vom Band der Koran rezitiert.
Nicht so recht ins Bild passen allerdings die Besucher des militärischen
Unterstands. Ganze Familien promenieren durch die Bunkeranlage und halten
mit ihren Handykameras die wichtigsten Momente des Familienausflugs fest.
Denn wir befinden uns nicht etwa im unterirdischen Labyrinth der neuen
Verteidigungslinie, die die Hisbollah vierzehn Monate nach dem Libanonkrieg
diesmal etwas weiter nördlich der israelischen Grenze heimlich ausgebaut
haben soll. Bei diesem Unterstand plus Kämpfern handelt es sich lediglich
um Attrappen. Sie sind das Kernstück eines anderen Kampfplatzes - der
Propagandafront.
Beit-al-Ankabut - "das Spinnennetz" - nennt die Hisbollah ihre
Kriegsausstellung. Ins Leben gerufen zum ersten Jahrestag des Endes des
Libanonkriegs am 15. August. Woher der Name kommt, das erklärt Abu Ali, ein
ehemaliger Hisbollahkämpfer, der die Besucher durch die bizarre Sammlung
führt. "Unser Generalsekretär Hassan Nasrallah hat in einer Rede einmal
erklärt, dass Israel schwächer als ein Spinnennetz sei, das dem Druck
unseres Widerstands nicht standhält", führt er enthusiastisch aus.
Symbolisch sei auch der Ort der Ausstellung, mitten in der südlichen
Vorstadt Beiruts, der Hochburg der Hisbollah, die im Krieg permanent von
der israelischen Luftwaffe bombardiert worden war. "Wir haben die
Ausstellung dort aufgebaut, wo Israel letztes Jahr ein Exempel statuieren
und uns das Rückgrat brechen wollte", sagt er. "Der Titel und der Ort der
Ausstellung machen die Niederlage der israelischen Armee deutlich", fasst
er zusammen.
Seit der Eröffnung der Ausstellung passierten über 400.000 Besucher das
große Poster am Eingang: "Wir werden Hisbollah in nur drei Tagen
ausradieren" wird der Ausspruch des inzwischen zurückgetretenen
israelischen Stabschefs Dan Halutz zitiert. Siegessicher blickt der zu
Kriegszeiten oberste israelische Militär in Überlebensgröße auf die
Ausstellungsbesucher. Der Rest der Ausstellung ist die hämische
Hisbollah-eigene Antithese dazu. Stolz zeigt sie hier ihre Beutestücke, wie
einen gepanzerten israelischen Truppentransporter, aus dem für die
Ausstellungsdramaturgie alle Viertelstunde eine Rauchschwade aufsteigt.
Eine Familie hat sich zum Gruppenbild vor den Teilen eines abgeschossenen
israelischen Hubschraubers aufgestellt. Was von der Weite wie ein
ferngesteuertes Modellflugzeug aussieht, das von der Decke hängt, erweist
sich bei näherem Hinsehen als eine israelische Aufklärungsdrohne. Ein
kleines unbemanntes Flugzeug mit Kamera, das die Truppenbewegungen der
Hisbollah aufzeichnen sollte. Das Gerät wirkt unversehrt. "Sie wurde nicht
abgeschossen, sondern unsere Hisbollah-Techniker haben sie elektronisch zur
Landung gezwungen", liefert Museumsführer Abu Ali stolz die Erklärung dazu.
Draußen im Vorhof der Ausstellung taucht eine makabere Videoinstallation
auf. Ein nachgebauter Friedhof. Doch statt den eingravierten Namen der
Verstorbenen ist in jedem der ein Dutzend Grabsteine ein Bildschirm
eingelassen. Synchron sind dort im Krieg gefallene Hisbollahkämpfer zu
sehen, die als Märtyrer verehrt, ihr letztes Videotestament verlesen.
Die Besucher geben sich beeindruckt. Sarah Abu Eid sieht mit ihrem
blondierten offen getragenen Haar und ihrer westlichen Kleidung kaum aus,
wie man sich eine stramme Hisbollah-Unterstützerin vorstellt, und sie ist
unter den Besucherinnen kein Einzelfall. "Wenn ich das hier sehe, kann ich
wieder erhobenen Hauptes schreiten", setzt sie an. Hier durchzugehen wühle
sie zwar auf, aber sie sei auch stolz: "Die Hisbollah hat uns beschützt und
ist heute wieder stärker denn je."
Über der ganzen Ausstellung thront, mit farbigen Scheinwerfern bestrahlt,
ein Modell des Raketentyps, mit dem Hisbollah letztes Jahr Haifa beschossen
hat. "Unsere Raketenarsenale sind längst schon wieder aufgefüllt", prahlt
Abu Ali.
Noch modernere Waffentypen sollen hinzugekommen sein. Hassan Nasrallah
hatte in einer Rede zum Jahrestag des Kriegs eine "große Überraschung"
angekündigt, "die das Schicksal der ganzen Region verändern wird", sollte
Israel den Libanon erneut angreifen. Bluff oder Warnung, fragen seitdem
arabische und israelische Zeitungen und spekulieren, ob die Hisbollah von
ihren Sponsoren Iran und Syrien mit neuen Luftabwehrraketen oder gar
chemischen Waffen ausgerüstet wurde. "Nasrallah blufft nie", wird das
israelische Kabinettsmitglied Benjamin Ben-Eliezer dazu in den Medien
zitiert. "Er ist arrogant, das stimmt. Aber bisher hat er leider immer das
gehalten, was er versprochen hat", bringt der israelische Minister seine
Befürchtungen zum Ausdruck.
An der Spitze der Hisbollah blickt man triumphierend zurück und
selbstsicher in die Zukunft. Hussein al-Hajj Hassan, Mitglied des
Politbüros der Partei Gottes sitzt in seinem Büro im Parlamentsgebäude im
Zentrum Beiruts. Etwas weitsichtig beugt er sich tief über ein Papier auf
seinem Schreibtisch und hakt auf seiner "To do"-Liste ein paar Punkte
seines Hisbollah-Tageswerks ab, um sich nach mehreren Telefonaten seinem
Besucher zuzuwenden. "Es ist ganz einfach", beginnt er: "Die Hisbollah hat
gewonnen und Israel hat verloren und damit auch die USA mit ihrem Projekt
des Neuen Nahen Ostens." Die Hisbollah habe ihre militärische Infrastruktur
inzwischen längst wieder aufgebaut. Viel davon habe Israel ohnehin nicht
zerstört, sagt er. "Wir sind jetzt auf allen Ebenen stärker als zuvor und
bereit, den Libanon gegen jede Aggression zu verteidigen."
Auch für unabhängige Beobachter, wie Paul Salem von der Carnegie-Stiftung
für Internationalen Frieden in Beirut bleibt die Hisbollah strategisch
einer der starken Spieler in dieser Region. "Taktisch gesehen hat sie
allerdings ein wenig Boden verloren", schränkt er ein. Sie habe ihre
Stellungen direkt an der israelischen Grenze aufgeben müssen, die nun von
der libanesischen Armee und von UN-Truppen kontrolliert werden. "Diese
Stellungen waren sowohl für die Hisbollah, als auch für deren Verbündete,
Iran und Syrien, wichtig, um darüber jederzeit Druck auf Israel ausüben zu
können", begründet er das. Außerdem habe die Hisbollah ihr Potenzial
eingebüßt, aktiv agieren zu können und zu provozieren, wie damals bei der
Verschleppung zweier israelischer Soldaten im Sommer vergangenen Jahres.
Denn die Basis der Hisbollah, die schiitische Gemeinschaft des Libanons,
habe im Krieg einen sehr hohen sozialen und wirtschaftlichen Preis bezahlt.
"Die Hisbollah kann diese Menschen nicht mehr leichtfertig erneut in einen
Krieg verwickeln", glaubt Salem. Außerdem sei die Hisbollah in die Falle
der hochgradig polarisierten innerlibanesischen Politik getappt. Durch den
nun seit Monaten währenden Streit um die libanesische Regierung, habe die
Organisation nicht nur gut die Hälfte der libanesischen Bevölkerung gegen
sich aufgebracht. Dadurch habe auch ihr Image als Widerstandsheld in der
weiteren arabischen Welt gelitten. Aber Vorsicht, daraus die falschen
Schlüsse zu ziehen, warnt er. "Die Position der Hisbollah hat sich zwar
taktisch ein wenig verändert, strategisch bleibt die Hisbollah eine äußerst
relevante und starke Organisation."
Es sind die regionalen Verwicklungen, die die Unberechenbarkeit der
Hisbollah ausmachen. Selim Hoss, ehemaliger libanesischer
Ministerpräsident, warnt in einem Gespräch mit der taz, dass die Konflikte
der Region noch nie so miteinander verwoben waren wie heute. "Man kann sich
nicht einen amerikanischen oder israelischen Angriff auf Iran vorstellen,
und Syrien bleibt neutral - das Gleiche gilt für die Hisbollah und
andersherum", verdeutlicht er seine These. "Wenn die USA oder Israel in
dieser Region einen weiteren Krieg beginnen, dann wird das sicherlich kein
Spaziergang", mahnt er.
Noch ist das alles nur ein Spiel. "Special Force 2", heißt der neueste
Computerzeitvertreib, den die Software-Designer der Hisbollah pünktlich zum
Jahrestag des Kriegs mit Israel auf den Markt geworfen haben. In den
unzähligen kleinen Internetcafés in Beiruts südlicher Vorstadt kann man
allabendlich die nächste Generation der Hisbollahkämpfer beobachten.
Gruppen von Teenagern und Kindern sitzen vor den Bildschirmen und
versuchen, virtuell so viele israelische Panzer wie möglich abzuschießen.
In moderner Computergrafik sind die hügelige Landschaft des Südlibanon und
die dortigen Dörfer nachgestellt. Der Spieler kann dort vier tatsächlich im
letzten Krieg stattgefundene Hisbollah-Operationen mit viele Geknalle
nachspielen.
In den USA und Israel steht die Hisbollah auf der Liste der
Terrororganisationen, nicht übrigens bei der EU. Den meisten Arabern gilt
sie als Widerstandsorganisation. Für Paul Salem sind das alles zu
vereinfachte und keinesfalls praktikablen Kategorien. Sicher ist, sagt er:
Die Hisbollah wird sich als auch regional bedeutende politische und
militärische Macht nicht einfach in Luft auslösen. Die Hisbollah werde von
vielen als Widerstandsgruppe und als Schutzmacht vor israelischen Angriffen
angesehen, solange es keine Garantie gebe, dass Israel nicht nach Belieben
den Libanon angreift, meint er. Eine Entwaffnung der Hisbollah sei seiner
Meinung nach nur möglich, wenn es regionale Stabilität gebe und die
regionalen Konflikte zwischen den USA, Israel, dem Iran und Syrien
entschärft werden. Dann könnte das militärisches Abschreckungspotenzial von
Hisbollah in die reguläre libanesische Armee integriert werden. "Das bedarf
allerdings eines großen Masterplans und geschieht sicherlich nicht über
Nacht", gesteht er ein. Bis dahin gilt das Prinzip des
Hisbollah-Computerspiels "Special Force 2": Der nächste Krieg ist
vielleicht nur einen Mausklick entfernt.
28 Oct 2007
## AUTOREN
Karim Gawhary
Karim El-Gawhary
## TAGS
Erinnerung
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