# taz.de -- Eskalation zwischen Türken und Kurden: Die gefährliche Wut | |
> Scheiben werden eingeworfen, Geschäfte geplündert. Der Konflikt zwischen | |
> türkischen Militär und Separatisten der kurdischen PKK spaltet die | |
> türkische Gesellschaft. | |
Bild: Die Flagge immer dabei: Türken in Istanbul demonstrieren gegen die PKK. | |
BODRUM/ISTANBUL taz Just dort, wo normalerweise gestresste Istanbuler ihren | |
Urlaubscocktail trinken und Touristen aus England und Deutschland die | |
Jachten im Hafen bestaunen, wogte am Sonntagnachmittag ein rotes | |
Fahnenmeer. Einen Tag vor dem gestrigen Nationalfeiertag war die Empörung | |
über die Anschläge der PKK auch in Bodrum, dem mondänsten türkischen | |
Urlaubsort angekommen. Anlässlich der Beerdigung eines Soldaten, der bei | |
Kämpfen mit der PKK erschossen worden war, schwenkten Tausende am | |
historischen Hafen Türkeifahnen und schrien: "Nieder mit der PKK". Und: | |
"Wir werden unsere Märtyrer nicht vergessen." | |
Dabei ist Bodrum die hedonistische Hochburg ganz im Westen des Landes. Die | |
Küstenstadt liegt nicht nur geografisch am weitesten von den Kämpfen an der | |
irakischen Grenze entfernt. Auch mental hat sie den größten Abstand zur | |
nationalen Hysterie. Der Aufmarsch ist somit ein besorgniserregender | |
Indikator für den Aufruhr, der die Türkei derzeit erfasst hat. Der Zorn und | |
die Wut auf die kurdischen Separatisten der PKK hat mittlerweile alle | |
Gesellschaftsschichten erfasst. Was diese Wut so gefährlich macht, ist | |
nicht nur die daraus resultierende nahezu ungeteilte Unterstützung für | |
einen Einmarsch in den Nordirak, sondern vor allem die latente Spaltung der | |
Gesellschaft. | |
Bei etlichen Vorfällen in den letzten Tagen gingen Türken und Kurden | |
aufeinander los, nur weil sie eben Türken oder Kurden sind. Da wurden | |
Scheiben von Cafés eingeschlagen, weil die Besitzer angeblich oder | |
tatsächlich Kurden sind, ein Geschäft wurde geplündert, eben aus demselben | |
Grund. Hauptziel der Attacken bis jetzt sind aber die Büros der kurdischen | |
Parlamentspartei DTP im Westen des Landes. In Bursa, in den Istanbuler | |
Stadtteilen Pendik, Eminönü und Zeytinburnu wurden DTP-Büros mit | |
Molotow-Cocktails beworfen, Scheiben wurden eingeschlagen und die | |
Einrichtung demoliert. In Ayvalik wurde das DTP-Büro sogar völlig nieder | |
gebrannt. Einige Personen wurden dabei verletzt, glücklicherweise nicht | |
lebensgefährlich. | |
Die Stimmung im Land ist hochexplosiv. In Mugla - wie Bodrum im Südwesten | |
des Landes gelegen - hatten am Sonntag zwei Drogenabhängige einen Teenager | |
überfallen und beraubt. Prompt machte das Gerücht die Runde, Kurden hätten | |
den Jungen überfallen. Spontan kam es daraufhin in der eigentlich für ihre | |
Liberalität bekannten Stadt zu Ausschreitungen gegen Kaffeehäuser, die als | |
kurdische Treffs gelten. | |
Auf der anderen Seite explodierte bei einem Anti-PKK-Aufmarsch am | |
Wochenende in Kocaeli eine Bombe. Etliche Menschen wurden verletzt, auch | |
dort nicht lebensgefährlich. | |
Zusätzlich angeheizt wurde die Atmosphäre durch den 84. Tag der Republik am | |
Montag. Wo schon zu normalen Zeiten allerorts Aufmärsche stattfinden und | |
Fahnen geschwenkt werden, ertrinkt das Land dieses Jahr förmlich im | |
Fahnenpatriotismus. Noch das letzte Klohäuschen ist mit Halbmond und Stern | |
behängt, allein in den letzten fünf Tagen, meldete die Zeitung Hürriyet am | |
Montag, wurden fünf Millionen türkische Flaggen verkauft. | |
Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der zuletzt mit scharfen Sprüchen an die | |
Adresse der USA den Konflikt noch weiter angeheizt hatte, versuchte am | |
Montag zumindest nach innen hin dämpfend zu wirken. Man dürfe den | |
Zusammenhalt der Gesellschaft nicht durch die PKK zerstören lassen. | |
Präsident Abdullah Gül erinnerte in seiner Rede zum Nationalfeiertag daran, | |
dass in der Türkei und davor im Osmanischen Reich über Jahrhunderte | |
verschiedene Ethnien friedlich zusammengelebt hätten. "Das", so Gül, "macht | |
den Reichtum des Landes aus." | |
Im Moment stellt sich die Frage, ob diese Erkenntnis nicht zu spät kommt. | |
In den letzten Jahrzehnten war sie stets mit der Parole "Wir sind alle | |
Türken" bekämpft worden war. Paradoxerweise heizt selbst das Eingeständnis, | |
dass die Türkei durchaus nicht nur von ethnischen Türken bevölkert ist und | |
dass es nicht nur um Terrorismusbekämpfung geht, sondern auch um die Lösung | |
der kurdischen Frage, den Konflikt an. In den 90er-Jahren hatte auch zu den | |
Hochzeiten der Kämpfe mit der PKK in der türkischen Bevölkerung immer die | |
Parole gegriffen, es ginge nicht um ein kurdisches Problem, sondern um ein | |
Terrorismusproblem. So falsch diese Propaganda auch war, sie trug dazu bei, | |
dass der normale Türke die PKK nicht mit den Kurden gleichsetzte. Das ist | |
nun anders. Nach mehreren Jahren aufgeregter Debatte um die Kurdenfrage | |
werden die Kurden nun für die Anschläge der PKK in Haftung genommen. | |
Zumindest sollen sie sich von der PKK öffentlich distanzieren. | |
Das verweigert die DTP-Fraktion im Parlament. Das ist vordergründig der | |
Anlass, warum ihre Büros nun gezielt von Grauen Wölfen und anderen | |
nationalistischen Organisationen angegriffen werden. Am Wochenende setzte | |
die DTP-Politikerin Leyla Zana noch eins drauf. Sie gehört zwar nicht zur | |
Parlamentsfraktion, ist aber immer noch eine ihrer prominentesten Figuren | |
der DTP. Zana forderte, dass der PKK-Führer Abdullah Öcalan, der in einem | |
Sondergefängnis auf der Insel Imrali in Haft sitzt, in ein leichter | |
zugängliches Gefängnis verlegt wird, damit er "den Kontakt zu seinem Volk | |
wieder aufnehmen kann". Das ist Wasser auf die Mühlen der Nationalisten und | |
verstärkt das falsche Bild, die Kurden würden doch alle mit der PKK | |
sympathisieren. | |
30 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Istanbul | |
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