# taz.de -- Gewalt zwischen Kurden und Türken: "Wir wollen keinen Bürgerkrieg" | |
> Teilnehmer einer türkischen Kundgebung greifen in Berlin Kurden an. Der | |
> Konflikt ist aus dem Nordirak auf Berlin übergeschwappt, sagt die | |
> Verfassungsschutzchefin. | |
Bild: Szene der Demo in Berlin am Sonntag. | |
BERLIN taz Türkische Haushalte in Deutschland sind schon von weitem leicht | |
zu erkennen: an den Satellitenschüsseln an Fenstern und Balkonen. Am | |
"Zentrum Kreuzberg", dem großen Betonklotz aus den 70er-Jahren am | |
Kottbusser Tor, gibt es kaum einen Balkon ohne. An manchem hat sich in den | |
vergangenen Tagen ein eindeutigeres Erkennungsmerkmal hinzugesellt: die | |
türkische Nationalfahne. | |
"Wir wollen damit zeigen, dass wir hinter unseren Soldaten stehen", sagt | |
Zübeyde Selim*: "Auch wenn wir weit weg sind. Es sind unsere Freunde und | |
Verwandten, die in der Türkei von der Terroristen ermordet werden." Gegen | |
Kurden habe sie nichts, sagt die 34-jährige Türkin, die in Deutschland | |
geboren ist. "Aber die da drüben" - sie zeigt in Richtung eines kurdischen | |
Moscheevereins - seien doch selbst Terroristen. | |
Genauso sahen das die rund 200 meist jugendlichen Demonstranten, die am | |
Sonntagnachmittag vor dem Vereinslokal aufliefen. Viele von ihnen hatten | |
zuvor an einer Kundgebung in Berlin-Neukölln teilgenommen, zu der ein | |
Verein namens "Berliner Janitscharen" aufgerufen hatte. Dass es statt der | |
angemeldeten 400 Teilnehmer 1.000 bis 2.000 wurden, kam für alle | |
überraschend - für die Veranstalter wie für die Polizei. "Einheit und | |
Brüderlichkeit zwischen Türken und Kurden" lautete das Motto der | |
Kundgebung, am Ende standen Hass und Gewalt. Hunderte nationalistische | |
Türken, darunter viele Sympathisanten der rechtsextremen Grauen Wölfe, | |
liefen nach Kreuzberg. Sie machten "Jagd auf Kurden", wie die | |
Polizeigewerkschaft es formuliert, zerstörten die Fensterscheiben eines | |
kurdischen Imbisses und warfen Steine und Flaschen auf die 500 Polizisten, | |
die am Ende den Mob gerade noch stoppen konnte. Auch in Köln, Heilbronn und | |
Dortmund kam es zu Ausschreitungen. | |
"Das waren nicht nur Demonstranten, die uns angegriffen haben", sagt | |
Ibrahim Yurtsever*. Er sitzt in der Teestube des kurdischen Moscheevereins, | |
im Hintergrund läuft der kurdische Fernsehsender Roj TV, der aus Kopenhagen | |
in die Türkei und nach Westeuropa sendet. An der Wand hängt eine Karte, die | |
alle von Kurden bewohnten Gebiete zu einem Land zusammenfasst. | |
"Viele Jungs aus dem Viertel haben sich den Demonstranten angeschlossen. | |
Die meisten, die uns attackiert haben, kennen wir", erzählt Yurtsever. Mit | |
seinem Parka, dem dichten Vollbart und dem zackigen Tonfall wirkt er wie | |
ein Guerillakommandant. Sein Freund Haydar Cemgil*, ein stämmiger Mann um | |
die 50, ist wütend auf die Polizei: Die hätte es unterbinden müssen, dass | |
die "Faschisten" vor dem Vereinslokal auflaufen, sagt Cemgil. "Wenn uns die | |
Polizei nicht schützt, müssen wir das selbst tun." Als er merkt, dass dies | |
wie eine Drohung klingt, fügt er hinzu: "Wir versuchen unsere Jugendlichen | |
zu beruhigen. Wir wollen keinen Bürgerkrieg." Aber wer angegriffen werde, | |
müsse sich verteidigen. | |
Denselben Satz hört man ein paar Meter weiter, im Vereinslokal von | |
Türkiyemspor, nur werden hier Angreifer und Verteidiger entgegensetzt | |
verortet. Auf dem Tisch von Mesut Sert* und Yavuz Kartal liegen türkische | |
Zeitungen. "Letzte Warnung an Barzani", lautet die Schlagzeile der | |
Hürriyet, die auch an diesem Tag wieder von Fahnen nur so strotzt. Mehr als | |
ein paar Rangeleien seien nicht passiert, meint Sert. Und die hätten | |
PKK-Leute provoziert. Aber "ausländische Medien" und andere "interessierte | |
Kreise" würden einen Bruderkampf herbeireden wollen. Und die Übergriffe auf | |
kurdische Geschäfte und Büros in der Türkei? "Wenn man bedenkt, dass jeden | |
Tag unsere Soldaten sterben, ist das gar nichts." | |
Ganz anders sieht das Mehmet*. Allein der Umstand, dass Anhänger der Grauen | |
Wölfe am Kottbusser Tor demonstrieren konnten, findet er besorgniserregend. | |
"Das hätten die sich früher nicht getraut." Der 40-jährige Türke war früher | |
bei einer linken Gruppe organisiert. Kreuzberg sei eine Hochburg der Linken | |
und Kurden gewesen. Doch die türkische Linke existiere nicht mehr. Viele | |
ehemalige Linke seien inzwischen nationalistisch. Das zeige schon, dass es | |
nicht nur um einen Konflikt zwischen dem Staat und der PKK gehe, sondern | |
mehr und mehr um einen zwischen Türken und Kurden. | |
"Der Konflikt im Grenzgebiet zum Irak ist auf Berlin übergeschnappt", | |
konstatiert die Präsidentin des Berliner Verfassungsschutz, Claudia Schmid. | |
Wenigstens darin dürften ihr alle zustimmen. Türken und Kurden. | |
*Namen geändert | |
29 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
Wolf Schmidt | |
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