# taz.de -- Ausnahmezustand in Pakistan: Staatsstreich Nummer 2 | |
> Pakistans Militärchef und Präsident Musharraf setzt die Verfassung außer | |
> Kraft, legt die Wahlen auf Eis und lässt 500 Oppositionelle und Kritiker | |
> verhaften. | |
Bild: Bürgerrechtler werden nach Protesten gegen den Ausnahmezustand in Islama… | |
DEHLI taz Der pakistanische Militärchef Präsident Pervez Musharraf hat am | |
Samstag das Notrecht über sein Land verhängt und die Verfassung | |
suspendiert. Die Sender der privaten Fernsehkanäle wurden abgestellt und | |
Telefonleitungen in der Hauptstadt Islamabad gekappt. Soldaten gingen rund | |
um das Gebäude des Obersten Gerichts in Stellung. Gerichtspräsident | |
Iftikhar Chaudhry wurde abgesetzt und unter Hausarrest gestellt. Kurz vor | |
Mitternacht wurde ein Nachfolger Chaudhrys vereidigt und mit ihm weitere | |
fünf Richter. Die übrigen elf Richter sollen sich geweigert haben, den | |
Amtseid abzulegen. Der Präsident der Anwaltskammer und weitere | |
Rechtsanwälte wurden aus ihren Wohnungen geholt und verhaftet. | |
"Leider ist alles auf Eis gelegt", sagte der stellvertretende | |
Informationsminister Tariq Azeem gestern auf die Frage nach der | |
Parlamentswahl, die für Anfang nächsten Jahres geplant war. "Ich hoffe | |
noch, dass die Wahl in kurzer Zeit stattfinden kann, aber ich kann Ihnen | |
kein genaues Datum nennen." Nach der bisherigen Planung sollte das jetzige | |
Abgeordnetenhaus am 15. November aufgelöst werden, für die Neuwahl war ein | |
Termin im Januar im Gespräch. | |
Noch am Samstagabend traten eine Reihe von Sonderdekreten in Kraft, | |
darunter das Verbot politischer Versammlungen sowie ein Verhaltenskodex für | |
die Medien. Danach ist es verboten, Regierung oder Armee zu "diffamieren", | |
über Suizidattentate zu berichten und Bilder von Terroristen oder | |
Islamisten zu veröffentlichen. Am Sonntag kam es namentlich in Lahore zu | |
zahlreichen Verhaftungen von Regimegegnern. Nach offiziellen Angaben sind | |
seit Samstag bis zu 500 Menschen festgenommen worden. Unter ihnen sind der | |
Vorsitzende der Pakistanischen Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, und | |
Hamid Gul, der ehemalige Chef des wichtigsten Geheimdienstes. Rund 70 | |
Menschenrechtsaktivisten, darunter Ärzte, Architekten, Künstler und | |
Anwälte, die sich im Büro der "Pakistan Human Rights Commission" versammelt | |
hatten, wurden in Haft genommen, und das Büro wurde versiegelt. | |
Journalisten, die die Polizeiaktion verfolgten, wurden mit Stockhieben | |
vertrieben. Der Anwaltsverband rief für Montag zu Straßenprotesten im | |
ganzen Land auf. | |
General Musharraf rechtfertigte in einer TV-Ansprache die Verhängung des | |
Notrechts damit, Pakistan "stehe am Rand der Destabilisierung". Er sprach | |
von einer "zunehmenden Lähmung der Regierung durch Extremismus und die | |
Eigenmächtigkeit der pakistanischen Justiz". Im Verfassungsdekret stand, | |
dass die "wachsende Einmischung" der Justiz die Polizei "völlig | |
demoralisiert" habe, was sie unfähig mache, den Terrorismus zu bekämpfen. | |
Das Oberste Gericht habe legislative und exekutive Funktionen übernommen | |
und dieser Erosion der Dreiteilung der Gewalten hätte ein Ende gesetzt | |
werden müssen. | |
Die Politikerin Benazir Bhutto kehrte noch am Samstagabend nach Pakistan | |
zurück - nur zwei Tage nachdem sie überraschend nach Dubai geflogen war. | |
Bei ihrer Ankunft nannte sie die Einführung des "Kriegsrechts" den | |
"schwärzesten Tag in der Geschichte des Landes". Sie kündigte Gespräche mit | |
anderen Parteien an, um für die Wiederherstellung der Demokratie zu | |
kämpfen. Auch der frühere Regierungschef Nawaz Sharif sprach von der | |
Notwendigkeit aller demokratischen Kräfte, sich zusammenzuschließen. | |
Bei einer Pressekonferenz am Sonntag sprach Premierminister Shaukat Aziz | |
von der "Möglichkeit", die für Januar geplanten Wahlen "temporär | |
auszusetzen". Damit ist auch die Kooperation zwischen Bhutto und Musharraf | |
beendet, noch bevor sie richtig begonnen hat. Es wird erwartet, dass | |
Musharraf auch nicht, wie versprochen, seine Uniform Mitte November an den | |
Nagel hängen wird. Die USA hatten die Annäherung zwischen beiden Politikern | |
im Hinblick auf baldige Wahlen in die Wege geleitet. US-Außenministerin | |
Condoleezza Rice bezeichnete den Ausnahmezustand als "äußerst bedauerlich". | |
Die Zeitung Dawn bezeichnete Musharrafs Vorgehen als "zweiten Putsch", der | |
schärfer sei als jener im Oktober 1999. Beim ersten Staatsstreich habe | |
Musharraf die Unabhängigkeit der Justiz und die Pressefreiheit noch | |
respektiert, diesmal sei sie als Erstes geopfert worden. Auch andere | |
Kommentatoren sehen im raschen Vorgehen gegen das Oberste Gericht den | |
Beweis, dass es ihm nicht um die Bekämpfung des Terrorismus geht, sondern | |
darum, seine Haut zu retten. Am Dienstag sollte das Gericht sein Urteil | |
darüber abgeben, ob die kürzliche Wiederwahl Musharrafs verfassungskonform | |
war. | |
5 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Bernard Imhasly | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
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