# taz.de -- Normalzeit: HELMUT HÖGE über Verstaatlichungen | |
> "Im Mittelpunkt steht der Mensch, aber genau da steht er im Weg." (Daniel | |
> Goeudevert, ehemaliger VW-Vorständler) | |
Bild: Das letzte Volkseigentum: Einwegfeuerzeuge | |
Demnächst wird es wieder ABM-Stellen hageln - 10.000 allein im "öffentlich | |
geförderten Beschäftigungssektor" Berlins. Sie heißen denn auch ÖBS-Jobs | |
und sind auf zwei Jahre befristet. Schon treten die ersten Kritiker auf den | |
Plan, unter anderem die Neoliberalen vom Deutschen Institut für Wirtschaft: | |
"Man holt sich damit ein Stück DDR zurück. Hauptsache, die Leute haben | |
Arbeit, ob sie sinnvoll ist oder nicht." | |
In jedem DIW-Satz steckt eine Sauerei: ÖBS ist DDR. Und in der DDR musste | |
man malochen, egal was und wozu. Dieser reaktionäre antikommunistische | |
Schwachsinn ist eine Neuauflage der Umdeutung der alten | |
DDR-Brigadegemütlichkeit durch die unselige Treuhandchefin Birgit Breuel, | |
die von "versteckter Arbeitslosigkeit" sprach - so als ob die von ihr | |
verfügten Massenentlassungen, "Großflugtage" in der Treuhand genannt, nur | |
das ans Licht zerrten, was die DDR verbockt hatte, also letztlich | |
aufklärerisch waren. Die DDR musste aber keine Arbeiter verstecken, sondern | |
hat im Gegenteil händeringend laufend welche im befreundeten Ausland | |
gesucht. Und dann ist dieser Arbeiter- und Bauernstaat auch nicht an zu | |
viel Unfreiheit zugrunde gegangen, sondern im Gegenteil an zu viel Freiheit | |
- im Produktionsbereich nämlich. Sie war zu unproduktiv gegenüber dem | |
Westen. | |
So erzählte mir zum Beispiel der Betriebsratsvorsitzende des Eisenacher | |
Opel-Werks, Harald Lieske, dass in seiner Instandsetzungsabteilung im | |
früheren Automobilwerk Eisenach bis zu zehn Leute beschäftigt waren, obwohl | |
nur für drei Arbeit da war. Der Betriebsrat des abgewickelten Berliner | |
Glühlampenwerks Rainer Rubbel erinnerte daran, dass erst mit der Einführung | |
des kapitalistischen Schweinesystems 1990, als man die "leistungsschwachen" | |
Leute entließ und nur die "Besten" blieben, Stückzahlen erreicht wurden, | |
"die wir sonst nie hatten". Die Arbeiter durften sich im Sozialismus | |
einiges erlauben! | |
Heiner Müller pries sogar die Unfreundlichkeit der DDR-Kellnerinnen als | |
echte "sozialistische Errungenschaft". Und wenn es nicht genug Personal | |
gab, wurde einfach der Produktionsprozess reduziert. Der letzte | |
DDR-Handelsminister Manfred Flegel erzählte mir 1990: "Da es an | |
Konkurrenzprodukten fehlte, wurde die Mengensteigerung oft durch | |
Verschlechterung der Qualität erreicht, indem man zum Beispiel ganze | |
Arbeitsgänge weggelassen oder sich einfach allen Innovationen gegenüber | |
verschlossen hat. Etwa bei 'Stern-Radio', die haben einen Rückstand von | |
acht bis zwölf Jahren zum internationalen Niveau" - das bedeutet auch zur | |
internationalen Druckstärke auf die Produktionsrationalität. | |
Langer Rede kurzer Sinn: ÖBS hat mit der DDR nichts zu tun, wohl aber mit | |
der Dritten Elektronischen Revolution, in deren Folge immer mehr | |
Arbeitsplätze wegfallen oder verlagert werden. Schon 1953 hat Kurt Vonnegut | |
in seinem Buch "Player Piano" beschrieben, wie Staat und Kapital darauf | |
reagieren. Die vom Produktionsprozess freigesetzten Menschenmassen sind | |
überflüssig. Sie haben nur noch die Wahl zwischen 1-Dollar-Jobs in Kommunen | |
und Militärdienst im Ausland, wobei sich beides nicht groß unterscheidet. | |
Theoretisch könnten sie sich auch selbstständig machen und schließlich | |
"Ich-AGs" gründen, wie das 1997 in Wisconsin entwickelte "Trial Job"-Modell | |
nach Übernahme durch die rot-grüne Bundesregierung hierzulande heißt: | |
"Reparaturwerkstätten, klar! Ich wollte eine aufmachen, als ich arbeitslos | |
geworden bin. Joe, Sam und Alf auch. Wir haben alle geschickte Hände, also | |
lasst uns alle gemeinsam eine Reparaturwerkstatt aufmachen. Für jedes | |
defekte Gerät in Ilium ein eigener Mechaniker. Gleichzeitig sahnen unsere | |
Frauen auch noch als Schneiderinnen ab - für jede Einwohnerin eine eigene | |
Schneiderin " | |
Da das nicht geht, bleibt es dabei: Die Massen werden scheinbeschäftigt und | |
sozial immer schlechter endversorgt, während die staatlichen und privaten | |
Sicherheitsmaßnahmen zunehmen sowie drinnen Rauchen, draußen Saufen und | |
ähnliche Eigenmächtigkeiten verboten werden. | |
6 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
## TAGS | |
Kolumne Wirtschaftsweisen | |
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