| # taz.de -- Berliner Adventskalender: Maybachufer 3 | |
| > Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahinter steckt, wissen nur wenige. | |
| > Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man jeden Tag eine nummerierte | |
| > Tür öffnen - und sich überraschen lassen. | |
| Wo sonst nur Hunde geschoren werden, sitzt heute ein verfilzter Perserkater | |
| auf dem Friseurtisch. Die Hundefriseurin Christel Balfanz im rosa Kittel | |
| schimpft: "Ein kahlrasierter Perserkater sieht potthäßlich aus, das mach | |
| ich nicht." Die junge Katzenbesitzerin besteht auf der Kahlrasur. "Die | |
| langen Haare verfilzen immer", erklärt sie. "Du kannst dir doch keinen | |
| Perser anschaffen, wenn du ihn nicht kämmst", sagt Christel Balfanz. Sie | |
| einigen sich darauf, das Fell mit der Schere um die Hälfte zu kürzen. | |
| "Egoistin", grummelt die Friseurin mit rauer Stimme. | |
| Katzen sind im Hundesalon Exquisit am Neuköllner Maybachufer selten. Ebenso | |
| Pudel, die gefärbt und frisiert werden sollen. Auf den Frisiertischen | |
| landen meist langhaarige Hunde, deren Besitzer eine Kahlrasur bevorzugen. | |
| "Hunde müssen schon mal geschnitten werden, aber viele sind nur zu faul, | |
| sie richtig zu pflegen", beklagt sich die 58-Jährige. | |
| Christel Balfanz arbeitet schon 40 Jahre am Maybachufer 3, 1971 hat sie den | |
| Salon übernommen. Die Einrichtung erinnert an die 60er Jahre. Im Vorraum | |
| steht auf einer großen Glastheke eine alte Kasse mit Kurbel. Die | |
| holzvertäfelten Wände sind mit vergilbten Schwarz-Weiß-Fotos von Terriern | |
| zuplakatiert; übrigens die Lieblingsrasse der Hundenärrin. Kindernasen | |
| kleben oft an der Scheibe des Schaufensters, in dem drei traurig | |
| dreinblickende Hundeplastiken sitzen. | |
| Im neonbeleuchteten Hinterzimmer warten Karlchen und Rowdy. | |
| Reinigungsmittel beißt in der Nase, es riecht nach nassem Hundefell - der | |
| Cocker Spaniel Rowdy ist schon gebadet und zittert. "Der ist so alt und | |
| dick, seine Muskeln machen nicht mehr mit", erklärt die Hundefriseurin und | |
| zündet sich eine Zigarette an. Eigentlich darf die schmächtige Frau mit dem | |
| leicht gebeugten Rücken nicht mehr rauchen. Seit einer schweren | |
| Lungenentzündung und einem Herzinfarkt geht ihr die Arbeit nur noch langsam | |
| von der Hand. Weil sie die Hunde nicht mehr allein aus der Wanne heben | |
| kann, hat sie jetzt Juliane, eine junge Russin, angestellt. | |
| Die Tür läutet. Angelika Wieruch will Karlchen abholen. Seit 40 Jahren | |
| kommt sie hierher, inzwischen mit ihrem viertem Hund. Karlchen ist ein | |
| tibetischer Shih-Tzu und auch sein langes Haar kommt ab. "Ick sach mal, es | |
| ist ja in Tibet viel kälter als hier. Hier schwitzt er nur", erklärt die | |
| Friseurin, die ihre Sätze gern mit "Ick sach mal" anfängt. | |
| Zwölf Hunde haben Christel Balfanz durchs Leben begleitet; für einen Mann | |
| sei da kein Platz gewesen. "Da hat sich keiner gefunden, bei dem sich der | |
| Stress gelohnt hätte." Vor zwei Jahren ist ihr letzter Hund gestorben, | |
| jetzt sind ihr die auf dem Friseurtisch genug. Zu wenig Zeit und zu wenig | |
| Geld. | |
| Das Telefon klingelt. "Hundesalon, guten Tag... Ja, könn'se in ner Stunde | |
| bringen". Sie setzt die Brille auf, die an einer goldenen Plastikkordel um | |
| ihren Hals hängt, und zieht eine Karte aus der Kundenkartei "Letztes Mal | |
| waren es 46 Hhm, wieviel ham'se denn? Na sagen wir 35 Bis gleich." "Auch | |
| so'n armes Schwein", sagt sie, als sie aufgelegt hat. Die meisten ihrer | |
| Kunden haben kaum Geld, der Preis ist Verhandlungssache. Zwischen 30 und 50 | |
| Euro verdient sie pro Hund, etwa vier bis fünf schafft sie am Tag, aber oft | |
| kommen gar nicht so viele. An Aufhören ist dennoch nicht zu denken, das | |
| Geld reicht nicht für die Rente. Und ein Leben ohne den Salon könnte sie | |
| sich auch noch nicht vorstellen. | |
| 3 Dec 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Kathleen Fietz | |
| ## TAGS | |
| Neukölln | |
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