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# taz.de -- In mystischem Halbdunkel: Götter, ganz nah
> Im indischen Spiti-Tal, wo der Dalai Lama seine letzte Ruhestätte finden
> wird, hat sich das Wissen um Tibets Tradition erhalten. Noch.
Bild: Kloster Ki, Spiti-Tal
Der Cassettenrecorder leiert Hindi-Popsongs, während sich der Lkw langsam
die Serpentinen hinaufarbeitet. Ganesch summt mit und freut sich über die
ungewöhnliche Gesellschaft: Heute hat er neben seiner üblichen Holzladung
zwei Europäer an Bord, die den frühmorgendlichen Bus nach Kaza verpasst
haben. Jeden Tag fährt er diese Strecke, am frühen Morgen von Manali über
das Gebirge und am nächsten Tag wieder zurück. Der Brennholzverkauf ist ein
gutes Geschäft in der nahezu baumlosen Hochgebirgswüste. Wenn Mitte Oktober
der erste Schnee auf dem 4.550 Meter hohen Kunzum-Pass fällt, ist Spiti bis
Juni vom restlichen Indien abgeschnitten. „Dann gibt es jeden Tag
Kartoffeln und Bohnen und manchmal eingelegtes Gemüse“, erklärt Ganesh.
„Das Holz wird zum Kochen gebraucht - zum Heizen und für warmes Wasser
fehlt das Geld.“ Im Verwaltungsstädtchen Kaza, der einzigen nennenswerten
Ansiedlung in der Region, setzt Ganesch uns ab.
Spiti war bis 1991 für Ausländer gesperrt, und auch heute kommt nur selten
ein Tourist in diese abgelegene Berggegend. Umschlossen von 6.000ern ist
das Spiti-Tal eine der eindrucksvollsten, aber auch am schwersten
zugänglichen Regionen des indischen Himalaja. Über 150 Kilometer fließt der
Fluss Spiti durch gigantische ockerfarbene Felsarenen bis zur tibetischen
Grenze. Er windet sich entlang schneebedeckten Gipfeln, vorbei an Dörfern
aus Lehm und Bruchstein, winzig erscheinende Vorposten der Menschheit
inmitten einer überwältigenden Naturkulisse. „Hier müssen die Götter leben
- dies ist kein Platz für Menschen“, notierte Literaturnobelpreisträger
Rudyard Kipling, bei einem Besuch.
Das Gefühl, den Göttern besonders nahe zu sein, hat schon vor über tausend
Jahren Pilger und Mönche nach Spiti gezogen, das damals zum tibetischen
Königreich Guge gehörte. Entlang den Pilgerrouten wurden viele
buddhistische Klöster errichtet. Sie sind die kulturellen Zentren der
kargen Gebirgswüste. Das Gebiet fiel an Indien, wodurch das reiche
kulturelle Erbe vor der Zerstörung durch die chinesische Volksarmee bewahrt
blieb. Hier, in der Abgeschiedenheit der Berge, sind die tibetischen
Traditionen noch lebendig. Die Bewohner sind buddhistischen Glaubens,
feiern die traditionellen Feste, und in den Straßen von Kaza wird tibetisch
gesprochen.
Die kleinen lokalen Restaurants servieren Momos (Teigtaschen), Thugkpa
(Nudelsuppe) oder Kiju, einen Eintopf aus Nudeln und Gemüse. 14 km von Kaza
entfernt, in 4.116 m Höhe, liegt das Kloster Ki, das größte in Spiti.
Ganesch hat angeboten, uns auf dem Rückweg bis hierhin mitzunehmen. Die
Straße führt durch Felder, deren grüne und schwarze Furchen sich wie
bizarre Patchworkmuster vom ockerfarbenen Grund des Tals abheben.
Dazwischen glitzern Pappeln golden im Wind. Ein paar Frauen waschen
Betttücher im eiskalten Flusswasser. Im Dunst taucht auf der anderen Seite
des Flusses die Silhouette eines Dorfes auf. Schließlich kommen die weiß
getünchten Klostergebäude in Sicht, die sich einen steilen, konischen Hügel
hinaufziehen.
Der einfache Mönch in safranfarbener Robe, der uns am Tor begrüßt, entpuppt
sich als Vorsteher des Klosters. Er zeigt uns die wertvolle Sammlung alter
Thangkas, die in symbolischen Darstellungen den buddhistischen Kosmos und
den Weg zur Erlösung zeigen. Dreimal täglich, erklärt uns der Lama, ertönt
ein auf einer Muschel geblasenes Signal, das die 250 Mönche, die hier
leben, zum Essen ruft. Einige Kilometer flussabwärts thront das
Dhankar-Kloster auf einer Felswand, die zum Fluss hin 600 m steil abfällt.
Neben dem Eingangstor pflügt ein Bauer mit seinem Yak und einem einfachen
Pflug ein Feld. Davor steht eine Gruppe kleiner Kinder mit von der Sonne
verkrusteter Haut, struppigen Haaren und laufenden Nasen. Sie beäugen uns
zunächst kritisch, holen dann aber einen Mönch, der uns die Tür öffnet und
das alte Kloster zeigt.
Im Inneren herrscht mystisches Halbdunkel - besonders in der Bibliothek, wo
hunderte von Schriftrollen nur von Kerzenschein beleuchtet lagern. Eine
Treppe führt auf das Dach des Klosters. Von hier aus hat man einen weiten
Blick über das Spiti- Tal und die verschneiten Berggipfel, eingerahmt von
bunt im Wind flatternden Gebetsfahnen.
Im Untergeschoss des Klosters wurde mit viel Liebe ein kleines Museum
eingerichtet, das die Lebensweise der Bewohner in den vergangenen
Jahrhunderten zeigt. Viel, so scheint es, hat sich hier seitdem nicht
verändert. Der letzte Ort vor der tibetischen Grenze ist Tabo, zwei
Wegstunden von Kaza entfernt. Anders als die festungsähnlichen Berg-Gompas
von Ki und Dhankar liegt das hiesige Kloster in der Talsohle inmitten eines
kleinen Dorfes. Tabo, im Jahre 996 erbaut, gilt als eines der wichtigsten
tibetischen Klöster der Welt. In der Versammlungshalle sind 33
überlebensgroße Boddhisattva-Statuen in Form eines riesigen begehbaren
Mandalas angeordnet, die Wände sind mit feinen Malereien und Mustern
verziert. Die Statuen mit den unterschiedlichen rituellen Körperhaltungen,
die Stille und die warmen Farben, die die Jahrhunderte überdauert haben,
strahlen meditative Ruhe aus.
Weniger still geht es dagegen auf dem Vorplatz des Klosters zu. Aus allen
Richtungen strömen Menschen in traditioneller Kleidung zusammen: Heute
findet der jährliche Festtag des Klosters statt. Trommeln, Zimbeln und
meterlange Hörner dröhnen, dazu werden Maskentänze aufgeführt. Die Tänzer
mit Tier- und Geistermasken folgen einer genauen Choreografie, doch
gelegentliche Ungenauigkeiten sind nicht zu übersehen. „Das Wissen um diese
Tänze geht langsam verloren“, meint eine einheimische Zuschauerin. „Sie
haben eine große symbolische Bedeutung - aber wir kennen sie kaum noch.
Fast niemand ist mehr in der Lage, die Tänze korrekt auszuführen,
geschweige denn diese zu lehren.“ Wenn in Spiti das geistige Erbe der
Tibeter in Vergessenheit gerät, wird ein weiteres wichtiges Stück Tibets
zerstört sein.
Ein Lichtblick könnte das vom Dalai Lama geförderte Institut in Dharamsala
sein, das sich mit der Erhaltung der tibetischen Musik, der Tänze und der
Kostümschneiderkunst befasst. Überhaupt hat der Ort eine besondere
Beziehung zum Dalai Lama: Seine letzte Ruhestätte wird hier in der
Abgeschiedenheit Spitis sein, wo die Götter Tibets trotz alldem noch
lebendig sind.
11 Mar 2006
## AUTOREN
Falko von Amel
## TAGS
Reiseland Indien
Dalai Lama
Wandern
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