# taz.de -- Britney Spears wird interessant: Keine Kompromisse mehr! | |
> Britney Spears ist der wichtigste Star des vergangenen Jahres. Mit ihren | |
> Verpeilungen hat sie sich in eine ganz neue Liga katapultiert - die der | |
> interessanten Frauen. | |
Bild: Konsequentes Scheitern: Britney Spears im Oktober in Los Angeles | |
Tief fallen kann sie gut. Das Jahr 2007 war das bislang skandal- und | |
schlagzeilenträchtigste für das junge Ding aus Kentwood, Lousiana, dem | |
"Dairy Capital of the South". Britney Spears ist in den letzten 12 Monaten | |
- popstarimagemäßig - ganz unten angekommen. Und ist damit - denn nun gilt | |
the only way is up - mit ihrer Vorzeigekarriere in einer anderen Liga | |
angekommen: Britney ist nicht länger das Dreamgirl der Massen, das | |
erwachsen gewordene Popprinzesschen, die Anwärterin auf Madonnas mit | |
Ehrgeiz, Fleiß und Schweiß zusammengekneteten Thron. Sondern eine | |
Aussteigerin. Eine Studienabbrecherin. Eine wirklich interessante Frau. | |
Während Privat- und Berufsleben einstürzten, ist aus dem Kunstgeschöpf eine | |
durch seine Dramatik tatsächlich ernst zu nehmende dunkle Königin geworden. | |
So eindrucksvoll konsequent ist lange niemand mehr gescheitert. Ihr | |
Werdegang ist anstrengend und zeittypisch: In den Neunzigern steppt sie | |
inmitten einer Gruppe präpubertärer Teenies im zeittypisch-grässlichen | |
Klamotten-Stilmix zwischen weit und eng auf die Bühne des New Mickey Mouse | |
Club im Disney Channel, singt mit Engelsstimmen zu einer Karaoke-Version | |
von "I cant help falling in love with you" und zeigt ziemlich professionell | |
einstudierte Tanzübungen dazu - die Mini-Playback-Show ohne Playback. Der | |
weichgesichtige Lockenkopf im Hintergrund ist ihr späterer Boyfriend Justin | |
Timberlake. | |
Einiges Wasser floss den Mississippi hinunter, Britney ließ den | |
Schuluniformminirock beim Tanzen wippen, hielt bei "My lonelyness is | |
killing me", der ersten Zeile des Refrains ihres Megahits " Baby one more | |
time", ihre Zungenspitze affirmativ in die Kamera, färbte sich die Haare in | |
allen gängigen Regenbogenfarben und setzte auf die begehrliche, freche, | |
aber romantische Kindfrau. Bis Britney oder ihre Manager einen Imagewechsel | |
vonnöten fanden: Das sexy Collegegirl, das sein erstes, 1999 erschienenes | |
Album legendäre 28 Millionen Mal verkaufte, das zweite aus dem Jahr 2000 24 | |
Millionen Mal, das, oops!, rund um sich Herzen brach, dabei aber Jungfrau | |
und in den bewährten Tonlagen und Rhythmen blieb, hatte ausgespielt. | |
Die neue, gerade 20-jährige Britney arbeitete für ihr drittes Album Ende | |
2001 mit Produzenten wie den Neptunes zusammen, sang "Im a slave 4 U" und | |
trennte sich vom trotz "Nipplegate" und Schlimmer-Finger- Verkleidung stets | |
tadellos sauberen Justin. Ihr 2003 veröffentlichtes Album "In the zone" war | |
dann kein Blümchenpop mehr, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten | |
sophisticated, mehr Hiphop, mehr R n B. Britney redete öffentlich über ihr | |
Sexleben, setzte sich für das "Toxic"-Video in einem durchsichtigen Catsuit | |
aus Spitze auf den Boden und küsste während eines Auftritts bei den MTV | |
Video Music Awards Madonna, was ja - spätestens seit die Welt mit Madonna | |
im Bett war - wirklich nichts Besonderes ist. Aber es ist wichtig fürs | |
Resümee. Denn Britneys tiefen Fall, den von der Presse lustvoll bis | |
manifest sadistisch zelebrierten Abstieg, kann man nur angesichts dieser | |
steilen Vorgaben verstehen. | |
Und von nun an ging es bergab. Britney heiratete im Januar 2004 voll bis | |
Oberkante Unterlippe in einer Las Vegas Chapel einen alten Schulfreund und | |
ließ die Ehe nach 58 Stunden und mit amtlich Restpromille im Blut | |
annullieren. Ein paar Monate sagte sie zu ihrem Backgroundtänzer Kevin | |
Federline "I will", bekam mit ihm innerhalb von zwei Jahren zwei Kinder und | |
ließ sich acht Wochen nach der Geburt des zweiten Sohnes von ihm scheiden. | |
Sie trieb sich ohne Slip in Autos und angeschlagen im Nachtleben herum, | |
rasierte sich vor geifernden FotografInnen eine Glatze, ging Anfang 2007 in | |
eine kalifornische Entzugsklinik und blieb dort 40 Tage. Danach bereitete | |
sie sich auf ihr musikalisches Comeback vor. | |
Im September wollte sie mit der ersten Singleauskopplung aus ihrem soeben | |
erschienenen neuen Album "Blackout" wieder bei den MTV Video Music Awards | |
glänzen. Was dort genau passierte, kann man vor lauter Parodien auf YouTube | |
kaum noch finden: Britney, strahlend barbieschön, mit Spitzenfigur und dem | |
annähernd weggesitupten Bauch einer zweifachen Mutter, stolpert lustlos zu | |
dem reduzierten Dancefloorsound von "Gimme Moore" über die Bühne. Später | |
behauptete man wahlweise, ihr sei der Stilettoabsatz abgebrochen, sie habe | |
unter Drogen gestanden oder sogar ihre recht überschaubare Gesangszeile, | |
nämlich "Gimme Moore", vergessen. Bis heute werden fast täglich neue | |
Verschwörungstheorien über den Auftritt ins Netz gestellt, die von dem | |
bewussten Vorführen des beneideten, klar noch nicht vollständig genesenen | |
Sternchen durch seine Entourage bis hin zu schlimmstem | |
Medikamentenmissbrauch reichen. Die Kolportagen um den Song brachten ihm so | |
viel Airplay, das er nun nach "Baby one more time" zur erfolgreichsten | |
Spears-Single in den USA geworden ist. | |
Doch die Pop-Tragödie fand noch kein Ende. Sie dümpelte stattdessen stark | |
ins Michael-Jackson-hafte, nachdem sich beider Lebenswege eh schon in | |
manchem ähnelten, wenn auch nicht im Talent. Beide teilen frühe | |
Bühnenerfahrung, ehrgeizig-antreibende Eltern, unglaubwürdige Imagewandel, | |
das in der Popidentität eingeimpfte Fehlen jeglicher politischer oder | |
persönlicher Meinung, das trotzige Ironisieren des Status. Beide kratzten | |
jedoch an den geschlechtsspezifisch schlimmstmöglichen Tabus: Jacksons | |
Karriere wurde durch die später stummgekauften Kindesmissbrauchsvorwürfe | |
beendet, Spears vernachlässigte ihre Kinder öffentlich. | |
Nach langem, schmutzigem Kampf verlor sie in diesem Jahr das Sorgerecht für | |
beide, wurde beim Dicksein, Schnellfahren, | |
Barfuß-in-öffentlichen-Badeanstalten-Gehen (großer US-Fauxpas!) und | |
wiederholtem, muttiuntypischen Feiern erwischt. Vor kurzem wurde bekannt, | |
dass ihre kleine, 16-jährige Schwester schwanger ist - eine | |
Spears-Schlagzeile ganz nach Paparazzigeschmack. Und wenn Britney sich | |
jetzt in "Piece of me", der zweiten Single ihres Albums, mit ihrer | |
Kleinmädchenstimme in den Zeilen "Im Mrs Lifestyles of the rich and famous | |
/ Im Mrs Oh my God! This Britneys shameless! / Im Mrs Extra! Extra! This | |
just in! / Im Mrs Shes too big now shes to thin" zum Keyboardgroove und dem | |
Geräusch von zersplitterndem Glas über genau diesen Status lustig macht, | |
dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man anfangen kann, sie zu mögen. | |
Mit dem gleichzeitigen Annehmen der Mutterrolle (inklusive | |
Nackte-Schwangeren-Fotos) und ihrem prominenten Scheitern an den hohen | |
Herausforderungen, dem für eine Frau in der US-Gesellschaft kaum zu | |
verzeihenden Hinweis auf Psychoprobleme durch Rasieren einer Glatze, dem | |
unten ohne, aber haubitzenvollen Scheißen auf die Öffentlichkeit hat | |
Britney den Schritt vom Pop-Püppchen zur Punk-Ikone getan, deren Stern noch | |
heller als etwa der von Courtney Love leuchtet, denn von der erwartet man | |
nichts anderes. Wie langweilig ist eine Super-Mutter wie Madonna, unter | |
deren strengem Reglement Kinder, Ehemänner und Muskelgruppen springen? Wie | |
doof die gesichtsgelähmte Paris Hilton, die in ihrem milde skandalösen | |
A-night-in-Paris-Porno beim Akt ans Handy eilt und sich im Übrigen von | |
ihrem Ex an den Einnahmen beteiligen ließ? | |
Nein, Britney hat sich, ohne es zu wollen, von all den grässlichen | |
It-Girl-, Celebrity- und Socialite-Robotern entfernt, den Olsens, den | |
Hiltons, der Simpson. Sie ist - als ganz normales amerikanisches | |
Südstaatenmädchen - am unmenschlichen Druck zerborsten und hat dazu die | |
richtigen Produzenten gefunden. Mit dem clever getexteten "Piece of me" und | |
dem routiniert-schräg arrangierten Neptunes-Stück "Why should I be sad" | |
beinhaltet die neue Platte immerhin zwei recht intelligente Dancesongs, der | |
Rest ist, wie immer, wenig und verfremdete Stimme und viel Mainstream-Disco | |
aus verschiedenen Zeiten. | |
Wenn sich "Blackout" weiterhin so gut verkauft, dass Britney wieder in die | |
langweilige Chartsbreaker-Routine aus Comeback, lächelnden Nichtigkeiten in | |
Daily Talks und Stiltipps in der Instyle rutscht, wäre es um die | |
Möglichkeiten schade, die ihr systemdestabilisierendes Verhalten bietet. | |
Ihre Familien- und Drogenprobleme möchte man ihr natürlich gelöst wünschen. | |
Aber mehr Chuzpe hat sie jetzt, als gefallener Engel, allemal. | |
28 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
Jenni Zylka | |
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Populärkultur | |
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