# taz.de -- Hamburger Kunsthochschule: Gebühren für die Kunst | |
> Kunststudenten im Neoliberalismus? Oder In-Verantwortung-Nehmen einer | |
> privilegierten Spezies? Der Streit über Studiengebühren an der Hamburger | |
> Kunsthochschule spitzt sich weiter zu. | |
Bild: Plakate zum Boykott von Studiengebühren in Hamburg | |
"Talentsklavenevaluierungsanstalt" steht auf einem Banner über dem Eingang | |
der Hamburger Kunsthochschule (HfbK). Es flattert steif im Dezemberwind. | |
Das zusammengesetzte Wort spielt auf die Initiative "Talentstadt Hamburg" | |
an. Hamburgs Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) hatte sie | |
ausgerufen, um akademischen Nachwuchs in die Hansestadt zu locken. Den | |
zieht es momentan eher in Bundesländer, in denen noch keine Studiengebühren | |
verlangt werden, wie das Statistische Bundesamt diesen Monat bekannt gab. | |
Dennoch ist auch die Zahl der Studienanfänger in Hamburg leicht gestiegen. | |
Und das, obwohl die Studierenden seit Sommersemester dieses Jahres | |
Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester berappen müssen. Nur | |
Bafög-Empfänger sind von dieser Regelung ausgenommen. Rechnet man die 250 | |
Euro Sozialabgaben dazu, kostet ein Hamburger Universitätsstudium im Jahr | |
nun 1.500 Euro, 125 Euro jeden Monat. Miete und Lebenshaltungskosten kommen | |
natürlich hinzu. Wem das zu viel ist, der kann einen Studentenkredit bei | |
einer Hamburger Bank aufnehmen. Das Beispiel Hamburg wirft Fragen auf, die | |
für ganz Deutschland gelten: Sind Studiengebühren ein "neoliberaler" | |
Angriff auf den Zugang zu Kunst und Wissenschaft oder notwendig, um eine | |
privilegierte Spezies symbolisch stärker in die Verantwortung zu nehmen? | |
Auftritt: Johannes Stüttgen. Das Darlehenssystem sei sozial verträglich, | |
erklärt Wissenschaftssenator Dräger im Gespräch. Zurückzahlen müsse nur, | |
wer später vernünftig verdient. Maike Bruch*, die im dritten Semester | |
Malerei an der HfbK studiert und nebenbei 15 Stunden die Woche an einer | |
Theaterkasse jobbt, erwägt die Option Darlehen jedoch grundsätzlich nicht. | |
Sie wüsste nicht, wie sie das zusätzliche Geld für die Studiengebühren | |
durch Mehrarbeit hereinholen sollte. Von ihren Eltern will sie zwecks | |
Abnabelung kein Geld annehmen. Jetzt engagiert sie sich bei den Protesten | |
an der HfbK gegen die Gebühren. Als einzige Hamburger Hochschule hat die | |
HfbK unter ihren Studenten das sogenannte Quorum erzielt. Sie votierten | |
mehrheitlich für einen Gebührenstreik. | |
Der Unterricht geht dabei weiter. Maike Bruch ist eine von 120 der rund 400 | |
zahlungspflichtigen HfbK-Studenten, die auch im zweiten Semester seit | |
Einführung der Gebühren die Zahlung boykottieren. Die Lage hat sich | |
zugespitzt, denn die HfbK hat inzwischen 90 Boykotteure exmatrikuliert, | |
wogegen diese vor Gericht klagen. Bis eine Entscheidung getroffen ist, | |
dürfen sie weiterstudieren. | |
Von brodelnder Proteststimmung ist zum Jahresausklang an der HfbK erst | |
einmal wenig zu spüren. Johannes Stüttgen, der ehemalige Assistent von | |
Joseph Beuys, wurde vom Asta zu einem Vortrag eingeladen. Rund 20 | |
interessierte junge Zuhörer sind gekommen, rauchen, trinken Kaffee, laden | |
ihre Handys auf und verfolgen aufmerksam, was Stüttgen über den erweiterten | |
Kunstbegriff, die Marktmechanismen des Kunstbetriebs und die Logik von | |
Aufnahmeprüfungen zu erzählen hat. | |
"Die Frage nach der Kunst wird doch immer mehr ausgeblendet", findet ein | |
Student, "stattdessen schleift sich das Interesse an Kontrolle und Kommerz | |
auch in die eigene Arbeit ein." Dies klingt etwas abgestanden und | |
sektiererisch. Stüttgen zeigt durchaus Verständnis für die Proteste. Immer | |
wieder kommt er auf die Verantwortung der Kunst zu sprechen und diskutiert | |
die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft. Nachdem er seinen von Beuys | |
abgeleiteten Freiheitsbegriff erläutert hat, wird er von einem Studenten | |
gefragt: "Sind sie Anthroposoph?" Stüttgen, für einen Moment perplex, | |
verneint, während gleich mehrere Anwesende anfangen, über ihre | |
Waldorfschulvergangenheit zu debattieren. | |
An einem anderen Tag, beim Meeting der "AG Studiengebührenboykott", geht es | |
hoch her. Ob die taz überhaupt links genug sei, um über die Proteste zu | |
berichten, wird man von einem älteren Semester angefeindet. Er hat die | |
Haare nach hinten gegelt und beeilt sich, die Hochschulpolitik des Hamburgs | |
Senats als "neoliberal" darzustellen. "Du siehst aus wie eine sowjetische | |
Volkskommissarin", sagt er ironisch zu Maike Bruch angesichts ihrer | |
Reiterhosen. Jüngere Studenten ruckeln unsicher auf ihren Stühlen. Eine | |
Wand ziert ein riesiger Wortsalat aus Begriffen, Namen und Formeln. | |
"Künstler als Zulieferer von Kunstsammlern", steht da über einem nach | |
rechts zeigenden Pfeil geschrieben, ebenso "Eitelkeit" sowie "Adrienne | |
Göhler" und "Martin Köttering", die Namen der letzten beiden | |
Hfbk-Präsidenten, und natürlich "Dräger". | |
Auftritt: Senator Dräger. Auf die Frage, ob sich die Hansestadt keine | |
Kunsthochschule mehr leisten könne, antwortet der Wissenschaftssenator sehr | |
bestimmt. "Es kann von einem Staat nicht verlangt werden, aus Steuergeldern | |
ad infinitum eine kostenlose Ausbildung zu stellen. Der Wert, der in der | |
Ausbildung steckt, die der Staat zum überwiegenden Teil finanziert, muss | |
auch ein Stück kofinanziert werden von denjenigen, die dadurch später | |
profitieren." US-amerikanische Verhältnisse, dass Universitätsabsolventen | |
lange Jahre die Schulden ihres Studiums zurückzahlen müssen, würde es hier | |
aber nicht geben, so Dräger, der in den USA Physik und Philosophie studiert | |
hat. "Die Größenordnung, über die wir hier in Deutschland sprechen, ist ein | |
Bruchteil der Summen, um die es in den USA geht." Er kommt auf die Schulden | |
der Hansestadt zu sprechen, die in der bundesweiten Schuldenstatistik immer | |
noch weit vorne zu finden sei. Zum allerersten Mal habe es Hamburg 2007 | |
geschafft, Schulden zurückzuzahlen und keine neuen aufzunehmen. | |
Dräger wünscht sich daher für die Zukunft Studenten, die ihre | |
mitfinanzierte Ausbildung als Partnerschaft mit der Universität begreifen | |
und aktiv mitbestimmen. Er hat nicht so sehr freischwebende | |
Kunsthochschüler im Sinn, sondern Jungunternehmer. Danach sieht Dräger mit | |
seinem modisch geschnittenen Anzug auch selbst ein bisschen aus. "Studenten | |
haben das Recht, über die Verteilung der Mittel mitzuentscheiden. Und das | |
bringt einen als Studierenden in ein neues Verhältnis mit der Hochschule. | |
Dies bedingt auch ein selbstbewussteres Auftreten: Ich zahle für diese | |
Leistung, also verlange ich auch mehr." | |
Auftritt: kritischer Student. Bei den HfbK-Studenten erregen solche | |
Äußerungen Unmut, zumal sie von einer Systemumstellung flankiert sind: | |
Gemäß der Bologna-Beschlüsse hat die HfbK im Sommersemester als eine von | |
wenigen Kunsthochschulen in Deutschland überhaupt den | |
Bachelor-Master-Studiengang eingeführt. Er soll den Eingang in die | |
Berufswelt nach sechs Jahren Studium erleichtern. | |
"Eine verschulte HfbK ist das Ende der freien Hochschule", glaubt Hanno | |
Behrendt*, einer der Organisatoren der Proteste gegen die Studienreform. | |
"Wir hatten hier einen gesellschaftskritischen Diskurs." Kunst sei stets | |
als Regulativ begriffen worden, als Reflexionsebene der Gesellschaft, so | |
Behrendt. "Kunst funktioniert dadurch, dass sie immer wieder neue | |
Paradigmen aufstellt und alte verwirft, alles in einem Prozess, der | |
immanent ist." Durch die Einführung von marktförmigen Strukturen würde der | |
Wissenschaftsbetrieb verunmöglicht, sagt Behrendt, der an der HfbK | |
Philosophie mit einem Schwerpunkt auf psychoanalytischen Fragestellungen | |
studiert. Auch ein Filmstudium ist an der HfbK möglich. Zu den Absolventen | |
der HfbK zählen Filmer wie Maler, so unterschiedlich ausgerichtete Künstler | |
wie Daniel Richter, Hermine Huntgeburth, Fatih Akin, Ulrich Köhler, | |
Jonathan Meese und Oliver Hirschbiegel. | |
Es gebe eine Menge Leute mit alternativen Lebenskonzepten, meint Behrendt, | |
die durch die Studiengebühren vertrieben würden. Behrendt glaubt auch zu | |
wissen, wer die Drahtzieher der Studienreformen sind. Das Zentrum für | |
Hochschulentwicklung (CHE), eine von Bertelsmann betriebene Lobby, die eine | |
"sophistische Logik" gegen die Chancengleichheit an Universitäten | |
entwickelt habe: "Wenn nur acht bis zehn Prozent aus sozial schwachen | |
Schichten studieren, hat man da argumentiert, sei es doch ungerecht, dass | |
Gemüseverkäufer und Schlosser den bürgerlichen Schichten das Studium | |
finanzieren." | |
Auftritt: Professor Roscher. "Eine besondere Qualität der HfbK war, dass | |
sie Studenten Freiraum gegeben hat, sich zu entdecken. Viele der | |
prominenten Absolventen sind hier erst einmal an sich gescheitert und haben | |
gelernt, eine künstlerische Krise auszuhalten", sagt Professor Gerd | |
Roscher. Roscher unterrichtet an der HfbK seit 36 Jahren Film, er sitzt | |
auch in vielen Gremien und kennt alle Beteiligten. "Die HfbK ist eine | |
kleine Einheit", erklärt er. "Unser Budget beträgt 16 Millionen Euro. Was | |
man über die Studiengebühren einzunehmen hofft, sind 400.000 Euro. Davon | |
fließen 100.000 in Verwaltung und weitere 100.000 in einen Rückhaltefonds. | |
Bleiben 200.000 Euro, und die machen nicht einmal zwei Prozent des | |
Haushalts aus." Es gehe also um Symbolik. Es mag sein, dass Studenten, die | |
bezahlen, anders auftreten würden. Aber über die Gebühren würden "letztlich | |
komplexe interne Prozesse konventionalisiert". Und da könne er nur mit | |
Dario Fo antworten: "Bezahlt wird nicht!" Außerdem habe er kein Geld mehr | |
für Tutoren zur Verfügung, schimpft Gerd Roscher. Von Verbesserungen durch | |
die Studiengebühr keine Spur. "Bis jetzt hat es die Universitätsverwaltung | |
nicht geschafft, die Abrechnung für 2006 zu machen, und deshalb kann für | |
2007 kein Geld ausgegeben werden." Auch andere Professoren murren, sie | |
müssen seit neuestem im Privatleben ihrer Studenten herumstochern, um | |
herauszukriegen, wer bedürftig sei und wer nicht. Ausgenommen von den | |
Gebühren sollen die zwei "Besten" einer Klasse sein. Roscher und andere | |
seiner Kollegen finden dies indiskutabel. | |
Unklar bleibt bei alldem die Rolle von HfbK-Präsident Martin Köttering. Es | |
war Drägers Vorgängerin Krista Sager (Grüne), die seinerzeit das | |
Wahlgremium für den Präsidenten demokratisierte und ihn gleichzeitig mit | |
großen Vollmachten ausstattete. Ins Amt kam Köttering vor allem durch die | |
Stimmen von Studenten. Die, die ihn damals gewählt haben, sind längst weg. | |
Die jetzigen Studenten hoffen bei ihrem Boykott, dass ihnen der Ausgang der | |
Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar in die Hände spielt. Auch der Posten | |
des Wissenschaftssenators könnte dann zur Disposition stehen. Und Michael | |
Naumann, der SPD-Spitzenkandidat, hat schon einmal vorab verkündet, auf | |
Gebühren verzichten zu wollen. | |
* Pseudonyme; die Namen sind der Redaktion bekannt | |
29 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Streit um Altlasten: Unsozial aber unverzichtbar | |
Die ehemaligen Boykotteure aus der HFBK kämpfen weiter gegen die | |
Studiengebühren. Die Bürgerschaft lehnt ein Vermittlungsverfahren ab. | |
Streit um Studiengebühren: Die Grenzen der Kulanz | |
Die Hochschule für bildende Künste bittet Boykotteure zur Kasse, nachdem | |
sie Jahre lang einen kulanten Umgang mit Nicht-Zahlern pflegte. Das reißt | |
alte Wunden auf. |