# taz.de -- Ausstellungen on tour: Frittentütchen à la Mondrian | |
> Tausche Mondrian gegen Picasso: Das Gemeentemuseum in Den Haag und das | |
> Museum Ludwig in Köln tauschen ihre Blockbuster. | |
Bild: Museum Ludwig zeigt Bilder des Niederländers Piet Mondrian. | |
Man könnte sie fast als Antipoden betrachten: Piet Mondrian (1872-1944) und | |
Pablo Picasso (1881-1973). Der eine, Piet Mondrian, glaubte an den | |
Fortschritt in der Kunst und sah die Entwicklung der Malerei als eine | |
stetige Entwicklung - so viele Wendungen sein Werk auch nahm, nie kehrte er | |
zurück zu Positionen des Beginns. Er suchte den einen Weg, die eine Lösung | |
und verwarf, was sich für ihn als Sackgasse erwiesen hatte. | |
Der Kubismus, den er ab 1912 in Paris kennenlernte, blieb für ihn nur ein, | |
wenn auch entscheidender Ausgangspunkt, um sich immer weiter abzustoßen von | |
seiner Vergangenheit als Landschaftsmaler. Der andere dagegen, Pablo | |
Picasso, negierte den Fortschrittsgedanken und nahm die formale Reduktion | |
des Kubismus, als dessen wichtigster Protagonist er bis heute gilt, nur als | |
eine Möglichkeit an, den Bildraum aufzubrechen. Die Mythen, die Figuration | |
und ein klassizistisches Erbe der Antike kehrten dann mit aller Macht | |
zurück in seine Malerei, Keramik und Grafik. | |
Und noch etwas unterscheidet die beiden Künstler, die das Bild vom Aufbruch | |
in die Moderne des 20. Jahrhunderts so stark prägten: Pablo Picasso ist in | |
der Rezeption seines Werk auch immer als Person und Mann präsent, der die | |
Künstlerrolle inszeniert, mit ihr spielt und sein Leben und Lieben als | |
ständiges Kapital und Energiereservoir in seine Bildwelt einbringt. Piet | |
Mondrian hingegen verschwindet als Person hinter seinen Bildern. Sie | |
scheinen nichts über ihren Autor erzählen zu wollen. | |
Ob sie sich jemals begegnet sind, im Paris der Zehnerjahre, ist nicht | |
belegt. Es wird sogar vermutet, dass Mondrian, als er dort ab 1912 mit der | |
kubistischen Bildsprache, an der Picasso und Braque schon länger | |
arbeiteten, zu experimentieren begann, den Kontakt eher vermied. Ihre Werke | |
aber gehören seit so vielen Generationen und in so vielen Museen zum Beleg | |
dieser Epoche, dass man sie durch und durch zu kennen glaubt. Beide sind so | |
populär, dass das Vorhaben von großen Ausstellungen erst mal wenig Neues | |
verspricht. | |
Tatsächlich aber sind sie jetzt in zwei umfangreichen Sammlungen unterwegs | |
in einem Austauschprojekt zwischen Köln und Den Haag: Das Kölner Museum | |
Ludwig leiht an die 300 Arbeiten seines über 800 Werke umfassenden | |
Picassobestandes an das Gemeentemuseum in Den Haag und erhält dafür über 60 | |
Mondrians von dort. Ein gutes Geschäft für beide Museen, erhalten sie doch | |
einen Publikumsmagneten, der zudem Lücken der eigenen Sammlung schließt. | |
Beworben werden beide Ausstellungen zusammen mit den Tourismusunternehmen | |
der Städte. | |
Das Besondere der Den Haager Sammlung besteht nun darin, nicht nur viele | |
der bekannten Hauptwerke Mondrians zu besitzen, sondern auch sein | |
sogenanntes Frühwerk aus seinen ersten zwei Jahrzehnten als Maler. Und das | |
wurzelt eben noch ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts, in der | |
Landschaftsmalerei der sogenannten Den Haager Schule, die im Gemeentemuseum | |
Den Haag einen Schwerpunkt bildet. | |
Windmühlen, Grachten natürlich, Kühe auf der Weide, tief hängende Himmel, | |
Dünenlandschaften und die Spiegelung der Bäume im Wasser: Das sind die | |
Motive, die zwischen 1895 und 1910 im Werk Mondrians immer wiederkehren. | |
Aber es gibt sie nicht nur in jenem bräunlichen Rembrandtlicht, für das | |
Piet Mondrian sein Atelierfenster in Amsterdam manchmal mit einem | |
Lederlappen verhängte. Wenn der Abendhimmel gelb hinter einer Windmühle und | |
in schimmernden Pastelltönen hinter den Silhouetten der Bäume einer "Großen | |
Landschaft" zu leuchten beginnt, sind plötzlich nicht nur die Farben | |
Gaugins nahe, sondern auch ein neues Verstehen vom Eigenwert der | |
malerischen Mittel. Der illusionistische Raum verschwindet. Wie stattdessen | |
die Fläche der Leinwand schon in der Landschaft zum Thema wird, lässt sich | |
jetzt in den ersten Räumen der Kölner Mondrian-Ausstellung verfolgen, die | |
so doch noch zu einer Überraschung wird. | |
Da gibt es Bäume, die angeregt von der grafischen Wirkung japanischer Kunst | |
nur noch als dunkle Chiffren auf einem kupferfarbigen Grund stehen. Da gibt | |
es die rote Wolke, die wie ein fiebriger Fleck durch eine blaue Fläche | |
bricht, und Dünen, die sich in blaugrüne, scharf geschnittene Wellen | |
auflösen. Wälder, die mit einem expressiv bewegten Pinselstrich gemalt | |
sind, Leuchttürme in leichter, pointillistischer Manier, Blumen, die mit | |
aller Bedeutungsschwere des Symbolismus versehen scheinen. Eindimensional | |
waren die Wege, die Piet Mondrian ausprobierte, nicht. | |
Dass er das handwerkliche und malerische Wissen, das er auf diesem Weg | |
amalgamierte, auch in die späteren reduzierten Formen einbrachte, lässt | |
sich in der Kölner Ausstellung verfolgen. Flächen und Gitterstrukturen sind | |
nie schematisch aufgetragen, sondern die Farbe atmet in jeder Linie, in | |
jedem Rechteck und reagiert auf die angrenzenden Töne. Die Chance, diese | |
erstaunliche Entwicklung am Original zu verfolgen, hat man außer im Den | |
Haager Museum selbst in kaum einer Mondrian-Ausstellung. Denn viele | |
Kuratoren wollten explizit nur den reinen Mondrian, den, der mit seiner | |
eigenen Marke identisch geworden ist. Sie wollen nichts von dem Maler | |
wissen, der doch immerhin bis zu seinem vierzigsten Jahr neben einer großen | |
Experimentierlust auch viele Unsicherheiten erkennen ließ. | |
Berühmt geworden ist allein eine Reihe von Bildern, zwischen 1908 und 1914 | |
entstanden, die das Motiv eines Baumes langsam von einer farbglühenden | |
Expressivität in eine farblich verhaltene Abstraktion treiben, durch Phasen | |
von horizontalen, schwingenden Bewegungen und strengeren, vertikalen | |
Strukturen. Diese Reihe, der ein eigener Raum gewidmet ist, enthält | |
Mondrians Weg vom "Abbild zum Bild", so der Kölner Ausstellungstitel, wie | |
ein didaktisches Programm. Sie suggeriert aber auch, dass jeder Abstraktion | |
noch ein gegenständliches Urbild zugrunde liegt - und verstellt damit den | |
Blick auf die späteren Freiheiten. | |
Der Katalog, der zur Mondrian-Ausstellung in Köln herausgegeben wird, ist | |
zugleich ein neuer Bestandskatalog für die Mondrian-Sammlung in Den Haag: | |
Das ist ein Teil des Deals, von dem beide Museen in diesem Austausch | |
profitieren. Zu jedem ausgestellten Werk sieht man dort noch eine große | |
Gruppe verwandter Arbeiten und kann dazwischen immer wieder in | |
biografischen Texten einen erstaunlich detaillierten Blick auf das Leben | |
Mondrians werfen. Man erfährt, was er sich, um Geld zu sparen, selber | |
kochte, wie er Einnahmen aus Bildverkäufen in eleganter Kleidung anlegte, | |
wo er in Paris gerne tanzen ging und welche Jazzlokale er später, ab 1940 | |
in New York, besuchte. | |
In der Ausstellung selbst gibt es nur ein biografisches Zeugnis, das es | |
aber in sich hat: Den Nachbau des Ateliers, das Mondrian in Paris von 1921 | |
bis 1938 bewohnte. Denn das scheint wie eine raumgewordene Übersetzung | |
jener Bilder, die mit schwarzen Konturen zwischen hellen Rechtecken | |
arbeiten und die sehr genau mit einigen wenigen roten, blauen und gelben | |
Flächen akzentuiert sind. Der rote Klapptisch, das schwarze Sofa, | |
Wandpaneele, Teppiche, das Bett, dessen erstaunliche Schmalheit in | |
überlieferten Anekdoten schon potenzielle Liebhaberinnen abhielt: Alles | |
folgt in zierlichen Anordnungen seinen Farben. Und so scheint der Künstler | |
selbst vorweggenommen zu haben, was später seinen Bilder in zahllosen | |
Reproduktionen in Möbelhäusern geschah, nämlich zum Design zu werden, zur | |
Chiffre für einen Modernität versprechenden Lebensstil. | |
Mondrian als Marke und dekoratives Motiv: Von dieser Vermarktung | |
profitieren natürlich auch die Museen. Im Restaurant, das zum | |
Gemeentemuseum in Den Haag gehört, ist sogar das papierne Frittentütchen à | |
la Mondrian bedruckt. Bei der Zugfahrt dorthin, zu der das Museum Ludwig | |
zusammen mit dem niederländischen Amt für Tourismus eingeladen hat, glaubt | |
man plötzlich frühe und späte Mondrians am Fenster vorbeiziehen zu sehen: | |
Frühe, wenn der sonnendurchschienene Nebel die Bäume davor nur als dunkle | |
Silhouetten erkennen lässt, und späte, wenn die unglaublich graden Grachten | |
Wiesen und Gewerbegebiete in lauter Rechtecke zerschneiden. | |
Nach diesem aufgeräumten Bild macht die Picasso-Ausstellung in Den Haag | |
dann eher den Eindruck eines fröhlichen Chaos. Das liegt in erster Linie an | |
der Materialfülle und der dichten Hängung in den teils kleinen Räumen des | |
Gemeentemuseums. Eine eigene Erzählung über Picasso sucht man hier | |
vergebens. An die Stelle des Erfindungsreichtums, für den Picasso so oft | |
gefeiert wird, rückt viel mehr die Vorstellung eines verengten motivischen | |
Horizontes. Die entsteht nicht zuletzt durch Wiederholung und vor allem | |
durch die vielen Maler-und-Modell-Bilder, auf die man in jedem Raum und in | |
jeder Werkphase zu stoßen scheint. | |
Tatsächlich hat Franz Kaiser, Kurator am Gemeentemuseum und für die | |
Picasso-Ausstellung verantwortlich, einen starken Akzent auf das Spätwerk | |
gelegt und den 156 Radierungen der Suite 156, dem letzten Werk des | |
neunzigjährigen Picasso, großen Raum gegeben. In ihnen feiert ein alter | |
Mann den voyeuristischen Blick und verklärt noch einmal das Begehren als | |
Inspiration seiner Kunst. Es gibt tolle Blätter darunter, von einer wilden, | |
aggressiven Strichelei, die sich voller Wut gegen die eigene Sterblichkeit | |
wendet und mit gierigen Blicken am weiblichen Körper und Geschlecht | |
festsaugt. Andere Varianten sehen dagegen fast wie eine Karikatur der | |
Maler-Modell-, Mann-Frau-Konstellation aus. Vor allem aber das Raushauen | |
von immer neuen Variationen der einen Erzählung drückt am Ende etwas ebenso | |
Verzweifeltes wie Trauriges aus, gerät es doch mehr und mehr zum | |
mechanischen Leerlauf. | |
Dieser Schlussakkord überstrahlt in der Den Haager Picasso-Ausstellung das | |
gesamte Werk. Das liegt auch daran, dass die Kölner Sammlung aus allen | |
Werkphasen Belege für die hartnäckige Beschäftigung mit dem Motiv hergibt. | |
Einzelne herausragende Werke gehen in dieser Präsentation im Bild eines | |
unermüdlichen und mitunter auch geschwätzigen Schaffens eher unter. Als ob | |
es dem Maler selbst auf ein paar Bilder mehr oder weniger nun auch nicht | |
mehr angekommen wäre. | |
Vielleicht muss dieser Effekt einer Picasso-Übermüdung und | |
Picasso-Überfütterung als die Schattenseite seiner Popularität in Kauf | |
genommen werden, als Ergebnis einer zu effizienten Bewirtschaftung jeder | |
Picasso-Sammlung. Der Mondrian-Ausstellung in Köln gelingt es jedenfalls | |
besser, das Hinsehen noch einmal zu einem lohnenden Prozess zu machen. | |
8 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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Ausstellung | |
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