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# taz.de -- Ernährung: Der Tofu-Koch aus Mitte
> An der Chausseestraße produziert Markus Treiber Tofu für Berlins
> Asia-Branche. Das Handwerk lernte der gebürtige Wiener von chinesischen
> Meistern.
Bild: quadratisch, praktisch, lecker: Tofu
Wenn Geruch satt machen kann, dann der in dieser Küche hier: Süß, leicht
nussig und herzhaft steigt Dampf aus großen Edelstahlbottichen und
vernebelt den kaum wohnzimmergroßen Raum. Drei Köche stehen in weißen
Kitteln, Gummistiefeln und mit Haarnetz an den Töpfen und schöpfen den
Sojabruch in die Pressen. Wenn die schweren Druckplatten sich nach ein paar
Minuten wieder heben, ist das einzige Produkt der Firma Treiber-Tofu fast
fertig: Sojabohnenquark made in Berlin. Die cremeweißen Blöcke müssen nur
noch geschnitten und verpackt werden.
Seit mehr als einem Jahrzehnt wird in der ehemaligen Betriebsküche der
Flohr-Aufzugwerke Tofu hergestellt. "Das letzte Haus im letzten Hinterhof,
2. Stock", hat Markus Treiber den Weg in die Produktion an der
Chausseestraße gegenüber der weiten Leerstelle der BND-Baustelle
beschrieben. In den verwitterten Klinkerbauten geht es an den für Mitte
üblichen Adressen vorbei: Mediendesigner, Kulturmanager,
Modelscouting-Agentur, Tischlerei und Theaterbar. Ganz hinten im letzten
Winkel hängt ein kleines Schild an einer grauen Eisentür: Treiber-Tofu. Es
gibt zwar noch einen anderen Tofuproduzenten in Berlin, aber Markus
Treiber, 36, ist sich seiner Marktführerschaft auf dem Berliner Tofumarkt
nach zwölf Jahren im Geschäft relativ sicher. Eine Tonne Tofu produziert er
am Tag, durchschnittlich isst jeder Berliner pro Jahr etwa eine
100-Gramm-Packung Treiber-Tofu. Vielleicht nicht viel, aber früher, "da
musste ich noch den meisten Leuten überhaupt erklären, was Tofu ist".
Doch dies ist nicht nur die Geschichte einer kleinen Manufaktur für Tofu im
Zentrum Berlins. Es ist auch eine Geschichte davon, dass die Kompassnadel
in Zeiten der Globalisierung nicht immer nur nach Osten zeigt. Davon, wie
sich China in Deutschland Know-how beschafft, Fabriken ins Reich der Mitte
umsiedelt, Arbeitsplätze entsorgt, darüber wird viel geredet. Bei Markus
Treiber war es umgekehrt. Als der Wiener 1995 seine Firma gründete, flog er
chinesische Experten ein.
Es als Österreicher in der deutschen Hauptstadt mit der Sojaküche zu
versuchen war für Treiber damals fast zwangsläufig: In Ernährungskunde
ausgebildet, darüber zum Vegetarismus gewechselt und gerade in Berlin eine
Chinesin kennengelernt - da habe eins das andere ergeben, sagt der hoch
aufgeschossene Mann mit dem Wiener Akzent. Das österreichisch-chinesische
Paar entdeckte die ehemalige Kantine bei Flohr, meldete die Firma an und
inserierte in China, um Tofumeister nach Deutschland einzuladen. Drei
Männer aus Südchina meldeten sich.
"Die hatten einfach Lust, ihr Wissen auch mal im Westen anzubringen", sagt
Markus Treiber. Und seine Miene zeigt dabei noch immer den Respekt vor den
drei Profis, die nach langen Visaformalitäten im Sommer 1995 endlich auf
dem Schönefelder Flughafen landeten. Ein Jahr blieb das Trio in Berlin, und
"was die mir vor allem beigebracht haben, ist die Demut vor dem Tofu".
Klein war die Produktion im ersten Jahr, zusammen stand man um normale
Kochtöpfe, und die Gäste aus Asien erklärten die Geheimnisse der perfekten
Sojamilchgerinnung. "Einfach vom Ansehen her sagten die damals: Die Milch
braucht jetzt Ruhe. Da fehlt noch Sämigkeit." Aber Treiber erinnert sich
auch an Diskussionen. "Im Westen hat man den Tofu gerne etwas fester. Das
gab einen richtigen Kulturclash."
Tofu besteht vor allem aus Soja, Wasser, etwas Kalziumchlorid und ist
ziemlich geschmacksneutral. Es komme, sagt Markus Treiber, vor allem auf
Struktur und Festigkeit des Sojaquarks an. In Asien, wo Tofu ein
Hauptnahrungsmittel und nach wie vor der wichtigste Eiweißlieferant ist,
kennt man unzählige Arten davon: weiche und feste Varianten, geräuchert,
frittiert und eingelegt. Die buddhistische Küche hat eine jahrhundertealte
Tradition, mit Soja alle Arten von Fleischspeisen zu imitieren. Sogar
Schimmeltofu gibt es.
Die Tofufabrikation ähnelt stark der Käseherstellung. So wie Kuhmilch
gerinnt, wenn Lab hinzugefügt wird und anschließend der Käsebruch von der
Molke abgeschöpft wird, geschieht es auch bei der Soja. In der Manufaktur
von Markus Treiber wird zunächst der Sojabrei zubereitet. Mit Bohnen aus
Kanada und einer Mühle aus Japan. In einem mannshohen Kessel quellen die
Bohnen über Nacht. Jeden Morgen wird gemahlen. Die Besonderheit der Mühle,
die kaum größer ist als die Apparate neben den Kaffeemaschinen in einer
Espressobar: Die nassen, aufgegangenen Bohnen werden darin unter weiterer
Zugabe von Wasser so zerrieben, dass eine hellgelbe Creme entsteht. Die
wird anschließend erhitzt und mit einem Gerinnungsmittel versetzt, sodass
die Proteine ausflocken.
Wie immer, wenn etwas einfach aussieht, steckt die Tücke im Detail. "Als
die Chinesen weg waren, haben sich hier schon einige Dramen abgespielt",
erzählt Treiber. "Da hat man alles genau so gemacht wie die Tofumeister,
und trotzdem funktionierte es nicht." Die Gerinnung setzte nicht richtig
ein, der Tofu wurde zu weich, ließ sich nicht pressen. Inzwischen kann der
Wiener darüber lächeln, wenn er sich darin erinnert, wie er den Schmarrn
eimerweise weggoss. Das etwas schiefläuft in der Küche, geschieht heute nur
noch selten. Das Einrühren des Gerinnungsmittels ist der neuralgische
Punkt. Es kommt auf die Temperatur der Sojamilch an und vor allem darauf,
wie gerührt wird, wie schnell "und ob von unten nach oben oder umgekehrt".
Und mit Gefühl. Treiber will ein Produkt, das mit Liebe gemacht ist: "Und
wenn der Koch einmal anderweitig verliebt ist, dann schmeckt es halt ein
bisserl anders", verfällt er noch mehr ins Wienerische.
Treiber steht nur noch selten in der Küche. Die Zeiten sind vorbei, in
denen er alles selbst gemacht hat, Klinken putzen und sich gegen die
Konkurrenz aus den Niederlanden behaupten, die damals fast den ganzen
deutschen Tofumarkt beherrschte. Heute kümmert er sich um Verkauf, Vertrieb
und Buchhaltung. Das Geschäft sei immer besser geworden, sagt er. Nicht nur
Asiaten, immer mehr Berliner würden Tofu essen. "Tofu kennt heute jeder."
Treiber beliefert nicht den Biomarkt, sondern ausschließlich den
Großhandel, der seine Produkte an Berliner Asia-Läden und -Restaurants
weiter gibt. Fünf verschiedene Arten hat er im Angebot, neben dem normalen
auch Gewürztofu, Chili-, Blätter- und gebackenen Tofu.
Natürlich lässt sich mit dem Exilwiener auch ein wenig Tofuphilosophie
betreiben. Immer wieder fährt er nach Asien, um sich fortzubilden. Er kann
genau erklären, was beispielsweise japanischen Tofu anders macht: ein aus
dem Meer gewonnenes Salz, Magnesiumchlorid. Ihn stört ein bisschen, dass
Tofu hierzulande oft als Fleischersatz angesehen wird. "Das ist ein ganz
eigenes Lebensmittel mit allen lebenswichtigen Aminosäuren, die viel
bekömmlicher sind als tierische Eiweiße", sagt er. Außerdem glutenfrei,
cholesterinfrei und mit einem hohen Vitaminanteil. In seinem Tofu ist zwar
keine Biosoja, aber er kauft genfreie Bohnen und lässt das auch immer
wieder testen.
Markus Treiber muss bald raus aus der Chausseestraße, noch in diesem Jahr.
Das Anwesen wird saniert, der bunte Mix im Gewerbehof hat ausgedient. "Hier
kommen Luxuswohnungen rein", sagt er ein bisschen traurig. Die Kombination
aus Leben und Arbeiten hat ihm gut gefallen. Aber Treiber blickt nach vorn.
Er weiß noch nicht genau, wo er hinsoll, "vielleicht geh ich auf die grüne
Wiese". Aber er weiß, die Nische ist endgültig zu klein geworden.
24 Jan 2008
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Vegetarismus
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