# taz.de -- Die Grauen lösen sich auf: Der Ehrliche ist der Dumme | |
> Die Seniorenpartei "Die Grauen" ist pleite - wegen eines Spendenskandals. | |
> Der Bundesvorstand beschließt die Auflösung. Der Vorsitzende ist dagegen. | |
Bild: Bundesvorsitzender Raeder glaubt, dass die Grauen es noch in den Bundesta… | |
BERLIN taz Es war der Oberhammer. Norbert Raeder lief vor dem | |
"Kastanienwäldchen" auf und ab. Lange, dünne Haarbüschel wippten links und | |
rechts von seinem Gesicht, der Arm machte die Siegersäge - jedes Mal, wenn | |
an diesem Septemberabend eine neue Wahlprognose seine Eckkneipe erreichte. | |
Er zählte nach, in wie viele Regionalparlamente sie einziehen würden. Es | |
wurden immer mehr. Um die vier Prozent sagten die Fernsehsender seinen | |
Grauen auch bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus voraus. | |
"Absoluter Oberhammer", rief Raeder, der Vorsitzende des Berliner | |
Landesverbands, vor seinem Lokal in Berlin-Reinickendorf. Die Grauen, einst | |
als politischer Arm des Seniorenschutzbunds Graue Panther gegründet, würden | |
von hier aus als "Generationenpartei" die Politiklandschaft umpflügen. | |
Raeder hatte auch eine Erklärung für den Erfolg: hundert Prozent | |
Ehrlichkeit, keine Leichen im Keller. "Das ist der historische | |
Startschuss", verkündete er in seiner Siegesrede. | |
Eineinhalb Jahre später sitzt Raeder vor einem Pott Kaffee im engen Büro | |
des Landesverbands und zieht an einer Zigarette. Die Haarbüschel hängen | |
über den Schultern seines schwarzen Anzugs wie die Ohren eines erlegten | |
Hasen. Es sieht gar nicht gut aus, für ihn steht gerade alles auf dem | |
Spiel: die Grauen und das "Kastanienwäldchen". Gegen das neue Rauchverbot, | |
das ihn wahlweise Gäste oder Bußgeld kostet, kann er vielleicht noch etwas | |
unternehmen. Was die Grauen anbelangt: achteinhalb Millionen Euro Schulden. | |
Das lässt sich nicht so einfach anpacken, wie er das sonst gerne macht. | |
Es war nach dem Wahlerfolg eigentlich ordentlich für ihn gelaufen. Mit vier | |
Abgeordneten zog seine Partei ins Reinickendorfer Bezirksparlament ein. Sie | |
sitzen in Berlin in acht weiteren. In anderen Ländern haben sie eher | |
einzelne versprengte Abgeordnete. Im Herbst 2007 wählte die Partei Raeder | |
zum Bundesvorsitzenden. Er wurde Nachfolger der Gründerin Trude Unruh. | |
Tage später begannen die Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft. Anfang | |
Januar schrieb die Bundestagsverwaltung einen Brief an den Bundesverband. | |
Im Laufe der Ermittlungen war festgestellt worden, dass Spendeneinnahmen, | |
die die Partei jahrelang gemeldet hatte, wohl erfunden waren. Für jeden | |
Spendeneuro hatte sie allerdings 38 Cent vom Staat erhalten. Der forderte | |
nun nicht nur die Förderung zurück, sondern die Summe der fiktiven Spenden. | |
Mal zwei. So verlangt es das Parteispendengesetz. 8,5 Millionen Euro, zu | |
zahlen bis zum 15. Februar 2008. Anschließend werden 8,32 Prozent Zinsen | |
fällig. | |
Ein Oberhammer. "Da machst du einen Wahlkampf mit hundert Prozent | |
Ehrlichkeit", sagt Raeder. Und ein Jahr später holt die Staatsanwaltschaft | |
die Leichen aus dem Keller. An der Tür hängt noch das Plakat: "Gegen | |
Korruption in Politik und Wirtschaft". Der 39-Jährige versucht drinnen den | |
Skandal zu erklären. Er legt die Parteizeitung Panther-Post, einen Flyer | |
von der letzten Anti-Rauchverbots-Demo und eine Schachtel Kippen auf den | |
Tisch. Die Panther-Post soll die Bundespartei sein, der Flyer sind die | |
Firmen, die jemand aus dem alten Vorstand gegründet hatte, um Seminare zu | |
veranstalten. Die Zigaretten sind die Seminarleiter, die ihre Honorare | |
gespendet haben. Angeblich. Nur wenige haben tatsächlich stattgefunden. | |
Die Grauen an sich, sagt Raeder, hatten damit nichts zu tun. Vor allem Otto | |
Wolfshohl, der ehemalige Schatzmeister, wird von der Staatsanwaltschaft als | |
Drahtzieher betrachtet. Die "graue Eminenz" nennt Raeder ihn. Der | |
Psychotherapeut, der zwischenzeitlich drei Doktortitel einer | |
philippinischen Universität trug, bis eine Hochschulkommission ihm das | |
untersagte, ist auf Kaution auf freiem Fuß. Er soll bei den | |
Spendengeschäften mehr als 100.000 Euro Provision abgezweigt haben. Als | |
alles aufflog, ist Raeder sofort nach Wuppertal gefahren, er hat Wolfshohls | |
Frau besucht, um nachzusehen, was aus dem Geld geworden ist, "ob der eine | |
Villa hat". Er traf sie in einem alten Reihenhaus an, "mit alten Möbeln", | |
erzählt er. Trotz der Schuldzuweisungen der Staatsanwaltschaft greift er | |
Wolfshohl nicht namentlich an. Er sagt nur: "Der Typ, der dafür | |
verantwortlich ist, den müsste man an die Wand nageln." Als kämen da noch | |
etliche andere in Frage. | |
Alles, was die Grauen künftig einnehmen, geht direkt an die | |
Bundestagsverwaltung. Sie sind jetzt eine Partei ohne Geld, mit einem | |
Haufen Schulden und einem Glaubwürdigkeitsproblem. Manchmal rufen Leute im | |
Büro an, wo ein arbeitsloses Mitglied ehrenamtlich ans Telefon geht, und | |
fragen, ob es die Grauen überhaupt noch gibt. | |
Ein Ausweg aus der Misere ist nicht in Sicht, auch wenn Raeder daran | |
zweifelt, dass die Zahlen stimmen. Es ist ein bisschen, als würde ein | |
Bungee-Springer, dem das Seil reißt, hoffen, dass eventuell der Boden | |
verschwindet: Die Ermittlungen seien zwar noch nicht abgeschlossen, sagt | |
ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wuppertal, der Tatverdacht gegen den | |
Hauptverdächtigen aber dringend. Die Schadenssumme könne sich eher noch | |
erhöhen. | |
Ein Standardverfahren, erklärt ein Bundestagssprecher, daran sei nicht zu | |
rütteln. Der Bundesvorstand hat deshalb mit neun Stimmen gegen zwei | |
Enthaltungen beschlossen, die Partei aufzulösen, dann lässt die | |
Staatsanwaltschaft vielleicht die Jahre 2004, 2003 und 2002 auf sich | |
beruhen. Die zwei Enthaltungen kamen aus Berlin. Norbert Raeder gibt wenige | |
Tage später bekannt, sein Landesverband sei "hundert Prozent" gegen eine | |
Auflösung. Trotzdem steht der Termin für den Parteitag Mitte Februar, der | |
das Ende beschließen soll. "Ich bin kein Träumer", sagt Manfred Schwarz, | |
der stellvertretende Bundesvorsitzende, der das angeregt hat. | |
Der Siegeszug der Grauen war schon vor dem Skandal ins Stocken geraten. Ihr | |
Erfolg hatte vor allem auf Raeders Rührigkeit basiert. Der Wirt des | |
"Kastanienwäldchens" hatte kleine, lebenspraktische Lösungen für die großen | |
Politikprobleme. Lehrstellenmangel? Die Grauen verteilten Briefmarken für | |
Bewerbungspost. Pflegenotstand? Sie halfen vernachlässigten Alten zu Hause | |
und forderten eine Heimpolizei. Norbert Raeder packt an. Seinen | |
stellvertretenden Landesvorsitzenden hat er in dem Reisebüro rekrutiert, | |
das ihm einmal gehörte. Der Mann hatte eigentlich nach Madeira fliegen | |
wollen. | |
In der Politik allerdings lässt sich schon in den Regionalparlamenten das | |
meiste nur auf lange Sicht lösen. Im Sitzungssaal des Reinickendorfer | |
Rathauses, als einer von gut fünfzig Abgeordneten an schweren, dunklen | |
Holzpulten, sieht Raeder sehr klein aus. Wenn er dort reingehe, sagt er, | |
sei es jedes Mal, als würde ihm jemand die Krawatte zuziehen. So aufgeregt | |
ist er. Es ist kein Ort für jemanden, dem das Siezen schwerfällt. Die von | |
der CDU machen es den Grauen nicht leicht, sie ätzen und höhnen. Das | |
wiederum hängt mit einer anderen Spendenaffäre zusammen: | |
Eine der ersten Fragen, die Norbert Raeder hier gestellt hatte, war die | |
nach dem Neujahrsempfang der CDU-Bezirksbürgermeisterin. Wer zahlt den | |
denn? Die Frage war so formuliert, dass alle anderen Parteien sie als | |
Korruptionsvorwurf verstanden. Der Ältestenrat wurde einberufen. "Mit einem | |
Mal hatten wir nur noch Feinde", sagt Raeder. Später kam zufällig heraus, | |
dass die Bürgermeisterin tatsächlich manchmal fragwürdig mit Spenden | |
umgeht. | |
Keine Frage, sagt Sascha Braun, der Fraktionsvorsitzende der | |
Reinickendorfer Sozialdemokraten, ein netter Typ, der Norbert, sie duzten | |
sich auch, "aber auf der Sachebene " Es gebe kein Thema, mit dem sich die | |
Grauen bisher profiliert hätten. Außerdem sei es natürlich nicht günstig, | |
findet Braun, wenn man sich als Kämpfer gegen Verflechtung von Politik und | |
Wirtschaft darstelle und dann vorwiegend eigene Interessen vertrete. | |
Kürzlich hat Norbert Raeder, der Kneipenwirt, eine Demo gegen das | |
Rauchverbot veranstaltet und anschließend einen Antrag dazu eingebracht. | |
Anfang Februar findet die zweite Demo statt. Politik macht Raeder, indem er | |
den Rathauspförtner per Handschlag begrüßt und auf der Straße Jugendliche | |
beim Alkoholtrinken anspricht, um gegen das Flatrate-Saufen vorzugehen. Er | |
gibt eine Mischung aus Grüßonkel und Sozialarbeiter. Raeder hat den | |
Eindruck, dass alles großartig läuft. | |
Das ist in Berlin auch leichter als in Niedersachsen und Hessen, wo sich | |
Graue-Mitglieder während des Wahlkampfs wegen der Affäre beschimpfen lassen | |
mussten. 4.877 Stimmen erhielten sie in Hessen, 9.275 in Niedersachsen. 0,2 | |
und 0,3 Prozent. In Hamburg, wo in drei Wochen gewählt wird, ist die Partei | |
gespalten. Ein Mitglied hat sich selbstständig gemacht und tritt mit einer | |
eigenen Truppe zur Wahl an. Der eigentliche Vorstand wurde vom | |
Landeswahlleiter nicht zugelassen. Aber wer weiß, ob es die Grauen dann | |
überhaupt noch gibt. | |
Im Jahr 2006 hatten die Grauen in Berlin 52.884 Stimmen bekommen. Von denen | |
spricht Raeder, wenn er sagt, dass sein Landesverband weitermacht, selbst | |
wenn die anderen das Ende beschließen. Er wirkt immer noch seltsam | |
berauscht. Gut, grundsätzlich sehe er schon ein, dass sie wegen ihrer | |
Unerfahrenheit im Abgeordnetenhaus zu kämpfen gehabt hätten: "Wir wären da | |
eingegangen wie die Primeln." Trotzdem bleibe für ihn das Ziel der | |
Bundestag, sagt er. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass er das wirklich | |
so meint. Dort jedenfalls warten sie im Augenblick noch auf einen Großteil | |
der 8,5 Millionen Euro. Es könnten auch noch mehr werden. | |
31 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Johannes Gernert | |
Johannes Gernert | |
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