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# taz.de -- Stadt der Superlative, Schlafwandler & Magnetisten: My Winnipeg
> Im Dokumentarfilm "My Winnipeg" (Forum) erfindet der kanadische
> Experimentalfilmer Guy Maddin seine kleine Heimatstadt neu.
Bild: My Winnipeg.
Glaubt man dem Dokumentarfilm "My Winnipeg", so ist das kanadische Winnipeg
eine Stadt der Superlative: Es ist die kälteste Stadt der Welt mit dem
kleinsten Park der Welt, die Stadt der Schlafwandler, Magnetisten und
Séancen. Eine schläfrige Stadt, bewohnt von Geistern und Möbelflüsterern.
So jedenfalls beschreibt ein müder Icherzähler vom Zugabteil heraus die
Stadt, der er entkommen will. Fiebertraumschwer blickt er aus dem Fenster
in die verwaschene Landschaft - zurück in die Kindheit, in Historie und
Topografie seines Winnipeg. Winnipeg, mit bis zu 40 Grad minus im Winter
tatsächlich eine der kältesten Städte der Welt, ist für ihren Sohn, den
Filmemacher Guy Maddin, ein verschneites Gefängnis, aus dem jeder
ausbrechen will. Aber keiner hat es je geschafft.
Das kanadische Fernsehen hatte einen Dokumentarfilm über Winnipeg bei
Maddin in Auftrag gegeben. Dieser schreckte erst vor dem Format zurück und
schuf dann eine fantastische Dokumentation, eine fiebrige Erzählung, in der
er Stadtmythen um die frühere Prärie-Boomtown dramatisch zur Parodie
überspitzt, persönliche Erlebnisse ausfabuliert und zu bizarren und
absurden Anekdoten überhöht. Die überpräsente Mutter, gespielt von
B-Movie-Ikone Ann Savage, verleiht dem Ganzen immer einen Schuss Ödipus und
eine Ahnung von Inzest.
Maddin parodiert die Sinnsuche des Filmemachers, der seine
Familiengeschichte verfilmen muss, um ihr zu entkommen. So mietet der
Stadtflüchtige das Haus der Kindheit, engagiert Schauspieler, die den
Familienmitgliedern ähneln, verlegt die Handlung in die Sechziger und dreht
die Schlüsselerlebnisse seiner Kindheit nach. In seinem autobiografischen
Doku-Märchen kombiniert Maddin Dokumentaraufnahmen geschickt mit
Re-Inszenierungen, Familienfotos mit alten Filmausschnitten.
Maddins Filme sind ja immer die reine Zitathölle, ein Stilmix aus Film
Noir, surrealistischem Film, Expressionismus, magischem Realismus,
existenzialistischem Humor. Die Schattenspiele, Verwischungen, verfleckten
Bilder und Zwischentitel sind seiner ironisch gebrochenen Stummfilmästhetik
geschuldet, die Starre der häuslichen Szenerien und Steifheit der
Schauspieler verweist auf historische B-Movies. Deshalb vergleicht man ihn
auch abwechselnd mit David Lynch, Buñuel und Ed Wood.
Maddin hat seine Heimatstadt samt seinen frühkindlichen Prägungen zwischen
väterlichem Eishockeyclub und mütterlichem Beauty-Saloon in fast all seinen
Filmen untergebracht. Wo aber Vorgänger wie "The saddest music in the
world" (2003) bei aller Kunstfertigkeit manchmal zu nostalgisch, zu
verkitscht wirken und das ewige Stummfilmzitieren unnötige Schwere und
leichten Überdruss mit sich bringen kann, ist "My Winnipeg" durch den
beseelten Humor, den dokumentarischen Hintergrund und dem Mut zum Aberwitz
von bisher ungeahntem Schwung und herrlicher Leichtigkeit.
8 Feb 2008
## AUTOREN
Christiane Rösinger
## TAGS
Kino
Spielfilm
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