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# taz.de -- Verfassungsrichter zur Online-Durchsuchung: Karlsruhe sieht Trojane…
> Die Verfassungsrichter äußern sich kritisch zum NRW-Gesetz zur
> Online-Durchsuchung. Entscheidende Frage: Ist der Computer Teil der
> Wohnung?
Bild: Bundestrojaner? Nicht nur Demonstranten, auch den Richtern suspekt.
KARLSRUHE taz Dürfen Polizei und Verfassungsschutz bald heimlich die
Computer von Verdächtigen kontrollieren? Am Mittwoch verhandelte das
Bundesverfassungsgericht über diese Frage. Völlig verbieten werden die
Richter die so genannte Online-Durchsuchung wohl nicht. Aber sie könnten so
hohe Hürden errichten, dass die Sicherheitsbehörden faktisch mit den neuen
Befugnissen nichts anfangen können.
Konkret geht es um ein Gesetz aus Nordrhein-Westfalen. Dort darf der
Verfassungsschutz seit Anfang des Jahres auf private Computer zugreifen.
Das Gesetz wurde bisher aber noch nie angewandt. FDP-Politiker Gerhard
Baum, einer der fünf Kläger, kritisierte dennoch: "Mit einem einzigen
Zugriff kann der Staat hier Daten für ein komplettes Persönlichkeitsbild
erheben". Der Vertreter des Landes, der Rechtsprofessor Dirk Heckmann,
entgegnete: "Wir wollen nur auf Internet-Telefonate, den email-Verkehr und
aus dem Netz heruntergeladene Dateien zugreifen".
Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier fragte zwei Mal nach: "Reden wir hier
vom gleichen Gesetz?". Im NRW-Verfassungsschutzgesetz finden sich die von
Heckmann genannten Einschränkungen nämlich nicht. Dort ist einfach vom
"Zugriff auf informationstechnische Systeme", also auf den gesamten
Computer, die Rede. Heckmann räumte denn auch ein, das Gesetz sei
"suboptimal" formuliert. Der Gesetzgeber habe dem Verfassungsschutz weniger
Befugnisse geben wollen, als jetzt im Gesetz stehen. "Wir werden das Gesetz
so auslegen, wie es im Gesetzblatt steht", quittierte Papier die
Interpretationsbemühungen des Landes.
Damit ist das Gesetz aber noch lange nicht verfassungswidrig. Der Vertreter
des NRW-Landtags, der schneidige Verfassungsrechtler Kyrill-Alexander
Schwarz, betonte deshalb gestern: "auch wenn der Verfassungsschutz auf die
gesamte Festplatte zugreifen darf, ist das Gesetz grundgesetzkonform."
Angesichts der terroristischen Bedrohung müsse das Verhältnis von Freiheit
und Sicherheit neu bestimmt werden.
Ob das NRW-Gesetz mit dem Grundgesetz übereinstimmt, interessierte auch die
zahlreich anwesenden Vertreter der Bundespolitik. Denn bei der geplanten
Novellierung des BKA-Gesetzes soll auch das Bundeskriminalamt die Befugnis
zur Online-Durchsuchung erhalten. Diese Pläne spielten in Karlsruhe sogar
eine größere Rolle als das NRW-Gesetz. So warnte BKA-Chef Jörg Ziercke, die
staatliche Gefahrenabwehr drohe erstmals leer zu laufen, weil Gefährder
durch Verschlüsselung ihrer Kommunikation "verfolgungsfreie Räume"
schaffen. Sie speicherten Informationen nicht mehr auf dem eigenen Rechner,
so Ziercke, sondern im World Wide Web. Auf beides könne der die Polizei nur
zugreifen, wenn sie sich heimlich Zugang zum Computer verschaffe und dessen
Kommunikation vor der Verschlüsselung und vor der Auslagerung mitverfolge.
Der Bundestag könnte nun auf das Karlsruher Urteil zum
NRW-Verfassungsschutzgesetz warten, um zu wissen, was er bei der
Novellierung BKA-Gesetzes beachten muss. Die SPD fordert das schon lange.
Staatssekretär August Hanning aus dem Bundesinnenministerium blieb gestern
aber skeptisch: "Nicht alles was für den Verfassungsschutz richtg ist, muss
auch für die Polizei richtig sein", sagte er. Er will, dass das BKA-Gesetz
möglichst schnell beschlossen wird.
Tatsächlich deuteten die Richter am Mittwoch an, dass sie möglicherweise
zwischen Polizei und Verfassungsschutz diferenzieren werden. Wenn der
heimliche Zugriff auf private Rechner nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr
erlaubt wird, dann wäre der Verfassungsschutz außen vor, da er nur
Strukturen und Bestrebungen im Vorfeld konkreter Gefahrenlagen aufklären
soll. Aber auch für die Polizei könnte das Erfordernis einer konkreten
Gefahr Probleme bereiten, weil die Vorbereitung einer Online-Durchsuchung
so aufwändig ist, dass sie eigentlich nur bei einer ganz allgemeinen
Bedrohungslage in Frage kommt. Wenn es schnell gehen muss, also bei der
konkreten Gefahr, ist der Hacker-Angriff wohl zu kompliziert.
Verfassungsrechtliche Weichenstellungen sind mit der Frage verbunden, an
welchem Grundrecht der Eingriff eigentlich gemessen wird. Kläger-Anwalt
Fredrik Roggan sieht die Unverletztlichkeit der Wohnung betroffen: "Der PC
in der Wohnung ist schließlich kein exterritoriales Gebiet". Dirk Heckmann,
der Vertreter der NRW-Landesregierung entgegnete, der PC verdiene weniger
Vertrauen als die heimische Wohnung. "Wenn der Computer ans Internet
angeschlossen ist, muss man vielmehr ständig wachsam sein, vor Viren,
Würmern und Internet-Betrügern". Er will die Online-Dursuchung deshalb nur
am Recht auf Datenschutz messen, bei dem die Hürden niedriger sind. So wäre
zum Beispiel kein Richtervorbehalt erforderlich. Der Kernbereich der
privaten Lebensführung muss aber auf jedenfall geschützt werden.
Großen Raum nahm gestern die Anhörung von Informatikern ein. Deren Warnung,
dass sich ein technisch versierter Computer-Nutzer gegen den Zugriff des
Staates schützen könne, dürfte rechtlich aber nicht ins Gewicht fallen,
schließlich hat der Gesetzgeber einen breiten Einschätzunsspielraum bei der
Frage, welche Polizeimaßnahmen er grundsätzlich für geeignet hält. Für die
Geeignetheit der Online-Durchsuchung argumentierte etwa Ulrich Sieber vom
Freiburger Max-Planck-Institut für Strafrecht: "Es weiß ja jeder
Kriminelle, dass man bei einer Straftat Handschuhe tragen sollte, dennoch
werden immer wieder Straftäter über ihre Fingerabdrücke identifiziert".
Nach Angaben der Sachverständigen kann der Staat auf drei Wegen heimlich
auf einen Computer zugreifen. Zum einen kann er versuchen, Hacker-Software
auf dem Computer zu installieren. Diese Software, so genannte Trojaner,
würde dann bestimmte Inhalte der Festplatte über eine bestehende
Internet-Verbinfung an die Polizei übertragen. Die Installation kann
ebenfalls über das Internet erfolgen, zum Beispiel über eine getarnte
email. Die Anfertigng passender Software könne bis zu 200 000 Euro kosten
und Monate dauern. Für effizienter halten die Informatiker daher die
direkte Manipulation des Computers, etwa bei einem Einbruch. Als dritte
Möglichkeit nannten sie die Messung der elektromagnetischen Abstrahlung des
Computers. Daran ist das BKA allerdings weniger interessiert, weil hier nur
der laufende Betrieb mitverfolgt werden kann. Udo Helmbrecht vom Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik versicherte, dass sein Amt neu
bekannt werdende Schwachstellen nicht zurückhalte, um den
Sicherheitsbehörden, bequemen Zugang zu Computern zu verschaffen. "Wir
veröffentlichen alles sofort, damit sich Industrie und Nutzer wappnern
können", betonte Helmbrecht.
Das Urteil wird für Anfang nächsten Jahres erwartet.
11 Oct 2007
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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