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# taz.de -- Langzeitbeobachtung von Künstlern: Was treibt sie an?
> Wolfgang Tillmans, Gilbert & George, Michel Auder: Drei Filme widmen sich
> der Langzeitbeobachtung dieser Künstler.
Bild: In 18 Jahren Beobachtung erfährt man viel über den Antrieb von Gilbert …
Nach etwa einer Stunde fragt man sich, welches Wunder diesen zwar sehr
sympathischen, aber auch - handelte es sich nicht um Wolfgang Tillmans,
würde man sagen - langweiligen jungen Mann eigentlich dazu brachte, so
verrückte Aufnahmen zu machen wie von den Ratten, die nachts in Tribeca, am
Broadway, aus ihren Rattenlöchern kommen, oder von dem jungen Männ, der im
Linienflugzeug die Hosen runterlässt? Zu diesem Zeitpunkt hat man nämlich
die Hoffnung aufgegeben, Heiko Kalmbachs Dokumentarfilm "If One Thing
Matters" könnte die Frage beantworten: What makes Sammy run? Also was
treibt Wolfgang Tillmans an, was macht ihn zum Künstler und was macht seine
Kunst aus?
Das aber ist die zentrale Frage, die der Dokumentarfilm klären muss, der
uns einen Künstler oder eine Künstlerin vorstellt. Er muss, wenn nicht eine
Antwort, so doch eine Geschichte dazu liefern, warum Ende der 60er-Jahre
plötzlich zwei junge Männer auf die doch ziemlich rätselhafte Idee kommen,
sich in konservative Anzüge zu werfen und während irgendwelcher steifer
Kunst- und Kulturveranstaltungen unvermutet auf Stühle oder andere Sockel
zu steigen, wo sie stumm und reglos verharren, um das Ganze dann zur Kunst
zu erklären, zur "Living Sculpture".
Julian Cole gelingt diese Antwort in seinem Porträtfilm "With Gilbert &
George" leichterdings. Das Künstlerpaar selbst erzählt nämlich sehr klar
ihre künstlerische Biografie. Julian Cole mischt sich in ihre Erzählung
nicht ein. Trotzdem ist er dank seines enormen dramaturgischen
Einfallsreichtums sehr präsent und gibt seiner Langzeitbeobachtung den
Drive einer eigenen visuellen Erzählung. 18 Jahre machen eben einen
Unterschied. 1986 stand er dem Duo erstmals Modell, wobei er auf die Idee
kam, es seinerseits zu seinen Protagonisten zu machen.
Heiko Kalmbach dagegen bekam in den vier Jahren, in denen er Wolfgang
Tillmans folgte, den Frontmann der jungen deutschen Fotografie, die Anfang
der 90er-Jahre von sich reden machte, nicht zu fassen. Gleich sein Einstieg
ist auf unglückliche Weise paradigmatisch für seinen ganzen Film. Denn da
führt ein belangloser Spaziergang entlang der Themse ins Atelier zu einem
genervten Tillmans, der sich über ein Interview verärgert zeigt, in dem er
sich nicht richtig wiedergegeben sieht. Auch in der weiteren Folge wird
immer nur ex negativo erklärt, wie Wolfgang Tillmans tickt. Etwa, wenn er
beim Aufbau einer Installation im Museum Ludwig in Köln ausgesprochen
pampig auf eine Frau reagiert, die nach der genauen Location seiner 2001
entstandenen Fotografie "Wake" fragt. Sein Ärger über die Leute, die,
anders als bei Gemälden, sobald sie ein Foto sehen, immer gleich wissen
wollen, was es darstelle, wirkt kleinlich. Zumal für Baudelaires "Maler des
modernen Lebens", der die fortschrittliche Kunstauffassung des 19.
Jahrhunderts verkörpert, in der auch die Fotografie wurzelt, die Art, wie
er malte, gerade durch das, was er malt, bedingt war.
Noch besser als 18 Jahre sind 40 Jahre Filmmaterial, damit das Porträt des
Menschen als Künstler gelingt. Wobei sich der Verdacht erhärtet, den
Gilbert & George säten, nämlich dass es dazu ganz wesentlich des
Engagements des Künstlers selbst bedarf. Michel Auder jedenfalls ist da in
seinem glatte drei Stunden dauernden Selbstporträt "The Feature" am
klarsten in seiner Aussage, dass er sich als Künstler grundlegenderweise
dem Junkie verdankt, der er ist.
Nicht dem Heroin-Junkie, der er über lange Jahre hinweg war, bis ihn Cindy
Sherman mit ihrem vielen Geld rettete. Denn anders als sie, war Michel
Auder nie ein erfolgreicher Künstler und hatte daher auch nicht die Mittel,
unbeschadet mit der Sucht zu leben beziehungsweise von ihr loszukommen.
Nein, Michel Auder kam schon als Kind durch die Filmkamera auf den Trip.
Spätestens als Jugendlicher konnte er nicht mehr leben ohne sich dabei zu
filmen. "The Feature" zeigt ihn nun als eine merkwürdige Art von
Starfucker, angefangen von seiner Beziehung mit Viva Superstar, die ihn
nach New York und in den Kreis um Andy Warhol brachte, bis hin zu Cindy
Sherman, mit der er 18 Jahre verheiratet war. Merkwürdig deshalb, weil die
5.000 Stunden Filmmaterial, mit denen "The Feature" spielen kann, jede
glamouröse Inszenierung missen lassen, obwohl sie doch eine Welt voller
Stars zeigen. Dennoch präsentiert Auder hier Underground-Geschichte in
großartigem Stil, selbstgefällig und doch kritisch, weil er niemanden
schont, weder sich selbst noch seine Freunde, weder die Kunstwelt noch die
Zuschauer.
14 Feb 2008
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
Brigitte Werneburg
## TAGS
Schwerpunkt Brexit
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