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# taz.de -- Mitläufertum im deutschen Film: Laborratte Mensch
> Deutsche Filmproduktionen freuen sich derzeit an der Unfreiheit ihrer
> Figuren - konsequent, aber entsetzlich uninteressant. Jüngstes Beispiel:
> "Die Welle" von Dennis Gansel.
Bild: Passivität und Mitläufertum: "Die Welle" von Dennis Gansel.
Die wahre Geschichte trägt sich im Jahr 1967 zu, an einer High School in
Palo Alto in Kalifornien. Der Geschichtslehrer Ron Jones zeigt seiner
Klasse einen Film über die Nazizeit. Die Schülerinnen und Schüler können
nicht verstehen, wie ein ganzes Volk sich für diese Ideologie begeistert.
Also unternimmt der Lehrer ein Experiment: Das Dritte Reich wird
nachgestellt. Ron Jones gründet die Bewegung der "dritten Welle". Er wird
vom Kumpeltyp zum autoritären Führer. Die Schülerinnen und Schüler bekommen
Einheitskleidung verpasst. Sie grüßen sich mit einem frisch kreierten
Wellen-Gruß mit der Hand vor der Brust. Der Lehrer schreibt die neuen
Gebote an die Tafel: "Stärke durch Disziplin". "Stärke durch Gemeinschaft".
Das Experiment ist mehr als ein voller Erfolg, nach fünf Tagen unterrichtet
Ron Jones eine Klasse von kleinen Nazis und wird als Führer verehrt.
Diese wahre Geschichte hat an deutschen Schulen in Form des Romans "Die
Welle" von Morton Rhue Karriere gemacht. In ziemlich schlichter Manier will
das pädagogisch wertvolle Buch die Augen öffnen für die Verführbarkeit des
Menschen durch autoritäre Gemeinschaftsideologie. Die Verfilmung fürs
US-Fernsehen aus dem Jahr 1981 ist bei allen Landesbildstellen verfügbar.
Vierzig Jahre nach dem kalifornischen Experiment, nach knapp drei
Jahrzehnten des Buch-Einsatzes im Unterricht, gibt es nun auch einen
deutschen Film zur wahren Geschichte. Er heißt, versteht sich, "Die Welle",
ist von der Constantin-Film produziert und bezieht sich ganz ausdrücklich
nicht auf den Roman, sondern auf die Schilderungen des Lehrers Ron Jones.
Der Lehrer wird von Deutschlands Extremdarsteller Jürgen Vogel gespielt,
und Regie geführt hat Dennis Gansel, der im Presseheft-Interview der
Formulierung nicht widerspricht, die Nazizeit sei so was wie sein
"Steckenpferd".
Tatsächlich hat Gansel schon bewiesen, dass er Nazis kann. Er hat zuletzt
"Napola" (2004) gedreht, vorgeblich einen Film über die Nationalpolitischen
Erziehungslager, in Wahrheit eine wunderbar ausgeleuchtete
Internats-Schmonzette. Napola erzählt vom politisch naiven Friedrich, der
als exzellenter Boxer einen Napola-Mentor findet und sich der
Nazi-Elite-Gemeinschaft nur widerstrebend zu entziehen lernt. Er leistet,
dem Vorbild seines besten Freundes, des aktiv renitenten Nazisohns Albrecht
Stein (Tom Schilling) sehr zögerlich folgend, denkbar passiven Widerstand.
(Auch mit Albrechts Aktivität ist das so eine Sache: Er endet durch
Unterwasser-Selbstmord in wiederum hervorragend ausgeleuchteten Bildern.)
Wie sehr die Passivität als Zuschauer-Identifikationsangebot bei Gansel
Methode hat, begreift man spätestens in "Die Welle". Die Rolle des Marco,
wie die des Friedrich in "Napola" von Max Riemelt gespielt, funktioniert
ähnlich. Hier ist es seine Freundin Karo (Jennifer Ulrich), die Widerstand
leistet, zunächst allerdings vor allem deshalb, weil ihr die weißen
Uniformhemden nicht stehen. Anders als in der Wirklichkeit und auch anders
als im Roman endet das Eskalationsszenario des Films mit einem Knall, der
das dramaturgische Durcheinander, das die meiste Zeit herrscht, durch
Überdeutlichkeit kompensiert. Beide Filme verstehen sich - natürlich - als
Warnung und beide Filme erzählen von der Lust an der Unfreiheit und davon,
wie sie dem Protagonisten zu guter Letzt erst vergeht. Leider nur werden
sie zu Exempeln ebenjener selbst verschuldeten Unmündigkeit, deren Ursachen
zu demonstrieren sie angetreten sind.
Das hat viel zu tun mit der bestürzenden bildpolitischen Naivität von
Regisseur Gansel, der aus lauter Liebe zum gut aussehenden Handwerk dieser
Lust an der Nazi- und Wellengemeinschaft immer mal wieder selbst verfällt.
Was als Konzept ja mutig wäre, wenngleich heikel, wie etwa vom diesjährigen
brasilianischen Goldener-Bär-Gewinner "Tropa de Elite" vorgeführt. Der
erzählt seine Favela-Geschichte mit viel Sinn fürs Detail aus faschistoider
Perspektive und zwingt den Betrachter zur ständigen Auseinandersetzung mit
den dergestalt nahegelegten simplen Lösungen. Dennis Gansel aber, der im
DVD-Audio-Kommentar zu "Napola" vor allem von aufwendig hergestellter
Tonspur und Hochglanzbodenpolitur schwadroniert, ist von derartigen
Überlegungen denkbar weit entfernt.
In keiner Sekunde hat "Die Welle" ein irgendwie interessantes Konzept zu
den Entstehungsbedingungen der vorgeführten faschistischen Jugendbewegung.
Abgründig an dem Film ist einzig sein Biedersinn. Dialoge aus dem
Didaktik-Lehrbuch werden aufgesagt, und Szene für Szene wird nur brav
bebildert, was nie ein Gedanke war und darum auch immer nur Klischeebilder
produziert. So bezeichnend wie grundfalsch ist die Idee, die Geschichte aus
allen genaueren geografischen und sozialen Zusammenhängen zu lösen. So
spielt alles im gesellschaftlich luftleeren Raum, der beim location
scouting zu einem absurden Deutschlandbild zusammengecastet worden ist:
hier ein bisschen Berlin, da handelsüblich hässliche Schularchitektur und
dort des Lehrers hübsches Häuschen am See.
Vor allem aber unterstellt "Die Welle" wie schon "Napola" einen
Verhaltens-Determinismus, der das Mitläufertum als die natürlichste Sache
der Welt erscheinen lässt. Die Experimentalanordnung, die wenig zimperlich
aus dem Palo Alto des Jahrs 1967 in die Gegenwart rüberkopiert worden ist,
soll beweisen, was sie voraussetzt: dass der Mensch nämlich ist, wie er
ist. Weil er Parabel ist, glaubt er, muss der Film sich ums Detail und ums
Individuelle nicht kümmern. Weil er die Wahrheit kennt, tut es das
Abziehbild auch, denn am Abziehbild wird immer sofort evident, was man
schon weiß. "Die Welle" versteht sich als nachgestellte
Experimentalanordnung und beruft sich als solche ganz genauso wie Oliver
Hirschbiegels "Das Experiment" (2001) auf etwas, das dann die Natur des
Menschen wäre.
Geschichte kommt darum nicht vor, weder als Lebenslauf des Einzelnen noch
als Konstellation einer sozialen Situation. Der Mensch in seiner Unfreiheit
ist bloß die Laborratte, die man aus der wissenschaftlichen Literatur oder
der genau verorteten Konstellation oder eben auch aus der konkreten
Geschichte ins Nirgendwo einer vermeintlichen Allgemeingültigkeit
transportiert. Das Prinzip der Verallgemeinerung ist dabei nicht die
Schärfung und Zuspitzung, sondern die Reduktion: des Individuums auf die
Versuchsmaus, des Verhaltens auf seine Determinierung, des Charakters auf
Typen und Stereotype (der Übereifrige, der Mitläufer, die Gekränkte, die
Hippietochter etc. etc.) und der persönlichen Entscheidung auf ihre
Motivation. Das Verblüffende - und zugleich sehr Zeitgemäße - dieser Filme
ist, dass sie auf scharfe Kritik an dem, was früher mal "autoritärer
Charakter" hieß, so sehr verzichten wie aufs Analysieren von
Zusammenhängen. Vielmehr ist es ihnen durchaus eine Lust, dabei zuzusehen,
wie unfreie Wesen tun, was unfreie Wesen tun müssen. Nämlich blind und
fremdbestimmt ins Verderben zu laufen.
Immerhin sind, was beinahe noch für sie spricht, "Die Welle" und "Napola"
einfach nur töricht. Produkte eines Regisseurs, der die Nazizeit als
Steckenpferd reitet und dabei ganz auf die Sekundärtugend Handwerk fixiert
ist, eines Regisseurs also, für den Kunst von Angeberei kommt und nicht vom
Finden einer Form für einen Gegenstand. Sehr viel zynischer wird das
behavioristische Menschenbild von Oliver Hirschbiegel exekutiert, der für
"Das Experiment" zwölf Männer ins Gefängnis steckt und sie dort dann
vorführen lässt, auf wie viele verschiedene Arten Menschen zu Schweinen
werden, wenn man ihnen nur die Möglichkeit bietet. Ganz wie bei Dennis
Gansel, nur in umgekehrter Entstehungsreihenfolge, wird die
Experimentalanordung bei Hirschbiegel durchs Nazifilm-Stück zum
Unfreiheits-Diptychon ergänzt. Im "Untergang" - wie Gansels Filme von der
Constantin produziert - bekommt es die Mitläufer-Heldin Traudl Junge im
Bunker mit einem Zoo gemeingefährlicher Irrer zu tun, der dem Ende in
blinder Führer-Ergebenheit entgegenfiebert.
Wie ja überhaupt der Zoo die einzig passende Metapher ist, um den Blick
dieser Nachwuchskräfte deutscher Filmindustrie auf die
Vergemeinschaftungsformen des Menschen zu beschreiben. Mit angemessener
Subtilitätsverweigerung hat der einstige Theaterkönner Leander Haußmann die
Sache unlängst auf ihre evolutionstheoretische Variante gebracht. "Warum
Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" ist ein Film, der von
Opas Kino abstammt wie der Mensch vom Neandertaler, der in ihm steckt.
Weshalb er sich zum Affen macht, der er im Grunde auch ist. Nimmt man Oskar
Roehlers "Elementarteilchen"-Verfilmung für die Constantin hinzu, die
Michel Houellebecqs reaktionäre Ergüsse restlos verspießert, wird daraus
eine sehr runde Sache.
Jeder für sich sehen all diese hohlen, langweiligen, ästhetisch entsetzlich
biederen Filme einfach nur uninteressant aus - Dennis Gansels "Die Welle"
in seiner Unbeholfenheit übrigens ganz besonders. Stellt man sie aber
nebeneinander, wird der Eindruck ein anderer. Der gesellschafts- und
geschlechterpolitische Rollback, den all diese Filme gerade in ihrer
Plumpheit exekutieren, erweist sich dann als so flächendeckend wie
konsequent.
12 Mar 2008
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Film
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