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# taz.de -- Tempelhofer in der Einflugschneise: Himmlische Aussichten in der Ga…
> Die meisten Stimmen für den Flughafen Tempelhof wurden im Bezirk
> Tempelhof-Schönefeld gesammelt. In der Siedlung Neu-Tempelhof aber sind
> die Flughafengegner in der Mehrheit. Sie leiden seit Jahrzehnten unter
> Fluglärm.
Bild: Idylle vor der Landebahn: Die Gartenstadt Tempelhof vor dem Flughafen
Besonders laut war es während der Fußball-Weltmeisterschaft. "Im
Drei-Minuten-Takt sind sie im Juni 2006 in Tempelhof gelandet, Tag und
Nacht", erinnert sich Herbert Meyer. Von seinem Garten im Kleineweg konnte
sie der pensionierte Diplomingenieur genau beobachten: die Klein- und
Sportflugzeuge, die Privatjets der Schönen und Reichen - und natürlich die
Verkehrsmaschinen der paar Airlines, die dem City-Airport Tempelhof die
Treue hielten. Herbert Meyer kennt sich aus mit der Fliegerei, das
idyllische Häuschen mit 370 Quadratmeter Garten hat er 1972 gekauft. Ein
"Planespotter" ist er dennoch nicht. Nichts wünscht sich Herbert Meyer
sehnlicher, als dass der Flughafen Tempelhof geschlossen wird.
Der Kleineweg ist, wie die gesamte Siedlung Neu-Tempelhof, ein Ort des
Kontrastes. Auf dem Tempelhofer Damm - dem Te-Damm, wie man ihn hier nennt
- braust der Autoverkehr, ebenso wie auf der Stadtautobahn, die die
Siedlung im Süden begrenzt. Dazwischen aber, auf 180 Hektar Fläche, liegt
die vielleicht zentral gelegenste Vorstadt Berlins. Stolz kramt Herbert
Meyer den Prospekt aus dem Jahr 1925 hervor. "Eigener Herd ist Goldes wert"
lautete das Motto, mit dem die "Eigenheime auf dem Tempelhofer Feld"
verkauft werden sollten. Was vor dem Ersten Weltkrieg von Architekten wie
Bruno Möhring mit repräsentativen Eckbauten in der späteren
Manfred-von-Richthofen-Straße begonnen wurde, sollte nun - unter den
Vorzeichen von Licht, Luft und Sonne - rechts und links der Boelckestraße
vollendet werden. Ein jedem sein Haus, ein jedem sein Garten, und das zu
erschwinglichen Preisen. Der Zentralflughafen Tempelhof, der größte
Flughafen Europas und das drittgrößte Gebäude der Welt, war damals noch
nicht gebaut.
Das Dachzimmer im Kleineweg ist das improvisierte Büro von Herbert Meyers
Ein-Mann-Bürgerinitiative. Von hier kann er die Flieger beobachten, die
knapp über den parzellierten und wohlbepflanzten Gärten zur Landebahn
brummen. Hier hat er auch seinen Rechner, in dem all die Leserbriefe,
Vorschläge zur Nachnutzung und Fotos abgespeichert sind. Nolens volens ist
Meyer über die Jahrzehnte zum Beobachter der Hochs und Tiefs im Himmel über
Tempelhof geworden.
Kein Nachtflugverbot
An zwei Zäsuren kann sich Meyer noch besonders genau erinnern. "Mit der
Inbetriebnahme von Tegel wurde Tempelhof 1975 für die zivile Luftfahrt
gesperrt", sagt er. "Das bedeutete weniger reguläre Flüge und weniger
Lärm." Die Übernahme des Flughafens durch die US-Luftwaffe aber ging einher
mit Hubschrauberflügen und Militärtransportern. "Eigentlich galt für die
Fliegerei ein Nachtflugverbot", sagt Meyer. "Bei den Amerikanern war es
außer Kraft gesetzt."
Die zweite Zäsur, das war einige Jahre nach dem Fall der Mauer. Damals
gingen die Amerikaner und die Vorläufer der Billigairlines kamen. Die
hießen Eurowings, Germania oder East-West und flogen nach Riga, Rotterdam
oder Brüssel. "Da wurde es wieder laut über unserm Garten", erinnert sich
Meyer.
Und nun steht die dritte Zäsur vor der Tür. Entweder es wird wieder ruhig
über Neu-Tempelhof, ganz so wie 1925, als die Siedlung gegründet wurde.
"Oder wir erleben einen Lärm, wie wir ihn bisher nicht kennen", rechnet
Herbert Meyer vor. "Die 60.000 Flugbewegungen im Jahr, die die
Tempelhofbefürworter ins Spiel bringen, bedeuten in Stoßzeiten Starts und
Landungen alle fünf bis sechs Minuten."
Etwas weiter nördlich betreibt Jürgen Müller seit fast 40 Jahren eine
kleine Offsetdruckerei. In den Medien wurde der 67-Jährige wegen seines
Sohnes bekannt. Der heißt Michael, ist Landes- und Fraktionsvorsitzender
der Berliner SPD und einer der Verantwortlichen für die Stilllegung des
Flughafens Tempelhof zum 31. Oktober. In der Druckerei in der
Manfred-von-Richthofen-Straße dagegen hängt ein Plakat der Icat, der
Bürgerinitiative für die Offenhaltung des City-Airport Tempelhof.
Für Jürgen Müller ist es schlicht und ergreifend Nostalgie, die ihn auf
Abstand zum prominenten Sohn gehen lässt: "Ich bin nebenan am Kaiserkorso
groß geworden, deshalb bin ich dem Flughafen ganz besonders verbunden. Es
ist der erste Verkehrsflughafen der Welt und auch der schönste." Und dann
ist da noch die Luftbrücke. "Ich sehe die Amerikaner heute sehr kritisch,
aber damals haben sie uns geholfen."
Ganz die Bodenhaftung hat aber auch Jürgen Müller nicht verloren. Einen
Flughafen für Reiche, wie ihn der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedbert
Pflüger fordert, lehnt er kategorisch ab. Dafür ist der langjährige
Ortsvereinsvorsitzende viel zu sehr SPD-Mann. Aber auch die Offenhaltung
als regulärer Verkehrsflughafen, wie sie die Icat anstrebt, ist ihm nicht
geheuer. Sie bedeuten ein Mehr an Fluglärm, das weiß auch Jürgen Müller.
"Die meisten Befürworter würden am liebsten alles so behalten, wie es ist",
räumt er ein. Jürgen Müller sagt, dass er inzwischen einer Minderheit
angehört. "Die Mehrheit in der Siedlung will Tempelhof schließen", ist er
überzeugt.
Doch so kontrastreich wie der Übergang zwischen Flughafen und der
Gartenstadt mit ihren tausend Einfamilienhäusern ist auch die Haltung ihrer
Bewohner zur Frage des Flughafens. Der Lokalhistoriker Friedhelm Schmuck,
der in der Tempelhofer Bücherstube ein kleines Büchlein über die Geschichte
der Gartenstadt Neu-Tempelhof vertreiben lässt, berichtet auch von der
Verbitterung, die der Schließungsbeschluss in der Siedlung ausgelöst hat.
"Auf dem Teil des Flughafens, der der Neuköllner Seite zugewandt ist",
zitiert er einen Vorschlag, den er auf der Richthofen-Straße aufgeschnappt
hat, "sollte ein Straf- und Umerziehungslager für türkische und andere
ausländische Intensivtäter eingerichtet werden."
So populistisch dieser Vorschlag daherkommen mag - das Argument kennt in
der Siedlung jeder. Es hat sogar einen Namen: Hasenheide-Effekt. Sollte der
Flughafen geschlossen und das Flugfeld geöffnet werden, so lautet die
Befürchtung, bereiten jugendliche Gewalttäter und Drogendealer der
Gartenstadtidylle ein jähes Ende.
Es sind vor allem die Älteren, denen solche Szenarien Furcht einflößen. Und
Ältere gibt es viele in der Gartenstadt, in der fast alle Häuser
Wohneigentum geblieben sind und von den Alten an die Kinder und
Kindeskinder weitervererbt werden. Neu-Tempelhof, die größte Vorstadt im
Zentrum Berlins, ist nicht nur eine Idylle mit Eigenheim und parzelliertem
Garten. Es ist auch eine Kleinbürgeridylle, in der jeder jeden kennt und
jede Veränderung misstrauisch beäugt.
Gleichwohl geht die Zeit auch an Neu-Tempelhof nicht spurlos vorüber. Am
besten weiß das Hartmut Hochbaum. "Es hat in den vergangenen Jahren viele
Zuzüge gegeben", sagt der Pfarrer der evangelischen Paulus-Gemeinde, zu der
auch Neu-Tempelhof gehört. "Vor allem junge Familien sind gekommen."
Schutz vor Veränderung
Nicht nur jünger ist die Siedlung mit den Neuen geworden, auch offener, wie
die Diskussionen zum Flughafen im Gemeindebrief zeigen. "Für den einen
bedeutet der Flughafen Lärm, Kerosin und Gefährdung", sagt Pfarrer
Hochbaum. "Für andere ist er auch ein Schutz gegen Veränderung." Nicht nur
der Hasenheideeffekt erregt zwischen Tempelhofer Damm und
General-Pape-Straße die Gemüter. Auch die Vorstellung, auf dem
Flughafengelände gebe es bald einen Rummel nach dem andern, trübt die
Stimmung. "Dann kommen die Besucher in Scharen vom Bahnhof Südkreuz durch
die Siedlung", zitiert Hochbaum eine der Befürchtungen.
So kontrovers die Leserbriefe im Gemeindebrief sind - er selbst habe sich
entschieden, sagt Hochbaum: "Ich bin gegen die Fortsetzung des
Flugbetriebs." Zwar bestehe die Gefahr, dass mit der Schließung von
Tempelhof auch die Preise steigen. "Doch der Zuwachs an Lebensqualität ist
größer."
17 Apr 2008
## AUTOREN
Uwe Rada
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