# taz.de -- Volksentscheid: Sehnsucht nach Tempelhof | |
> Mit ihrer Nostalgiekampagne zur Offenhaltung von Tempelhof greift die CDU | |
> tief in die Westberliner Geschichtskiste. Statt zusammenzuwachsen droht | |
> Berlin eine neue Spaltung in West und Ost. | |
Bild: Tempelhof, ein mit Nostalgie behaftetes Gelände. | |
Auch wenn es sich inzwischen eingebürgert hat, den Bau der Mauer als die | |
Geburtsstunde Westberlins und der Berliner Teilung zu begreifen - ein | |
Westberlin-Feeling gab es viel früher. Es war die Erfahrung der Blockade | |
1948/49, der Durchhaltewillen der Westberliner sowie der Einsatz der | |
US-Streitkräfte, die sich mit ihrer Luftbrücke zu Westberlin bekannten. Der | |
Flughafen Tempelhof ist damit nicht nur ein Symbol der Freiheit, wie es das | |
Luftbrückendenkmal aus dem Jahr 1951 verkörpert. Er ist auch ein | |
konstitutives Moment der Berliner Geschichte. Ohne Tempelhof keine Teilung, | |
kein Mauerbau, kein 68, keine Hausbesetzer, kein Mauerfall. | |
Das ist der Klang der Geschichte, der mitschwingt, wenn die | |
Wahlberechtigten in einem Monat darüber abstimmen, ob der Flughafen | |
Tempelhof geschlossen wird oder der Betrieb für ein paar Geschäftsflieger | |
fortgesetzt werden soll. Ein Klang, dem vor allem CDU-Fraktionschef | |
Friedbert Pflüger seine Stimme verleiht. Zum Beispiel, wenn er in seinem | |
"Berlin.Blog" vom 8. Februar 2008 von seiner Begegnung mit dem heute | |
87-jährigen Gail Halvorsen berichtet. "Heute um kurz vor 10 Uhr habe ich | |
auf dem Flughafen Tegel Gail Halvorsen begrüßt", schreibt Pflüger. "Er wäre | |
anstelle von Tegel sicher lieber in Tempelhof gelandet - auf dem Flughafen, | |
den er während der Blockade als Pilot der Luftbrücke 123-mal anflog, um | |
Hilfsgüter in den abgeschnittenen Teil Berlins zu transportieren und damit | |
am Leben zu halten." | |
Und dann greift Pflüger, der Hannoveraner, der im Wahlkampf schon mal seine | |
Heimatstadt gegen Berlin in Stellung brachte, tief in die Westberliner | |
Geschichtskiste. "Als ich mit Gail dann wenig später wirklich wieder vor | |
,seinem' Flughafen Tempelhof stehe, braucht er nicht viele Worte, um die | |
Stimmung von damals zu beschreiben. Er erinnert sich an die Flüge dicht | |
über den Dächern Berlins." Dabei, berichtet Pflüger, "lacht er und erzählt, | |
dass er auch beim soundsovielten Flug mit den Flügeln wackelte. Dies war | |
das Zeichen an die Kinder der in Trümmern liegenden Stadt - gleich regnet | |
es Schokolade, angebunden an kleinen Taschentüchern - kleine Fallschirme | |
des Glücks im tristen, beschwerlichen Blockadewinter 1948/49." | |
Blockade, Luftbrücke, Tempelhof. Für viele ist das noch heute der Stoff, | |
aus dem Westberlin gemacht ist. Die 2,34 Millionen Tonnen Lebensmittel, | |
Kohle, Benzin und Medikamente, die die Piloten der Luftbrücke ab dem 26. | |
Juni 1948 fast ein Jahr lang im Dreiminutentakt nach Tempelhof flogen, | |
haben sich tief im kollektiven Gedächtnis Westberlins festgesetzt. Das | |
schließt auch Piloten wie Gail Halvorsen ein. Der war mit seinen | |
Süßigkeiten, die er bei der Landung auf Tempelhof abwarf, nicht nur ein | |
Held der Luftbrücke. Er war auch der Erfinder des "Rosinenbombers" - dieser | |
weiteren Zutat in der Westberliner Erinnerungsküche. | |
Zum kollektiven Gedächtnis Westberlins, zu Blockade, Luftbrücke und | |
Tempelhof gehört aber auch der Trotz, mit dem Ähnliches im weiteren Verlauf | |
der Geschichte verhindert werden sollte. Mit dem späteren Kraftwerk Reuter | |
wurde eine eigenständige Energieversorgung aufgebaut. Eine Senatsreserve | |
hielt bis zur Wiedervereinigung Lebensmittel, Fahrräder und Benzin vor. Den | |
Studenten, die 20 Jahre nach der Luftbrücke gegen den US-Krieg in Vietnam | |
protestierten, wurde ein knappes "Geht doch nach drüben!" | |
entgegengeschleudert. Das Überleben Westberlins, das vor sechzig Jahren mit | |
der Luftbrücke gesichert wurde, hat zweifelsohne auch seine negativen | |
Seiten hervorgebracht - Wagenburgmentalität und Frontstadtdenken. | |
Doch das spielt für die CDU und ihren Frontmann Pflüger keine Rolle. Die | |
Luftbrücke als Symbol und Tempelhof als ihr Geschichtsort ist der | |
emotionale Kern einer Nostalgiekampagne, der sowohl der Bezug zu den | |
Schattenseiten der Geschichte als auch zum Hier und Jetzt abhanden gekommen | |
ist. So forderte Friedbert Pflüger nach seiner Begegnung mit Gail Halvorsen | |
nicht nur, eine Berliner Straße nach dem Helden der Luftbrücke zu benennen. | |
Auch dann, wenn es um die Zukunft des Flughafens geht, greift er auf die | |
historische Symbolik zurück. Tempelhof, so seine griffige Formel, soll zu | |
einer "Luftbrücke der Ideen werden". Im Rückblick auf Tempelhof wird alles | |
Geschichte - und schöngeredet. | |
Umso erstaunlicher ist es, dass der Griff in die Westberliner | |
Geschichtskiste Wirkung zeigt. Vor allem in den Westberliner Bezirken war | |
die Zustimmung zum Volksbegehren für die Offenhaltung Tempelhofs groß. Die | |
meisten Pro-Tempelhof-Stimmen kamen mit 40.622 aus Tempelhof-Schöneberg | |
selbst. Es folgten Steglitz-Zehlendorf mit 37.668 Stimmen, | |
Charlottenburg-Wilmersdorf (28.730) und Neukölln (24.079). Am geringsten | |
war die Pro-Tempelhof-Stimmung in den Ostbezirken Marzahn-Hellersdorf | |
(2.394) und Lichtenberg (3.123). Insgesamt hat die Interessengemeinschaft | |
City-Airport Tempelhof (Icat) 204.907 gültige Unterschriften gesammelt - | |
nur etwa 170.000 wären nötig gewesen, um den Volksentscheid vom 27. April | |
zu erzwingen. | |
Der bisherige Erfolg des Volksbegehrens bleibt auch nicht ohne Wirkung auf | |
die SPD. Er habe das "emotionale Potenzial" von Tempelhof unterschätzt, | |
räumte SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller beim Beginn der | |
Gegenkampagne Ende Februar ein. Mittlerweile sei es "spürbar, dass viele | |
Berliner an Tempelhof hängen". | |
Michael Müller hat es sogar in der eigenen Familie spüren können. Anders | |
als der SPD-Landeschef bekennt sich Vater Jürgen Müller, selbst ein | |
SPD-Kämpe, ausdrücklich zur Fortsetzung des Flugbetriebs in Tempelhof. In | |
sein Schaufenster hat der Drucker sogar ein Plakat der Icat gehängt. | |
"Ich will, dass in Tempelhof weiter die kleinen Fluglinien starten und | |
landen können. Und mich ärgert, dass sich nicht mehr SPD-Mitglieder zu dem | |
City-Airport bekennen", erklärt Jürgen Müller - ausgerechnet in der | |
Bild-Zeitung, die dem rot-roten Senat durch eine gepflegte Feindschaft | |
verbunden ist. Am Beispiel der Müllers wird deutlich, wie sehr das Thema | |
Tempelhof auch zu einer Generationenfrage geworden ist. Wer die Luftbrücke | |
erlebt hat, hat ein anderes Verhältnis zu Tempelhof - und zu den | |
Amerikanern - als die Generation danach. | |
Dabei hätte die SPD allen Grund, mit Zuversicht in die Auseinandersetzung | |
zu gehen - auch in die mit der Geschichte Westberlins. Anders als die | |
Westberliner Studentenbewegung, der der Protest gegen Vietnam wichtiger war | |
als die "verordnete Dankbarkeit" gegenüber den Amerikanern, und anders auch | |
als die Hausbesetzerbegwegung, die unter anderem gegen die US-Besatzer | |
mobilmachte, hat die SPD das Thema Tempelhof und Luftbrücke nie verdrängt. | |
Mehr noch: Es war ein SPD-Politiker, der erste Regierende Bürgermeister | |
Ernst Reuter, der die Westberliner während der Blockade zum Durchhalten | |
aufgefordert hatte. Noch heute bekannt ist seine Rede vor dem ausgebrannten | |
Reichstagsgebäude, in der er die "Völker dieser Welt" aufforderte, "auf | |
diese Stadt" zu schauen. Und war es nicht Willy Brandt, der im historischen | |
Augenblick des Mauerfalls seiner Freude Ausdruck verlieh, indem er sagte, | |
nun wachse zusammen, was zusammengehört? | |
Doch gilt das mit dem Zusammenwachsen auch für Friedbert Pflüger? Es war | |
der Landeschef der Linkspartei, Klaus Lederer, der im Zusammenhang mit dem | |
Volksentscheid darauf hinwies, dass ein Festhalten an Tempelhof eine | |
"rückwärtsgewandte Sichtweise" wäre, "die die Stadt wieder in zwei Hälften | |
teilt". | |
Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt nicht nur | |
die geringe Resonanz der Ostberliner auf das Volksbegehren. Skeptisch | |
hinsichtlich der Botschaft der CDU ist auch die Icat, auf deren | |
Volksbegehren Pflüger aufgesprungen ist. Die Bürgerinitiative für den | |
Erhalt von Tempelhof ist klug genug, keinen Nostalgiewahlkampf führen zu | |
wollen. Warum sollte sie auch? Schließlich geht es den Inhabern von | |
Airlines und den Geschäftsfliegern im Icat-Umfeld um ganz andere, soll | |
heißen gegenwärtige Interessen. Tempelhof ist nicht nur Erinnerung, es ist | |
auch ein Geschäft. | |
Riskant ist die Erinnerungsschlacht um Tempelhof also nicht nur für die | |
SPD, sondern auch für die CDU selbst. Und das gleich doppelt. Mit einer | |
puren Retrokampagne nämlich nähren die Christdemokraten den Verdacht, dass | |
sie außer einem Geschäftsflughafen für ein paar VIPs oder einer | |
Privatklinik mit angeschlossener Landebahn keine Vorstellung haben, was aus | |
diesem Gelände, größer als der Tiergarten, in Zukunft werden soll. | |
Die SPD und ihre Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer dagegen | |
haben, wenn auch reichlich spät, mit der Idee einer Internationalen | |
Bauaustellung für einen Landschaftspark gezeigt, dass sie sich diesen | |
Zukunftsfragen stellen. | |
Schwerer noch aber wiegt die zweite Gefahr, in die Pflüger seine CDU | |
manövriert. Mitten hinein in eine Zeit, in der die Völker der Welt - oder | |
zumindest ihre Jugend - tatsächlich auf diese Stadt schauen und in Scharen | |
ins hippe, coole und ganz und gar gegenwärtige Berlin pilgern, positioniert | |
Pflüger die CDU erneut als Westberliner Frontstadtpartei. Kurzfristig mag | |
er damit Erfolg haben. Langfristig ist das das Aus für eine Volkspartei in | |
einer Stadt, die auch dafür steht, ein Labor der Einheit und eine | |
kulturelle Drehscheibe im neuen Europa zu sein. | |
Ganz anders dagegen die SPD. Die hat mit ihrer rot-roten Koalition dazu | |
beigetragen, auch die parteipolitische Teilung zu beenden. Die SPD ist | |
heute die einzige Partei, die den Präfix West oder Ost hinter sich gelassen | |
hat. | |
Noch aber ist es der SPD nicht gelungen, die Sehnsucht der CDU nach | |
Tempelhof als Absage an das neue, vereinte, weltoffene Berlin zu entlarven. | |
Im Gegenteil: Mit seiner Weigerung, den 60. Jahrestag des Beginns der | |
Luftbrücke am 26. Juni feierlich zu begehen, gibt Klaus Wowereit seinem | |
Kontrahenten Pflüger neue Munition. Zudem leistet er dem eigentlich | |
haltlosen Vorwurf Vorschub, mit der Schließung von Tempelhof solle auch die | |
Erinnerung an Blockade und Luftbrücke entsorgt werden. | |
Dabei wäre dieser Vorwurf - immerhin der Kern der Nostalgiekampagne der CDU | |
- ganz einfach aus der Welt zu räumen. Warum soll an diesem 26. Juni nicht | |
ein symbolischer Grundstein für einen Themenpark Luftfahrt gelegt werden, | |
den auch der rot-rote Senat unterstützt. Und ganz oben auf der Gästeliste | |
natürlich Gail Halvorsen, jener Held der Luftbrücke, der mit seinem | |
Rosinenbomber die Herzen der Berliner im Sturm eroberte. | |
27 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tempelhofer in der Einflugschneise: Himmlische Aussichten in der Gartenstadt | |
Die meisten Stimmen für den Flughafen Tempelhof wurden im Bezirk | |
Tempelhof-Schönefeld gesammelt. In der Siedlung Neu-Tempelhof aber sind die | |
Flughafengegner in der Mehrheit. Sie leiden seit Jahrzehnten unter | |
Fluglärm. | |
Tempelhof: Tempelhoffans völlig zerstritten | |
Wirtschaftsverbände wollen aus Tempelhof einen Landeplatz für Promis | |
machen. Die Initiative Icat hingegen möchte einen echten Flughafen mit | |
60.000 Starts und Landungen - dreimal mehr als jetzt. | |
Volksentscheid über den CDU-Fraktionsvorsitzenden: Der Tief-Pflüger | |
Der CDU-Fraktionschef steckt in der Klemme: Das Volksbegehren zum Flughafen | |
Tempelhof spricht vor allem Stammwähler an. Doch Pflügers Karriere droht | |
abzustürzen, bringt er die Partei nicht auf liberalen Kurs. |