# taz.de -- Tour durch die sozialen Unterschiede: Mit dem Fahrrad rund um Madrid | |
> Die spanische Hauptstadt gilt nicht gerade als fahrradfreundlich: zu viel | |
> Verkehr, zu heiß. Aber auf dem grünen Hauptstadtring kann man sie aus | |
> ganz ungewohnter Perspektive erkunden | |
Bild: Reifenpanne bei der Rundfahrt | |
Mit dem Fahrrad rund um Madrid | |
VON REINER WANDLER | |
Treffpunkt, 9 Uhr morgens, Zoo, Madrid. Heute geht es nicht in die Berge. | |
Statt wie sonst üblich bei langen Wanderungen dem hektischen Stadtleben zu | |
entweichen, wollen wir heute genau das Gegenteil machen. Wir werden die | |
spanische Hauptstadt neu entdecken, indem wir sie mit dem Fahrrad auf dem | |
Anillo Verde Ciclista - dem Grünen Fahrradring - umfahren. Den gibt es erst | |
seit Mai letzten Jahres, denn das Rad ist in der stark befahrenen, engen | |
Madrider Innenstadt noch recht selten und auch politisch noch kaum | |
angekommen. Jetzt im Frühling bietet sich eine Radtour an, denn im Sommer, | |
wenn brütende Hitze über der Stadt liegt,wäre das geradezu mörderisch. Vor | |
uns liegen 64 Kilometer Radweg. | |
Die Route führt durch die äußeren Stadtteile Madrids, ihre Parks und | |
Sportanlagen. Es ist eine Reise durch die sozialen Unterschiede der | |
Hauptstadt. Überall gehen die Einwohner ihren Samstagsbeschäftigungen nach. | |
Hier wird ein Auto gewaschen, dort schleppt jemand Einkaufstüten nach | |
Hause. Die Parks füllen sich. Nach einigen Tagen Regen genießen viele den | |
warmen Morgen. Auf den Fußballfeldern spielen irgendwelche Jugendvereine | |
der Regionalliga. Die Szenen gleichen sich und sind bei genauerem | |
Hinschauen doch verschieden. Im Süden verbergen rote Backsteinfassaden | |
kleine, enge Wohnungen. Einfamilienhäuser gibt es keine. Spanische Rentner | |
und Immigranten bestimmen das Straßenbild. Im Norden sind die Wohnungen | |
groß und hell. Zwischen den Wohnblocks wurden Schwimmbäder und Spielplätze | |
angelegt. Hier lebt das betuchtere Madrid. Wenn es überhaupt Ausländer | |
gibt, kommen sie aus der EU. Wer noch mehr Geld hat, lebt in einer Siedlung | |
mit Einfamilienhäusern. Im Süden hat das geliebte Auto schon ein paar Jahre | |
hinter sich. Im Norden sind Pkws neuesten Datums. Viele tragen stolz einen | |
Stern oder vier Ringe auf der Haube. | |
Wir fahren zunächst Richtung Süden, um dann im Osten der Stadt Richtung | |
Norden zu strampeln. Danach geht es auf der Westseite zum Ausgangspunkt | |
zurück. Quer durch die Casa de Campo, Madrids Stadtwald, erreichen wir die | |
südlichen Stadtteile. Das leichte Gefälle ist genau das Richtige, um sich | |
warm zu strampeln. Wir durchqueren mehrere Parks und genießen den Ausblick. | |
Gegen Norden erhebt sich die Stadt. Die höchsten Gebäude im Zentrum und die | |
Bürotürme im Norden bilden die Skyline Madrids. Dahinter liegt die Sierra | |
de Guadarrama. | |
Bald schon ist es vorbei mit der Gemütlichkeit. Die Madrider Geografie | |
zeigt ihr wahres Gesicht. Wir sind mit 535 Meter über dem Meer am tiefsten | |
Punkt der Tour angelangt. Die spanische Hauptstadt liegt am Rio Manzanares, | |
den wir hier kreuzen. Der Fluss führt seit Millionen Jahren das | |
Schmelzwasser aus der Sierra Richtung Tajo, der dann bei Lissabon in den | |
Atlantik mündet. Nach und nach hat er sich tief in die kastilische | |
Hochebene eingegraben. Kleiner Zuflüsse taten das ihre. Das Ergebnis ist | |
eine zerfurchte, hügelige Landschaft. Was vom Auto aus oft eben erscheint, | |
geht in Wirklichkeit auf und ab. Lange Anstiege zehren an der Kondition. | |
Dann geht es wieder bergab. Alles war umsonst. Ein ewiges beinermüdendes | |
Spiel. | |
Dennoch holen jedes Wochenende ganze Familien ihre Fahrräder hervor und | |
begeben sich auf den Anillo Verde Ciclista. Lange haben die Madrilenen auf | |
einen guten Radweg gewartet. Obwohl der Plan für einen Rundweg schon Anfang | |
der 80er-Jahre geboren wurde, verschwand er in der Schublade, als der | |
Bürgermeister wechselte. Der neue Stadtvater setzte ganz aufs Auto. | |
"Fahrräder sind ein Sportgerät und kein Fortbewegungsmittel", gab er gerne | |
zum Besten. Erst nach einem erneuten Wechsel im Bürgermeisteramt wurde der | |
Plan wieder hervorgekramt und in nur vier Jahren fertiggestellt. Weitere | |
450 Kilometer Radwege sollen in den nächsten Jahren folgen. Sie sollen ein | |
breites Netz über die ganze Stadt spannen. | |
Der Anillo Verde Ciclista ist gut ausgebaut und vom Autoverkehr getrennt. | |
Wo immer es geht, vermeidet er die Nähe zu den Straßen. Eigens errichtete | |
Brücken überqueren die Autobahnen aus allen Teilen Spaniens, die in Madrid | |
sternförmig zusammenlaufen. Alle vier bis fünf Kilometer lädt ein Rastplatz | |
- meist mit einem Trinkbrunnen versehen - zum Ausruhen. | |
Langsam geht es gegen Norden. Vorbei am neuen Madrider Stadion La Peineta, | |
das - so die Pläne der Stadtverwaltung - olympisch werden soll, gelangen | |
wir zum höchsten Punkt unserer Rundfahrt. Kurz nach dem Kilometer 0 des | |
Radweges direkt an der A 1, die Madrid via Burgos und Baskenland mit | |
Frankreich verbindet, erreichen wir 720 Meter über dem Meer. Es ist | |
geschafft. Lange Abfahrten bringen uns zurück zum Manzanares. An seinem | |
Ufer fahren wir durch den Schatten spendenden Stadtwald und gelangen bald | |
wieder zu unserem Ausgangspunkt. | |
Wir fahren mit der U-Bahn nach Hause. Selbst wenn es innerstädtische | |
Radwege gäbe, hätte keiner mehr die Kraft in den Beinen, um weitere fünf | |
Kilometer in die Innenstadt hinaufzustrampeln. | |
26 Apr 2008 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
Reiner Wandler | |
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Reiseland Spanien | |
Fahrrad | |
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