# taz.de -- Jugendzentrum: Die Straßenuni wird renoviert | |
> Hochbezahlte Manager helfen Kreuzberger Migrantenkids beim Renovieren des | |
> Jugendzentrums Naunynritze. Man kennt sich von den Seminaren der | |
> StreetUniverCity - und lernt voneinander | |
Bild: Setzt sich seit zehn Jahren für sozial benachteiligte Jugendliche ein: G… | |
Mittags in der Naunyritze: Sabri Eryigit schmirgelt mit einer Metallbürste | |
am Zaun vor dem Kreuzberger Kulturzentrum herum. Eigentlich erstellt der | |
38-Jährige um diese Tageszeit strategische Analysen oder denkt über globale | |
Marketingkonzepte nach, statt Zäune aufs Streichen vorzubereiten. Doch | |
heute ist Betriebsausflug in den Problemkiez. An diesem Maitag renovieren | |
er und 209 andere Mitarbeiter des Finanzdienstleisters Daimler Financial | |
Services die Räume des alten Backsteingebäudes, gemeinsam mit den | |
jugendlichen Benutzern. | |
Es ist nicht die erste Zusammenarbeit: Seit einem Jahr kommen die | |
Finanzexperten regelmäßig her und halten Seminare zu Themen wie | |
Schuldenvermeidung. Oder, auf Wunsch der Jugendlichen: Wie man sich | |
präsentiert, wenn man einen Kredit will, um einen VIP-Limousinen-Service zu | |
starten. "Schon mal nicht mit einer E-Mail-Adresse wie [email protected]" | |
sagt Eryigit. Er ist einer von zehn Seminarleitern, sieht aus wie aus dem | |
hohen Norden, ist aber "Halbtürke", wie er sagt. "Das hat meine Credibility | |
hier ziemlich gesteigert." Viele der Jugendlichen, die zu den Seminaren | |
kommen, sind türkischer Abstammung. Und die meisten haben ihre Probleme mit | |
dem herkömmlichen Bildungssystem. | |
Wie Jonathan. Er ist vom Gymnasium geflogen und hat dann einen | |
Schulwechselmarathon hinter sich gebracht. "Weil ich die Motivation nicht | |
hatte. Ich wusste nicht, wer ich bin, und chemische Formeln haben mir bei | |
der Suche nicht geholfen." Jonathans Vater ist aus Ghana, seine Mutter aus | |
einem westdeutschen Dorf. "Obwohl man hier aufgewachsen ist, wird man oft | |
nicht als Deutscher gesehen. Und dann weiß man eben gar nicht mehr, wo man | |
hingehört", erzählt der 19-Jährige. Zu den Seminaren in der Naunynritze | |
sagt er: "Dass ein Austausch stattfindet, das ist was." Die Geschäftsmänner | |
ließen nicht raushängen, dass sie Geschäftsmänner sind. Geschäftsmann | |
Eryigit ist von seinen Studenten ebenfalls angetan: "Die Leute wollen was | |
er reichen. Was von ihrer Vielfalt mit einbringen. Man lernt, dass man | |
ihnen mehr Respekt zollen muss." | |
Die Finanzseminare finden im Rahmen der "StreetUniverCity Berlin" (SUB) | |
statt. Die SUB wurde letztes Jahr von Künstler Gio di Sera gegründet und | |
will vor allem Leute zwischen 15 bis 27 Jahren erreichen. So laufen in | |
diesem Rahmen noch viele andere Kurse und Workshops: etwa zu Ethik, Film, | |
Recht oder Musik. Dabei setzt die SUB, wie es im Presseheft heißt, "auf | |
Mentoren aus dem kulturellen Umfeld der Jugendlichen". Soll heißen: auf | |
Leute, von denen man annimmt, dass sie über genug Glaubwürdigkeit verfügen, | |
um von den Jugendlichen ernst genommen zu werden. So kam man zum Beispiel | |
auf die Soulmusikerin Joy Denalane, auf ihren New Yorker Kollegen Afrika | |
Bambaataa und den Film-und Theaterregisseur Neco Celik. | |
Dilan zeigt sich von diesen Bemühungen um Credibility gänzlich | |
unbeeindruckt: "Bis auf den New Yorker sind das Leute, die wir eh ständig | |
auf der Straße treffen", sagt die 21-Jährige. Dilan gehört zu einer | |
Minderheit an der SUB: zu den Frauen. Gründer Gio di Sera bestätigt: "Von | |
den rund 40 Jugendlichen, die sich bei uns angemeldet haben, sind | |
vielleicht 70 Prozent männlich." Das sei schade, weil die Mädchen | |
eigentlich interessiert seien. "Oft sind es die Familien, die ihnen das | |
Mitmachen nicht erlauben. In einigen Kulturkreisen bekommen die Jungs in | |
der Bildung immer noch den Vorrang." | |
Die 22-jährige Mehtap stimmt zu: "In dieser Hinsicht hat sich nichts | |
weiterentwickelt. Obwohl wir hier leben, hier aufgewachsen sind." Sie hat | |
mit Dilan Kunstseminare an der SUB besucht. Und einen Workshop zu | |
Frauenrechten. "Die Jungs wurden gefragt: Was macht ihr, wenn die Schwester | |
einen Freund hat?", erinnert sich Dilan. "Da ging es richtig ab!" Aber | |
irgendwann hätten sie alle gelacht. | |
27 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Joanna Itzek | |
Joanna Itzek | |
## TAGS | |
Sozialarbeit | |
Soul | |
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