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# taz.de -- Reiseautor Timmerberg über Reisen: "Du kommst immer, immer zurück…
> Reisejournalist und Autor Helge Timmerberg ist in 80 Tagen um die Welt
> gereist. Ein Gespräch über Einsamkeit beim Reisen, neuer Liebe zu Europa
> - und warum man sich nicht alle Träume erfüllen sollte.
Bild: Empfiehlt als Reiseziel Mexico City: der ewig reisende Helge Timmermann.
taz: Herr Timmerberg, ihr neues Buch heißt "In 80 Tagen um die Welt". Sehen
Sie sich als moderner Jules Verne?
Helge Timmerberg: Der neue Jules Verne wäre ich, wenn ich nie losgefahren
wäre. Das habe ich mir auch mal überlegt, ob ich mich irgendwo hinsetze und
einfach fantasiere. Aber dann bin ich doch losgefahren.
Wo waren sie überall?
Ich war in Berlin, München, Venedig, Triest, Brindisi, Kreta, Kairo,
Bombay, Bangkok, Hongkong, Schanghai, Tokio, Mexiko City, Havanna und
Dublin. Die einzige Vorgabe war, innerhalb der 80 Tage zu bleiben und mehr
oder weniger an der Route von Jules Verne zu kleben. In Bangkok bin ich
zwei Wochen hängen geblieben, in Hongkong war ich dafür nur eine Nacht.
Sie reisen seit 30 Jahren und kannten die meisten Ihrer Ziele bereits. Was
war spannend daran, jetzt einmal den Schnelldurchgang zu machen?
Spannend waren die Brüche. Zum Beispiel war Mexiko City die Station nach
einer Woche Tokio - das ist kulturell ein unglaublicher Unterschied. Als
die Kellnerin mir in Mexiko beim Frühstück Kaffee und Bohnen brachte, legte
sie mir ihre Hand auf die Schulter - da haben sich meine Härchen
hochgestellt. In Tokio würde dir das nie passieren, bei der Distanz, die
die Asiaten draufhaben. Immer freundlich, immer lächeln, aber komplette
Distanz.
Was gab es noch für entscheidende Unterschiede?
In Mexiko City ist extrem viel Geschichte und Leben in den Mauern. Jeder
Hund, der da an die Wand gepisst hat, hat eine Verfärbung hinterlassen. In
Tokio oder Schanghai bauen sie nur neu und reißen alles Alte ab. Da sind
keine Geschichten mehr in den Städten selbst. Und egal, mit wem du in Asien
sprichst, es geht nach kürzester Zeit nur um Geld und Business. In Japan
hatte ich wirklich Schwierigkeiten, zu erkennen, wo die Seele des Japaners
ist. Da habe ich mich dann auf die Suche nach den Samurai gemacht.
Haben Sie sie gefunden?
Ja, in einer Kneipe. Erst mal habe ich es in Tokio zwei, drei Tage lang
gehasst. Auf der Straße guckt dir keiner in die Augen, dafür gibt es in den
Cybershops Duschen, und jeder sitzt in seinem schwarzen Kasten und ist
irgendwo auf Porno unterwegs. Da habe ich mich so einsam gefühlt wie
selten. Bis ich es ins Positive umgedreht habe: Hier konnte ich alleine
sein. Denn auf einer so langen Reise ist deine Herausforderung das
Alleinsein. Besonders in Ländern wie Marokko oder Indien, wo die Menschen
eingebunden sind in ihre Großfamilien, komme ich mir oft vor wie der letzte
Dreck. Aber in Japan dachte ich nach ein paar Tagen: Hier kann ich alleine
sein, hier ist jeder alleine, hier gehöre ich dazu.
Und wo waren die Samurai?
Ich kam in eine Bar, da saßen supereinsame Gestalten. Es war eine sehr gute
Bar: Edelhölzer, Leder, sanftes Licht. Die Gäste saßen aufgereiht an der
Theke, alle ganz aufrecht, starr geradeaus, keiner sagte einen Ton. Der
Barkeeper schob dir deinen Drink, ein Glas Wasser und den Aschenbecher so
hin, dass alles stand wie auf einer Linie. Die Abstände zwischen den
einzelnen Objekten waren genau gleich. Da merkte ich, dass alle an der Bar
beim Trinken ständig bemüht waren, die Harmonie herzustellen in diesem
Dreierding. Auch ich saß vor meinem Rum, Wasser und Aschenbecher und
guckte, dass alles richtig stand. Du trinkst also und driftest ab, aber im
Zentrum dieser Einsamkeit machst du Zen-Dreiklänge. Da dachte ich: Die sind
alle unglücklich hier, aber schau dir an, wie die sitzen! Keiner jammert,
die gucken dem Unglück gerade ins Auge - das sind die Samurai.
Was war der schönste Moment für Sie auf der Reise?
Ich saß eine Nacht lang auf meinem Hotelbalkon in Mexiko City und habe nur
auf die Straße geguckt, weil ich nicht schlafen konnte - da habe ich mich
gefühlt, als wäre ich in Schokoladenpudding gefallen. Mexiko City war
sowieso eine riesige Überraschung. Ich habe seit ein paar Jahren das
Gefühl, dass ein Ball über den Planeten fliegt, irgendwo runterkommt und da
wird dann gespielt. Mitte der Achtzigerjahre war das Bangkok und in Europa
Barcelona. Jetzt ist es Mexiko City. Die Stadt hat eine besondere positive
und hoffnungsfrohe Energie: Die Leute glauben an die Zukunft, in die Stadt
fließt plötzlich Geld. An der Atmosphäre auf den Straßen und in den Clubs
spürst du, dass die Stadt vibriert.
Angenommen, jemand hat nicht 80 Tage, sondern nur Zeit für einen
Kurzurlaub. Welches Reiseziel würden Sie empfehlen? Mexiko City?
Ja, aber nur, wenn derjenige Großstädte mag. Denn die Luft dort ist extrem
schlecht, die Kriminalität extrem hoch. Es ist eine sehr gefährliche Stadt,
die aber ein Wahnsinnsleben in sich hat. Und wer ans Meer will, kann in
drei Stunden mit dem Bus nach Acapulco fahren.
Von welchem Ort würden Sie als Urlaubsziel abraten?
Von Hongkong, da kannst du nur einkaufen. Und von Kuba war ich extrem
enttäuscht. Havanna ist tot. Ich habe Mitte der Neunziger zwei Jahre dort
gelebt, und da war eine unglaubliche Stimmung. Jede Woche gab es zwei oder
drei Salsa-Partys - das waren die größten Feiern, die ich je erlebt habe.
Als ich jetzt da war, hörtest du überhaupt kein Salsa mehr, die Kubaner
haben gar nicht mehr getanzt. Aber es waren die letzten Minuten: Als ich
weg war, ist Fidel Castro zurückgetreten, und sein Bruder Raul hat sofort
Reformen angekündigt. Ich glaube zwar nicht, dass sich seitdem schon viel
geändert hat. Aber vielleicht kann man in einem Jahr wieder nach Kuba.
Mit 17 Jahren sind Sie von Bielefeld nach Indien getrampt, und seitdem
reisen Sie. Jetzt haben Sie auch noch die Welt umrundet. Erschöpft sich das
irgendwann?
Ja, aber nicht wegen der Weltreise, sondern weil ich seit 30 Jahren
unterwegs bin. Das ist auch ein Thema des Buches: Die Naivität verlässt
dich irgendwann. Als ich mit 17 losgefahren bin, habe ich geglaubt, ich
komme nie zurück. Nach 30 Jahren weißt du, du kommst immer zurück, immer,
immer, immer. Für mich war das Reisen jahrzehntelang die Lösung für alles.
Immer wenn etwas passierte, privat oder beruflich, dachte ich: Dann gehe
ich eben wieder auf die Straße und alles ist okay. Diese Megamacht des
Reisens ist für mich gelaufen. Wenn ich Haarausfall habe, werde ich vom
Reisen keine Haare bekommen.
Ihr Buch über Indien, Shiva Moon, endete mit den schönen Worten "Scheiße,
Mann, an meinem letzten Tag fängt Indien an." Wie hört denn ihr neues Buch
auf?
(Schlägt im Buch nach) "Wenn Gott einen Menschen bestrafen will, erhört er
seine Gebete." Da muss man aber das ganze letzte Kapitel nehmen: Ich kam
nach den 80 Tagen nach Berlin, und ich kam in dem Rhythmus: neue Stadt,
nächste Stadt. Und dann hat es mir plötzlich wahnsinnig gut gefallen. Alle
Nationalitäten und Völker sind hier. Und die Toleranz in Deutschland ist
viel größer als in fast allen anderen Ländern, in denen ich gewesen bin.
Ich könnte zum Beispiel in Bangkok kein Restaurant eröffnen, denn Ausländer
dürfen da keine Geschäfte machen. In Indien können sie dich für ein Gramm
Haschisch mit abgebrochenen Bambusstöcken auspeitschen, bis du keine Haut
mehr hast - das passiert. Am Ende dieses Buches steht eigentlich das
Finden, das Erkennen: Warum soll ich eigentlich weg aus Berlin?
Und wo liegt die Strafe, wenn die Gebete erhört werden?
In dem Moment, in dem du dir einen Traum erfüllst, hast du ihn verloren,
weil er real geworden ist. Aber die Aufgabe eines Traumes ist eigentlich
nicht, dass du ihn erfüllst, sondern, dass er dir ständig Kraft gibt. Meist
erfüllst du dir einen Traum, aber nicht seinen Mythos, nicht das, wofür er
eigentlich steht.
Haben Sie trotzdem noch einen Traum?
Beim Reisen eigentlich nicht mehr. Ich habe schon in meinem vorherigen Buch
gesagt, das war meine letzte Reise. Jetzt habe ich das wieder geschrieben.
Seitdem bin ich aber schon zweimal in der Sahara gewesen, und nächste Woche
fahre ich nach Belgrad. Es wird wahrscheinlich nie aufhören. Aber
eigentlich träume ich von einem schönen alten Haus mit einem riesigen
Garten, Apfelbäumen, einer Hängematte, Hunden, und dass meine Kinder
endlich mal Kinder bekommen. Ich träume davon, Profigroßvater zu werden.
Und wo soll ihr Haus mit den Apfelbäumen stehen?
Österreich ist ein extrem schönes Land. Oder ein alter Bauernhof auf der
Schweizer Seite vom Bodensee. Es ist wenig Exotisches dabei. Denn in diesen
exotischen Kulturen bleibst du immer Fremder, da kannst du machen, was du
willst. Ich lebe jetzt mit Unterbrechung seit 15 Jahren in Marrakesch und
ich werde dort nie so akzeptiert wie ein Marokkaner, niemals. Das hat auch
unheimlich viel mit Geld zu tun: Solange du Kohle hast, ist alles sutsche,
aber sei mal pleite in Marokko oder in Brasilien, dann siehst du aber alt
aus. Ich denke mittlerweile jedes Mal, wenn ich irgendwo in Europa ankomme:
Geil, Europa ist so ein toller Kontinent.
INTERVIEW TIMO NOWACK
1 Jun 2008
## TAGS
Marrakesch
Cannabis
Reisen
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