# taz.de -- Spanien gewinnt gegen Schweden: Im Ball wohnt ein Olé | |
> Die Partie Spanien gegen Schweden war ein physikalisches Experiment: Wer | |
> wirft wen aus dem Gleichgewicht? Am Ende triumphierte das Team des | |
> "Großen Luis" mit 2:1 | |
Bild: Durfte am Ende doch noch jubeln: David Villa. | |
INNSBRUCK taz Für jemanden, der nur Spanisch spricht, studierte Luis | |
Aragonés die schwedische Zeitung recht ausgiebig. Jemand hatte ihm das | |
Boulevardblatt noch zugeschoben, bevor der spanische Nationaltrainer das | |
Stadion in Innsbruck verlassen würde. Das müsse er sehen. "Ein schönes | |
Foto", sagte Aragonés. Es zeigte seinen Verteidiger Sergio Ramos mit einem | |
Fan und einem Bier vergangenen Dienstag in einer Innsbrucker Diskothek. | |
Aber das Bier trank der Fan, "und Ramos leistete gute Arbeit", analysierte | |
Aragonés: "Wenn er den Kerl nicht stützt, fällt er um." Er schob die | |
Zeitung beiseite. "Wir hatten den Spielern explizit Ausgang gewährt, damit | |
sie mal vom Fußball wegkommen." Nun, nach dem frühzeitigen Gewinn ihrer | |
EM-Vorrunde durch das 2:1 über Schweden am Samstag, dürfe das Team wieder | |
in die Nacht ziehen, "vielleicht", sagte Luis Aragonés, der 69 ist, | |
"erwischen die Paparazzi dann Ramos und mich gemeinsam in der Disko". | |
Luis Aragonés, jeden Tag ein bisschen mehr der Große Luis, sagt und macht | |
es auf seine Art. Kein Trainer bringt sich so oft in Schwierigkeiten - bis | |
hin zum Rassisten erschien er fälschlicherweise schon wegen seiner | |
unorthodoxen Redensart. Und kein Nationaltrainer dieser EM weist solch eine | |
Statistik vor: Am Samstag gegen Schweden feierte Aragonés Jubliäum, das 50. | |
Länderspiel, 40 davon hat Spanien gewonnen, nur vier verloren. Der Große | |
Luis beschrieb den Sieg natürlich auf seine Art: "Schweden hat Japanisch | |
mit uns geredet." Schweden spielte so, dass Spanien ratlos erschien, heißt | |
das aus dem Aragonischen übersetzt. | |
Tore wie Spaniens 2:1 in allerletzte Minute durch David Villa reißen mit | |
durch ihre Kraft, alles auf einen Schlag zu verändern; aus Toren wie diesem | |
- schon wieder von Villa, der bereits drei Tore beim 4:1 über Russland | |
markierte - schöpft der Fußball sein Epos. Aber das Spiel erzählte eine | |
andere Geschichte. Es war eine Partie, die in Erinnerung bleibt, weil sie | |
auf das Genaueste den Stil beider Teams offenlegte: So spielt Schweden, und | |
so spielt Spanien. Es war ein Grundsatzstreit. Ein ansehnliches Spiel wurde | |
es deshalb nicht. Oft, wenn zwei Teams mit konträrem Stil aufeinander | |
losgehen, entschlüpft aus dem Widerspruch das Spektakel. Diesmal | |
eliminierten sich zwei Schulen bloß gegenseitig. | |
Im Ball wohnt ein Olé! und schreit freudig heraus, wenn ihn Spanien passt | |
und passt. Mit diesem gediegenen Kurzpassspiel könne man heute nicht mehr | |
spielen, sagen die Lehrer des Zeitgeists, zu langsam, zu umständlich - und | |
natürlich lässt der Große Luis deswegen umso radikaler kombinieren. Sie | |
passen den Ball hin und her, meist mit zwei Berührungen, stoppen und | |
passen, wo doch heute keine Zeit mehr für Stoppen sei. Aber sie sind so | |
gewieft, dass sie 20-mal hin und her passen und der Gegner den Ball einfach | |
nicht bekommt. Doch das Entscheidende ist, dass dann der 21. Pass plötzlich | |
und steil den Stillstand zerreißt. Diesen Pass suchten sie in Innsbruck | |
vergeblich. | |
Schweden, die moderne Schule des soliden, trögen Allwetterfußballs, stand | |
tief, ein Muster taktischer Ordnung, eine Wucht in den Zweikämpfen. Sie | |
gönnten Spanien die Lücke nicht, die der 21. Pass braucht. Spätestens nach | |
dem 1:0, das Fernando Torres mit einem Kung-Fu-Tritt erzielte, und dem 1:1 | |
durch Zlatan Ibrahimovic in der 34. Minute war es ein physikalisches | |
Experiment: Wer wirft wen aus dem Gleichgewicht. Spanien hatte immer den | |
Ball, passte immer anmutig und schien trotzdem schachmatt gesetzt. Wie | |
statisch ihr schönes Spiel blieb, war eine Erinnerung: Wenn wir vom | |
brasilianischen Kombinationsfußball der Achtziger mit Socrates und Zico als | |
dem wahren Spiel schwärmen, vergessen wir, dass gerade der schönste | |
Kurzpassfußball lange langweilige Phasen hat, weil der Ball im Mittelfeld | |
quer läuft. | |
Nach einer Stunde wechselte Aragonés die feststeckenden Mittelfeldspieler | |
Xavi und Andrés Iniesta aus, und die Leute, die dieses Spanien nun zum | |
ersten Mal aufmerksam sehen, haben keine Ahnung, was das bedeutete: | |
Aragonés entfernte die beiden Propheten seiner Schule. Als ob Deutschland | |
Ballack und Frings oder Portugal Deco und Cristiano Ronaldo auf einen | |
Schlag austauscht. Beim Großen Luis gibt es keine Unantastbaren. Am Ende | |
rettete sie eine einzelne Genialität. Tore wie das von Villa lassen | |
glauben, dass Fußball, dieses Spiel von 90 Minuten, so richtig doch nur in | |
einzelnen, grandiosen Momenten existiert. "Ehrlich gesagt bin ich", | |
Schwedens Kapitän Fredy Ljungberg überlegte, ob er es aussprechen sollte: | |
"angepisst." Ein Remis im letzten Gruppenspiel gegen Russland, dieser Trost | |
blieb ihnen, qualifiziert sie hinter Spanien für das Viertelfinale. | |
Unterdessen hatte Aragonés die schwedische Zeitung wieder zurückgegeben. So | |
blieb nur noch eine Frage: Mag er denn wirklich Diskos? "Ja, klar", sagte | |
der Große Luis, "und noch mehr, wenn sie Flamenco spielen." | |
14 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Ronald Reng | |
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