# taz.de -- Österreich gibt sich siegessicher: Die neue Narrischkeit | |
> Österreich hat nach dem Unentschieden gegen Polen Chancen auf den Einzug | |
> ins Viertelfinale. Dafür muss allerdings am Montag ein Sieg gegen | |
> Deutschland her. Kein Problem, denken viele Fans. | |
Bild: Martin Harnik wurde wegen seiner verbalen Ausrutscher von seinem Teamchef… | |
STEGERSBACH taz "Ein Land wird narrisch!" Was der Wiener Kurier am 7. Juni | |
zum Auftakt dieser Europameisterschaft titelte, ist nun tatsächlich | |
Wirklichkeit. Wiederholt sich die Geschichte doch? 30 Jahre nach Cordoba | |
kommt es am Montag im Wiener-Ernst-Happel-Stadion zu einem echten Endspiel | |
Österreich gegen Deutschland. Dem fiebern die aktuellen Protagonisten | |
entgegen - voller Optimismus. | |
Sogar Ivica Vastic, der in Split geborene Kroate, mit 26 Jahren | |
eingebürgert, nun mit 38 der erste EM-Torschütze der Alpenrepublik, tönt: | |
"Das war das wichtigste Tor meiner Karriere. Jetzt ist alles offen. Jetzt | |
wird man sehen, wer die stärkeren Nerven hat." Der eingewechselte Oldie, | |
ältester Akteur dieses Turniers, hat ja gute: Sein verwandelter Elfmeter in | |
der Nachspielzeit zum 1:1 gegen Polen hält den Hoffnungsfunken am Glimmen. | |
Daraus speist sich unverhoffte Zuversicht. Denn wie sagt Andreas | |
Ivanschitz, der Kapitän: "Cordoba ist ein Teil unserer Geschichte. Wir als | |
junge Spieler wollen ein eigenes Cordoba schaffen." Und Martin Harnik, der | |
in Hamburg geborene Österreicher, glaubt gar: "Die Deutschen stehen jetzt | |
unter Druck und werden sich in die Hose scheißen." Ausgerechnet der | |
Reservist von Werder Bremen, der zuvor allerbeste Chancen verschluderte, | |
spuckte in der Mixed Zone die großen Töne. | |
Eine gute Idee war das aber nicht. Denn Josef Hickersberger, der beredte | |
Teamchef, stellte den forschen Angreifer für die Verbalattacke gestern | |
öffentlich zur Mittagsstunde in den Senkel. "Mit solchen Äußerungen macht | |
er nicht unbedingt Pluspunkte. Mit ihm werde ich ein ernstes Wort reden." | |
Zumal sich der 21-Jährige "gegen Polen nicht so vorbereitet hat, wie ein | |
Vollprofi sich vorbereiten muss." Hickersberger hatte ohnehin im | |
umfunktionierten Thermenpool des Hotels in Stegersbach größte Mühe, um | |
realistische Einschätzungen zu werben: "Deutschland ist Deutschland - das | |
weiß gerade ich. Wir haben doch noch gar nichts erreicht. Deutschland ist | |
der haushohe Favorit. Gegen die gelingt ein Sieg nur alle heilige Zeiten." | |
Aber die könnten ja wiederkommen. Der 60-Jährige hat ja am 21. Juni 1978 in | |
Argentinien sein 39. und letztes Länderspiel absolviert, er war mittendrin | |
im Cordoba-Geschehen, die aber, so der Nationaltrainer beharrlich, "aus | |
meiner Sicht verarbeitet und vergessen sind." Ihm ist es ein Anliegen, das | |
mediale Dauerfeuer nicht weiter anzuheizen. Cordoba sei der größte Fluch | |
des österreichischen Fußballs gewesen; eine Art Lähmung für lange, lange | |
Zeit. "Für die maßgeblichen Funktionäre und Herren unseres Landes hat das | |
zum Glauben geführt, dass die Schachner, Krankl oder Prohaska jedes | |
Jahrzehnt geboren werden. Und danach haben wir zu wenig in den Nachwuchs | |
investiert." Diese Fehler seien behoben worden, "aber die starken | |
Individualisten wie 1978 haben wir nicht mehr", stellte Hickersberger | |
heraus. Die Vorfreude wird das nicht schmälern - anders war die nächtliche | |
Szenerie entrückter Österreicher nach der Polen-Partie in der überfüllten | |
Wiener Fanzone, an den U-Bahn-Stationen und den Kneipen nicht zu deuten. | |
"Deutschland ist nur ein Punktelieferant" oder "Deutschland, Deutschland | |
alles ist vorbei" waren die Gassenhauer zum Wochenende; tausendfach | |
gesungen und gegrölt - nichts würde für mehr Enthusiasmus sorgen, als ein | |
Triumph gegen den ungeliebten Nachbarn. | |
"Österreich wird am Montag brennen", kündigte Verbandsboss Friedrich | |
Stickler an. "Diese Konstellation ist eine göttliche Fügung. Wenn beide | |
Veranstalter nach zwei Spielen ausgeschieden wären, hätte das für die | |
Stimmung des Turniers nichts Gutes bedeutet." Für den Österreichischen | |
Fußball-Bund und für das ganze Land. Denn bei der EM 2008 gibt es einen | |
entscheidenden Unterschied zur WM 1978: Dieses Mal würde ein Sieg die | |
rot-weiß-rote Auswahl auch in die nächste Runde bringen. "In Cordoba", | |
betont Hickersberger, "hat uns das 3:2 nichts gebracht, denn wir waren ja | |
schon ausgeschieden." | |
Das Faszinosum ist geblieben. Oder würden sonst serbische oder ungarische | |
Taxifahrer in ihren Droschken ein kleines Plastikgerät mit einer langen | |
Schnur neben dem Taxometer kleben haben? Zieht man daran, sind legendäre | |
Töne des Reporters Edi Finger senior zu hören "Da kommt Krankl...in den | |
Strafraum - Schuss ... Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I wer' | |
narrisch. Krankl schießt ein - 3:2 für Österreich! ... Wir busseln uns ab. | |
3:2 für Österreich durch ein großartiges Tor unseres Krankl." | |
13 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Frank Hellmann | |
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