# taz.de -- Tauende Permafrostböden in Russland: Klimawandel bedroht Atomlager | |
> Russland hat den Klimawandel als nationale Bedrohung erkannt. Vor allem | |
> von den Atommülllagern in Sibirien geht eine große Gefahr aus, wenn der | |
> Permafrostboden weiter auftaut. | |
Bild: Schmelzwasser statt Dauerfrost: Dadurch könnten Atommülllager leckschla… | |
Russlands Präsident Dmitri Medwedjew hat den Umweltschutz zu einer "Frage | |
der nationalen Sicherheit" erklärt. "Unser Land ist in einer bedrohlichen | |
Lage. Wenn wir jetzt nichts tun, werden Teile unseres Landes in zehn, | |
zwanzig oder dreißig Jahren unbewohnbar sein", erklärte Medwedjew am | |
Wochenende in St. Petersburg. Vor ernsten sichtbaren Klimaveränderungen | |
warnte zugleich der stellvertretende russische Minister für | |
Katastrophenschutz, Ruslan Zalikow. "Der Klimawandel wird schon in naher | |
Zukunft dramatische Folgen im russischen Norden zeigen", sagte Zalikow. | |
Insbesondere die Folgen auftauender Permafrostböden seien eine große | |
Gefahr. | |
Zwei Drittel der Böden des Landes, so der stellvertretende Minister, seien | |
bislang steinhart gefroren. Angesichts rasch steigender Temperaturen würden | |
aufgetaute Permafrostböden zu einer "neuen Qualität der Gefahr" führen. In | |
den ersten 90 Jahren des letzten Jahrhunderts habe sich die Lufttemperatur | |
in Russland um 1 Grad erhöht, doch allein in den letzten zehn Jahren, von | |
1990 bis 2000, habe die Temperaturerhöhung 0,4 Grad betragen. | |
Ein Schmelzen der Dauerfrostböden werde verheerende Folgen haben für alles, | |
was in und auf diesem Boden gebaut ist, sagte Zalikow. Bereits jetzt sei | |
ein Fünftel aller Unfälle der nordrussischen Infrastrukturobjekte auf den | |
Klimawandel zurückzuführen. Besonders gefährdete Infrastrukturobjekte seien | |
Stromleitungen und Pipelines. Doch auch Flughäfen und unterirdisch | |
angelegte Ölreserven seien durch den Klimawandel bedroht. | |
Konkret nannte Zalikow Sprengstoff-, Chemiemüll- und Atommülllager, | |
ausgediente Atom-U-Boote auf dem Festland und am Ufer. Besonders dramatisch | |
könne die Lage auf der Insel Nowaja Zemlja werden. Auf dieser für | |
Zivilisten gesperrten Insel befinden sich besonders viele Atommülllager. | |
Wenn der Dauerfrostboden auf der Insel taue, sei die Stabilität der dort | |
angelegten Atommülllager gefährdet, in der Folge könnten sich Lecks bilden | |
und Radioaktivität in die Umwelt gelangen. | |
Die Tauprozesse in der Arktik seien für die 200.000 Angehörigen der im | |
hohen Norden Russlands lebenden Naturvölker Russlands eine existenzielle | |
Bedrohung. Ein Viertel der Wohnhäuser in diesen Regionen, aber auch für die | |
Versorgung der Bevölkerung notwendige Flughäfen seien durch das Auftauen | |
der Dauerfrostböden gefährdet, erklärte der stellvertretende Minister. | |
Häuser, deren Fundamente auf Pfählen in den Permafrostboden gebaut worden | |
seien, würden zunehmend instabil. Die Bedrohung durch den Klimawandel | |
stelle für den russischen Staat eine sehr große Herausforderung dar. Schon | |
jetzt gebe der Staat drei bis fünf Prozent des Bruttosozialproduktes für | |
die Beseitigung von Katastrophen aus. | |
Zalikow ist sich sicher, dass das Katastrophenschutzministerium in den | |
nächsten Jahren sein Hauptaugenmerk auf diese Region wird richten müssen. | |
Die riesigen Territorien im russischen Norden mit ihren Tundren, Taigas und | |
Steppen sind sehr dünn besiedelt, zählen weniger als einen Einwohner pro | |
Quadratkilometer. Noch spült der russische Norden Geld in Staats- und | |
Konzernkassen: Im Norden finden sich 30 Prozent der russischen Ölvorkommen | |
und 60 Prozent des Gases, unzählige Steinkohlelager, Gold, Buntmetalle, | |
Holz und Trinkwasservorräte. | |
Greenpeace Russland reagierte positiv auf Zalikows Aussagen: "Bisher hat | |
die Regierung das Problem der auftauenden Permafrostböden nicht offiziell | |
anerkannt. Es wäre bemerkenswert, wenn sich das endlich ändert", sagte der | |
Energieexperte Wladimir Chuprow der taz. Auch Medwedjews Erklärung sei zu | |
begrüßen, allerdings müssten politische Konsequenzen folgen. So fordert | |
Greenpeace Russland die Einrichtung eines eigenständigen Umweltministeriums | |
und ernsthafte Aktivitäten zur CO2-Verminderung. | |
24 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
Bernhard Clasen | |
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