# taz.de -- Montagsinterview: "Im Geiste sind wir Genossen" | |
> Auch Christian Schöningh will ans Spreeufer. Doch der 47-jährige | |
> Architekt vertritt keine Investoren, sondern junge Familien. Sein | |
> jüngstes Projekt sind die Spreeetagen hinter dem Deutschen | |
> Architekturzentrum. | |
Bild: Christian Schöningh, Architekt | |
Taz: Herr Schöningh, hier sieht es nach einer wilden Brache aus. Warum | |
unterhalten wir uns gerade hier? | |
Christian Schöningh: Wir verfolgen auf diesem Grundstück seit 15 Monaten | |
ein neues Projekt in unmittelbarer Nähe zu Mediaspree. Und damit sind wir | |
ebenfalls von den aktuellen Auseinandersetzungen betroffen. Wir sind zwar | |
hier in Mitte, aber ich hoffe sehr, dass durch das Bürgerbegehren die | |
Diskussion um die Entwicklung des Spreeufers auch über die Grenzen von | |
Friedrichshain-Kreuzberg hinaus neu entflammt. | |
Dann sind Sie also auch ein böser Mediaspree-Investor? | |
Nein, das bin ich ganz bestimmt nicht. Weder bin ich Mitglied noch | |
Sympathisant von Mediaspree. Das ist eine Vereinigung bestimmter Leute, | |
deren Interessen ich nicht teile. | |
Was wollen Sie auf diesem Grundstück denn entwickeln? Einen Swimmingpool? | |
Eine Bowlingbahn? | |
Einen Swimmingpool möchte ich nicht ausschließen. Was im Einzelnen hier | |
entstehen soll, wird von den Mitgliedern der Baugruppe "Spreeetagen Mitte | |
GbR" entschieden. Das ist eine sehr gemischte Gruppe von 25 Künstlern und | |
Freiberuflern, die Wohnen und Arbeiten verbinden wollen. | |
Was unterscheidet Sie von den Mediaspree-Bauherren? | |
Wir sind als Bauträger kein Investor. Bei uns sind die späteren Nutzer von | |
Anfang an an Bord. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob jemand Kapital | |
in Architektur verwandeln will oder wie wir eigene Ideen und Bedürfnisse. | |
Es gibt für einen Architekten deutlich lukrativere Projekte als die | |
Betreuung von Baugemeinschaften. Warum sind Sie trotzdem dabei? | |
Alles fing mit einer Kleinanzeige Ende der 90er-Jahre in der Zitty an: Wer | |
hat Lust, gemeinsam ein Haus zu kaufen, zu renovieren und zu bewohnen? Im | |
Herzen waren wir dem Gemeinschaftsgedanken verpflichtet. Einige von uns | |
kamen noch auch aus der Besetzerbewegung der 80er-Jahre. Wir wurden also | |
eine Baugruppe. Diese Form des gemeinschaftlichen Bauens gab es zwar schon | |
früher in Süddeutschland, das wussten wir damals aber noch nicht. | |
Wie ist es dann weitergegangen? | |
Im Jahr 2000 haben wir in einem offenen Bieterverfahren für ein leeres | |
Grundstück in der Steinstraße in Mitte geboten. Unser siebenseitiges, | |
ausschließlich schriftliches, Konzept hat dem Bezirksamt von Mitte so gut | |
gefallen, dass wir damit die Hochglanzbroschüren mehrerer | |
Immobilieninvestoren ausgestochen haben - obwohl andere ursprünglich das | |
höhere Gebot abgegeben hatten. Das Projekt lief so gut, dass ich mich mit | |
meiner Frau inzwischen auf Baugruppen spezialisiert habe. Ich mag dieses | |
Modell. Ich finde es sinnvoll, mit denen zusammenzuarbeiten, die auch | |
später die Nutzer sind, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dadurch | |
eine höhere Qualität entsteht: beim Projekt selbst, für die Stadt und | |
letztlich auch für die Gesellschaft. Wie will ich wohnen? In welcher | |
Gesellschaft will ich leben? Das sind noch immer Fragen, die mich | |
beschäftigen. | |
Wie leben Sie denn? | |
Wir leben in der Steinstraße mit zwanzig Parteien zusammen in einer | |
wunderbaren Nachbarschaft. Wir sind keine Kommune, aber bei uns sind die | |
Türen offen, und die älteren Kinder passen auf die Jüngeren der Nachbarn | |
auf. Mit dem Projekt wollten wir einige der Qualitäten schaffen, die unsere | |
Nestbaugeneration doch irgendwie auch für sich wünscht und die vermeintlich | |
im Eigenheim irgendwo am Stadtrand verwirklicht werden. Ich habe nie mit | |
dieser Vorstadtidylle geliebäugelt. Gleichwohl gibt es bestimmte Elemente, | |
die einem den Alltag einfacher und schöner machen. | |
Diese Elemente des bürgerlichen Lebens … | |
Latte macchiato habe ich noch nie getrunken, ich trinke Cappuccino. Meine | |
25 Jahre alte Pavoni-Espressomaschine ist allerdings seit vier Wochen | |
kaputt. Deshalb gibt es im Augenblick nur Schlabberkaffee. Im Ernst: In | |
unserem Projekt haben wir eine Gästewohnung und ein gemeinsames Schwimmbad. | |
Manche finden das toll, andere zeigen mit dem Finger auf uns. Außerdem | |
haben wir einen gemeinschaftlichen Garten mit einer Sommerküche. Und alles | |
mitten in der Stadt. Der Garten ist wirklich ein wichtiges Element in dem | |
Projekt. Dort finden diese unverabredeten Begegnungen statt. Wir haben ja | |
kein Plenum. Nur einmal im Jahr findet pflichtgemäß unsere | |
Eigentümerversammlung statt. Im Geiste sind wir Genossen, offiziell | |
Wohnungseigentümer - leider. | |
Warum leider? | |
Eine Genossenschaft wäre für meine Begriffe die bessere Rechtsform. Wir | |
haben uns anders entschieden, weil vor der Änderung des | |
Genossenschaftsrechts die Gründung sehr kompliziert war. Die Genossenschaft | |
hat den Vorteil, dass niemand eine individuelle Steigerung des Wohnwerts | |
realisieren kann. Das ist mir eigentlich ein Anliegen: keine Spekulation | |
mit Boden, Luft und Wasser. | |
Das klingt, als hätten Sie Ihre persönliche Utopie mit dem Projekt schon | |
verwirklicht? | |
Gelebte Utopie ist das natürlich nicht, sondern eine ganz konkrete | |
Vorstellung. Die ist in der Tat umgesetzt, und damit bin ich glücklich. | |
Aber die Frage "Wie möchte ich leben" ist damit für mich noch lange nicht | |
beantwortet. | |
Stand hinter dem Bauprojekt Steinstraße denn auch mehr als schöner wohnen? | |
Dahinter steckte unsere Faszination von Mitte nach der Wende, als es dort | |
noch viele Freiräume gab. Dies wollten wir nicht kampflos aufgeben. Wir | |
wollen mit dafür sorgen, dass der Stadtteil weiter vielfältig und bunt | |
bleibt. | |
Wie viel Spielraum sehen Sie, Berlin stärker von Baugemeinschaften prägen | |
zu lassen und weniger von Heuschrecken? | |
Baugruppen haben natürlich viel mit Selbstbestimmung zu tun. Insofern kann | |
ich mir schon vorstellen, dass sich diese Form ausbreiten wird. Dabei | |
handelt es sich ja um Projekte, die immer aus dem Eigenbedarf entstehen und | |
weit über normales Wohnen hinausgehen. Das ist vielleicht meine Utopie: Ich | |
möchte mehr und mehr Menschen in die Lage versetzen, sich um ihre eigenen | |
Belange zu kümmern. | |
Sie behaupten, Baugruppen seien eine neue Form des sozialen Wohnungsbaus. | |
Was ist daran denn sozial? Leisten kann sich so etwas nur der solvente | |
Mittelstand. | |
Der Begriff des sozialen Wohnungsbaus aus den 1970er-Jahren ist meiner | |
Meinung nach vollkommen verkehrt. Dabei handelt es sich um einen | |
Tarnbegriff für ein Programm, das auch damals schon nur Bauträger und | |
Investoren reich gemacht hat. Den Leuten, die angeblich unterstützt werden | |
sollten, wurden zum Teil unhaltbare Wohnverhältnisse angeboten. | |
Warum benutzen Sie diesen Begriff dennoch? | |
Ich will ihn neu besetzen und fragen, was kann am Wohnungsbau überhaupt | |
sozial sein? Sozial heißt ja "dem Gemeinwesen verpflichtet". Da geht es | |
nicht in erster Linie darum, einer einkommensschwachen Klientel Wohnraum zu | |
verschaffen, sondern um neue Formen von Gemeinschaft, zum Beispiel durch | |
Wohnprojekte und Baugruppen. Auch der energiesparende Baustandard vieler | |
Häuser ist letztlich sozial. Angesprochen wird natürlich der soziale und | |
intellektuelle Mittelstand. Nicht jeder kann sich vorstellen, so etwas zu | |
machen, ganz unabhängig von der Geldfrage. | |
Aber auch abhängig von der Geldfrage … | |
Mit der Geldfrage ist das so eine Sache. Es gibt in der Baugruppenszene | |
relativ viel Ideologie. Zu sagen: Lass uns doch eine Genossenschaft | |
gründen, dann können das auch Leute machen, die weniger Geld haben - das | |
ist ein Trugschluss. Wie viel jedes Gruppenmitglied am Ende zahlt, hängt | |
doch von den Baukosten ab und nicht von der Rechtsform. | |
Es gibt linke Initiativen wie das Freiburger Mietshäusersyndikat, die den | |
alten Besetzerslogan "die Häuser denen, die drin wohnen" anders | |
interpretieren als Sie. Die werfen Leuten wie Ihnen vor, die | |
gemeinschaftliche Form zu missbrauchen. | |
Was in den Häusern passiert, wird von den Menschen bestimmt und nicht von | |
der Rechtsform. Ich bin da wirklich unideologisch. Dafür werde ich manchmal | |
natürlich komisch angeguckt, wenn ich mit linken Aktivisten rede. Ich | |
möchte einfach, dass niedrigschwellig gute Nachbarschaft entsteht und sich | |
von dort aus weiter entwickeln kann. Statt nebeneinander miteinander, im | |
Idealfall auch füreinander. An den Besetzerzeiten Anfang der 80er-Jahre | |
fand ich schon richtig klasse, dass sich die Bewohner ihrer eigenen Wünsche | |
bewusst wurden und die Tatkraft hatten, das dann umzusetzen. Ich behaupte, | |
dass in den Baugruppen ein ganz ähnlicher Mechanismus zum Tragen kommt. | |
Was heißt das konkret? Kann eine alleinerziehende Krankenschwester auch | |
mitmachen? | |
Das Eigenkapital als Eintrittsgeld ist natürlich eine Hürde. Zum Beispiel | |
Künstler, die sich ganz bewusst gegen ein Leben entschieden haben, das in | |
erster Linie aus Geldverdienen besteht, kommen nur infrage, wenn sie den | |
passenden familiären Hintergrund haben. Sie müssen also schon geerbt oder | |
von Papa und Mama etwas zugesteckt bekommen haben. Das ärgert mich. | |
Andererseits kann die Genossenschaft einiges auffangen, und über das | |
Baugruppenprinzip werden viele Kosten vermieden, die bei einem | |
Vermietungsprojekt mit einem normalen Investor entstehen würden. | |
Zurück zu diesem Ort: In welchem Stadium befindet sich Ihr Vorhaben | |
momentan? | |
Wir versuchen gerade, das Grundstück am Spreeufer zu kaufen. Es gehört | |
einer Tochtergesellschaft der ehemaligen Treuhand. Wir befinden uns in der | |
dritten Bieterrunde und sind wahrscheinlich nur noch einer der wenigen | |
Bieter. Das ganze Verfahren ist allerdings ziemlich undurchschaubar. | |
Was heißt das? | |
Wir wissen im Moment nicht, wo wir stehen. Ich kenne den Grund nicht, warum | |
der Verkäufer sich nicht mal mit uns an den Tisch setzt und Tacheles redet. | |
Die einzige Antwort, die ich seit Beginn bekomme, lautet: Herr Schöningh, | |
solange sie keine Absage kriegen, sind sie im Rennen. | |
20 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Till Below | |
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