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# taz.de -- Oliver Sacks über Musikalität: Der Star, der melodietaub war
> Vietnamesen haben höhere Chancen, das absolute Gehör zu entwickeln als
> Amerikaner. Oliver Sacks vermittelt in seinem neuen Buch neurologische
> Erkenntnisse zur Musikalität
Bild: Der Ton der Sprache kann Musik in den Ohren sein. Die Vietnamesen singen …
Es ist der übliche Stress in bürgerlichen Familien: Kaum klimpert der
Nachwuchs auf Omas Klavier herum, merken die Eltern auf. "Ist die Kleine
musikalisch oder nicht?" Die Frage nach der musikalischen Begabung ist aber
gar nicht so einfach zu beantworten. Musikalität ist ein erfreulich
vielschichtiges Phänomen, wie man im jüngsten Buch des Neurologen Oliver
Sacks nun nachlesen kann: "Der einarmige Pianist. Über Musik und das
Gehirn."
Viele Elemente seien beteiligt an "der Wahrnehmung, Entschlüsselung und
Synthese von Lauten und Zeit", schreibt Sacks. Nur etwa fünf Prozent der
Bevölkerung seien tatsächlich "melodietaub". Solche Leute singen
grundfalsch, hören das aber nicht. Trotz falscher Töne kann man es aber zu
gewisser Popularität bringen. Dies zeigt das von Sacks zitierte Beispiel
der US-amerikanischen Koloratursängerin Florence Foster Jenkins, die 1944
starb. Jenkins Konzerte waren stets ausverkauft, das Publikum liebte sie
wegen ihres theatralischen Auftretens, obwohl sie die Töne nicht traf und
kein rhythmisches Talent hatte, was auch jeder wusste.
Als hochmusikalisch gelten hierzulande Menschen, die das äußerst seltene
"absolute Gehör" haben, also Töne in ihrer absoluten Höhe genau benennen
können. Aber für das "musikalische Empfindungsvermögen", durch das man beim
Hören von Flötengesängen oder Streichereinsätzen zu Tränen gerührt wird,
braucht es kein "absolutes Gehör". Das spiele sich nämlich in anderen
Hirnregionen ab, führt Sacks aus.
Das "absolute Gehör" gilt als weitgehend angeboren, doch es gibt auch einen
Sozialisationseffekt. VietnamesInnen etwa haben laut Studien eine größere
Chance, über das absolute Gehör zu verfügen als US-Amerikaner. Sacks führt
das auf die unterschiedliche Sprachstruktur zurück: Das Vietnamesische wird
wie viele asiatische Sprachen "gesungen": Die unterschiedlichen Tonhöhen
der Silben entscheiden über die Bedeutung der Wörter, und dies schult auch
das musikalische Ohr.
In der Musik ist der Unterschied zwischen Melodie und Rhythmus grundlegend.
An der Wahrnehmung von Melodie und Rhythmus sind unterschiedliche
Hirnregionen beteiligt, beschreibt Sacks: "Beeinträchtigungen der
Melodiewahrnehmung sind in der Regel mit rechtshemisphärischen Schädigungen
verknüpft, doch die Repräsentation des Rhythmus ist viel weiter verteilt,
robuster und nicht nur auf die linke Hemisphäre beschränkt, sondern bezieht
auch viele subkortikale Systeme in den Basalganglien, dem Kleinhirn und
anderen Regionen ein." Daher gibt es Leute, die zwar rhythmisch präzise
tanzen, aber keine Melodie nachsingen können.
Intensive musikalische Betätigung kann Hirnstrukturen verändern. Die
Hoffnung mancher Eltern, dass frühes Geigen- oder Klavierspiel ihre Kinder
auch in anderen Fächern wie etwa Mathematik schlauer macht, der sogenannte
Mozart-Effekt, sei bisher aber nicht eindeutig nachgewiesen, fasst Sacks
zusammen.
Menschen können heute über ihre iPods in einer Woche mehr Musik hören als
Leute vor anderthalb Jahrhunderten in ihrem ganzen Leben. 15 Prozent der
jungen Menschen wiesen durch den Gebrauch der Wiedergabegeräte bereits
erhebliche Hörschäden auf, warnt Sacks daher. Allerdings gibt es auch
Videospiele wie etwa "Sing Star", mit deren Hilfe man das genaue Nachsingen
von Hits üben und damit Musikalität fördern kann, auch ohne teuren
Klavierunterricht. In seinem Buch, in dem die Beschreibung exzentrischer
Fälle einen breiten Raum einnimmt, geht Sacks auf die Chancen dieser
Technisierung nicht weiter ein. Leider.
22 Jul 2008
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
Barbara Dribbusch
## TAGS
Musik
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Ohne Hörgeräte ist Mischa Gohlke fast taub. Gerade deswegen ist er Musiker
geworden. Seine Erfahrungen gibt er in Workshops weiter.
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