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# taz.de -- Konjunkturprogramme gegen Krise: 15 Milliarden könnten helfen
> Die Kreditkrise ist in der deutschen Wirtschaft angekommen. Viele Firmen
> erwarten Einbußen, Rezession scheint kaum vermeidbar. Kein Wunder, dass
> über Staats-Investitionen diskutiert wird.
Bild: Wegen Kreditkrise und fallender Aktienkurse droht eine Rezession.
Die Schockwellen der US-Kreditkrise erschüttern immer stärker auch die
deutsche Wirtschaft. Die Kurse von Bankaktien sind schon seit Wochen im
freien Fall. Mit Staatsbürgschaften in Milliardenhöhe musste jetzt mit der
Hypo Real Estate erstmals eine Privatbank vor der Pleite gerettet werden.
Aber auch das produzierende Gewerbe gerät wegen der weltweiten Kreditklemme
immer stärker in Bedrängnis.
So schockte der weltgrößte Hersteller von Druckmaschinen - die Heidelberger
Druck AG - Ende vergangener Woche ihre Anleger mit einer Gewinnwarnung,
weil "wegen der gesamtwirtschaftlichen Situation weltweit eine
Investitionszurückhaltung spürbar sei". Zuvor hatte die Nummer 3 der
Druckbranche, die Koenig & Bauer AG aus Würzburg, ihre Umsatzprognose
gesenkt, weil Bestellungen wegen fehlender Kredite storniert oder
verschoben wurden. Die Lastwagenbauer MAN und Volvo kündigten unabhängig
voneinander an, Investitionen zurückzufahren, weil die Nachfrage nach LKW
erstmals seit Jahren eingebrochen ist. Schlechte Absatzaussichten ließen
letzte Woche auch die Aktienkurse von Porsche auf den niedrigsten Stand
seit zwei Jahren einbrechen. "Verlässliche Absatz-Prognosen sind wegen der
Finanzkrise schwierig", teilte Porsche mit.
Wegen der Kreditklemme bereits in Konkurs gegangen ist die Lindenau-Werft
in Kiel, weil sie von den Banken die im Schiffbau übliche
Finanzierungsbürgschaft nicht erhielt - obwohl die Werft nicht verschuldet
war.
Schon jetzt prognostizieren Ökonomen, die Kreditkrise werde in Deutschland
viele Arbeitsplätze vernichten: 170.000 weniger Jobs für 2009 erwartet das
Kieler Institut für Weltwirtschaft. "Eine leichte Rezession in Deutschland
ist absehbar", heißt es bei den Kieler Konjunkturexperten.
Noch ernster schätzt Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, die
Lage ein: "Eine Rezession ist für die alte Welt, also USA, Europa, Japan,
nicht mehr zu vermeiden". Albert Edwards, Chefstratege der französischen
Großbank Société Générale glaubt: "Die Rezession wird unzählige Firmen in
den Bankrott treiben".
Wenn die Wirtschaft lahmt, fahren Unternehmen ihre Investitionen zurück,
Verbraucher sparen beim Konsum und die Steuereinnahmen brechen ein. Daraus
kann sich schnell eine Abwärtsspirale entwickeln, denn die Reaktionen auf
den Abschwung verstärken diesen meist. Doch wie immer in solchen
Situationen tobt unter Ökonomen und Politikern ein Streit darüber, ob der
Staat etwas dazu beitragen kann, den Abschwung zu mildern: "Ein
Konjunkturpaket muss dringend aufgelegt werden", fordern die einen.
"Staatseingriffe entfachen nicht mehr als ein Strohfeuer", kritisieren die
anderen.
Schuld an dem Streit ist John Maynard Keynes. Der britische Ökonom hatte in
den 30er Jahren als Erster eine Antwort darauf, wie sich die Folgen
vermindern lassen, wenn die private Nachfrage einbricht. Er kam in seiner
Analyse der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren zu dem damals
revolutionären Schluss, dass nur der Staat temporär die Wirtschaft
stabilisieren kann. Bei kleinen und großen Einbrüchen müsse dieser mit
einer "antizyklischen" Wirtschaftspolitik auf die schwankenden Erwartungen
reagieren. Ein krasser Widerspruch zum damals fest verwurzelten Glauben,
der Markt tendiere von selbst stets zum Gleichgewicht.
Für neuen Zündstoff in dem jahrzehntealten Konflikt sorgt nun eine gerade
erschienene Studie des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung an der
Universität Leipzig. Darin hat ein Team um den Konjunkturforscher Ullrich
Heilemann mit Hilfe einer seit 30 Jahren fortentwickelten
volkswirtschaftlichen Simulation untersucht, ob und wie zusätzliche
staatliche Ausgaben dem Wirtschaftswachstum helfen.
Das Fazit der Wissenschaftler: Deutschland könnte die Folgen des aktuellen
Abschwungs dämpfen, wenn der Staat zügig zusätzliche Ausgaben auf den Weg
bringt. "Der Wachstumseinbruch könnte mit einem Konjunkturprogramm temporär
abgefedert werden, weil die Einbußen ohne diese Maßnahmen deutlich größer
wären", sagt Heilemann. Der Ökonom warnt jedoch davor, das Instrument
jenseits krisenhafter Situationen einzusetzen: "Es gibt auf der ganzen Welt
kein Konjunkturprogramm, das eine Wirtschaft dauerhaft auf einen höheren
Wachstumspfad bringen könnte".
Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist, wie der Staat das zusätzliche Geld
am besten ausgeben sollte, um das Wirtschaftswachstum in schweren Zeiten
optimal zu stabilisieren. Dafür haben die Ökonomen drei unterschiedliche
fiskalpolitische Instrumente verglichen: Steuersenkungen, die Senkung der
Beiträge zur Sozialversicherung sowie die Erhöhung staatlicher
Investitionen. Untersucht wurde, welche Maßnahme den größten
Wachstumsimpuls auslöst, wenn der Staat über drei Jahre jährlich 15
Milliarden Euro zusätzlich ausgibt. "Das entspricht etwa der Hälfte der
investiven Maßnahmen, die die große Koalition im Jahr 2005 beschlossen
hat", sagt Heilemann.
Die stärksten Wachstumsimpulse werden demnach erreicht, wenn der Staat
zusätzliches Geld investiert, etwa in die Infrastruktur und den
Wohnungsbau. Aufwendungen für Bildung, die häufig für investiv gehalten
werden, fallen allerdings nicht darunter. Das liegt an den Regeln der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die alle Ausgaben, die nicht in
Beton, sondern in Personal fließen, dem "Staatskonsum" zuordnet.
Solche Staatsausgaben würden jährlich im Durchschnitt rund 278.000 neue
Jobs schaffen und das Bruttoinlandsprodukt um 15,7 Milliarden Euro
steigern, so das Ergebnis der Konjunktursimulation. Im Vergleich dazu falle
der Effekt von Konjunkturimpulsen, die auf Steuersenkungen oder auf
niedrigere Sozialversicherungsbeiträge setzen, weniger als halb so groß
aus.
Ein weiterer Vorteil staatlicher Investitionen sei zudem, dass diese sich
durch die erzielten Wachstumseffekte zu gut 54 Prozent selbst finanzieren
würden. Die Selbstfinanzierung der beiden anderen Maßnahmen beträgt dagegen
im Saldo nur etwa 20 Prozent.
Wenn die Bundesregierung dem aktuellen Abschwung noch rechtzeitig
entgegenwirken will, mahnen die Leipziger Forscher jedoch zur Eile. Damit
die Maßnahmen wirken, "müssen diese bis spätestens zum Jahreswechsel
2008/09 einsetzen", heißt es in der Untersuchung.
Viel Zeit bleibt der Bundesregierung und den Ländern in der Euro-Zone in
der Tat nicht. Alle konjunkturellen Früh-Indikatoren - darunter der
Einkaufsmanager-Index, der ifo-Geschäftsklima-Index sowie der
Auftragseingang der Industrie - zeichnen ein düsteres Bild: Demnach steckt
Europa bereits in der Rezession.
Das signalisiert auch die Entwicklung der Kreditvergabe an den Privatsektor
in Europa. Sie ist im August auf den geringsten Zuwachs seit Oktober 2005
gefallen. In Deutschland ist das formale Kriterium für eine Rezession
bereits erfüllt, denn zum zweiten Mal in Folge war das Quartalswachstum
negativ.
Makroökonomisches Krisenmanagement ist da gefragt. Wirtschaftsexperten wie
der SPD-Finanzpolitiker Ortwin Runde fordern deshalb: "Wenn mit den USA ein
Viertel der globalen Wirtschaftsleistung in die Rezession schlittert, dann
muss man in Europa darüber nachdenken, wie man gegensteuert." Ähnlich wie
die Leipziger Konjunkturforscher plädiert auch Runde für zusätzliche
öffentliche Investitionen. "Das müsste am besten europäisch abgestimmt
passieren", sagt Runde. Doch im Gegensatz zu den USA wollen davon viele
politischen Führer in Europa nichts wissen.
Zuletzt erteilten die 15 Finanzminister des Euroraumes Mitte September
einem europaweiten Konjunkturpaket eine Absage. Vor allem Deutschland und
sein Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) traten hierbei als Bremser auf.
Der verkündet im Brustton neoliberalen Überzeugung: "Mit
Konjunkturprogrammen wird nur Geld verbrannt".
Auch am Wochenende lehnten die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland,
Großbritannien und Italien auf ihrem Mini-Gipfel in Paris europaweite
Stützungsmaßnahmen ab. Andere Länder, allen voran die USA, haben schneller
gehandelt. Schon Anfang des Jahres legte die Regierung in Washington ein
Konjunkturpaket über 150 Milliarden Dollar auf. Volkswirte der
EU-Kommission in Brüssel beurteilen das Konjunkturpaket der Amerikaner
mittlerweile positiv. Es bescherte den USA im 2. Quartal einen
Wachstumsschub von 3,3 Prozent.
Spanien kämpft momentan mit seiner hausgemachten Immobilienblase - und
versucht, die einbrechende Nachfrage mit höheren staatlichen Ausgaben
auszugleichen. Auch in England tobt derzeit eine Debatte um den Plan von
Premier Gordon Brown, mit 40 Milliarden zusätzlichen Pfund das
kollabierende Wirtschaftswachstum aufzufangen.
Derweil liegen deutsche Ökonomen weiterhin im kleinlichen Glaubens-Clinch.
So steht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zusätzlichen
stimulierenden Impulsen skeptisch gegenüber. "Die Deutsche Finanzpolitik
ist bereits zu expansiv ausgelegt", sagt DIW Konjunkturexperte Stefan
Kooths. Es werde bereits genügend Geld im Bundeshaushalt, für die
Sozialversicherungen und die Arbeitslosenversicherung ausgegeben.
Staatliche Maßnahmen gegen einen drohenden wirtschaftlichen Abschwung hält
er zudem nicht für nötig, denn: "Deutschland wird keinen starken
wirtschaftlichen Absturz erleben. Schon 2009 nimmt die deutsche Wirtschaft
- nach einer vorläufigen wirtschaftlichen Abkühlung - wieder deutlich an
Fahrt auf und auch die US-Wirtschaft wird sich erholen".
"Das DIW liegt damit gleich mehrfach falsch", kritisiert Gustav Horn,
wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung. "Wir haben es nicht mit einer
Wachstumsdelle zu tun", sagt Horn. Der Aufschwung werde nicht weitergehen.
"Eine Rezession ist wahrscheinlich, die zu massiven wirtschaftlichen
Einbrüchen führen wird".
Auch Gustav Horn plädiert für ein rasches Konjunkturprogramm - am besten
auf EU-Ebene. Für Deutschland hält er zusätzliche öffentliche Investitionen
von gut 30 Milliarden Euro für nötig. "Wir bestreiten nicht, dass ein gut
gemeintes Konjunkturprogramm wirkt", sagt dazu Stefan Kooths vom DIW. "Es
ist jedoch sehr schwierig, das richtige Timing dafür hinzukriegen". "Das
Timing ist in der Tat schwierig", stimmt Horn zu. "Aber unabhängig davon
stellt ein Konjunkturpaket zumindest sicher, dass man schneller aus der
Krise herauskommt als ohne".
6 Oct 2008
## AUTOREN
T. Ahmia
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