# taz.de -- Moderne Gotteshäuser: Zeigt her eure Moscheen! | |
> Der Boom repräsentativer Moscheebauten ist Ausdruck eines | |
> Emanzipationsprozesses, der auch die Muslime verändert: Das islamische | |
> Gemeindeleben wird transparenter. | |
Bild: Kurz vor der Einweihung: Die Merkez-Moschee in Duisburg | |
Celalettin Kesim wurde nur 36 Jahre alt. Am 5. Januar 1980 hatte er am | |
Kottbusser Tor in Kreuzberg mit türkischen Linken Flugblätter verteilt, als | |
die Gruppe von 50 Islamisten und Faschisten angegriffen wurde. Der Lehrer | |
erlitt einen Messerstich im Bein, an dem er verblutete. | |
Die Angreifer waren aus einer nahen Moschee namens "Milli Görüs Sektion | |
Berlin" gekommen, die bald darauf in "Mevlana" umbenannt wurde. Der | |
Großteil der deutschen Öffentlichkeit reagierte desinteressiert. Eine | |
Auseinandersetzung zwischen Türken in Kreuzberg? 1980 schien das den | |
meisten so fern wie der Bürgerkrieg, der damals in der Türkei tobte. | |
Man kann sich vorstellen, welche Aufmerksamkeit ein solcher Vorfall heute | |
erregen würde und welche Folgen er hätte. Weniger leicht kann man sich | |
indessen vorstellen, dass eine große Moschee bei einem solchen Überfall als | |
Basis dienen könnte. Denn nicht nur das Verhältnis der Deutschen zu ihren | |
Einwanderern hat sich seither verändert; verändert haben sich auch die | |
Einwanderer. Sie haben begriffen, dass Deutschland zu ihrem | |
Lebensmittelpunkt geworden ist. | |
Ein Ausdruck dieses Prozesses sind die vielen Moscheebauten; ist der | |
Wunsch, jene Provisorien, die seit den Sechzigerjahren eingerichtet wurden, | |
durch repräsentative Bauten zu ersetzen. | |
Rund 2.500 Moscheegemeinden gibt es hierzulande, knapp 200 verfügen über | |
repräsentative Gotteshäuser. Die meisten davon wurden in den letzten zehn | |
Jahren fertiggestellt, weitere 30 sind geplant. Dieser Emanzipationsprozess | |
fördert das Selbstbewusstsein der Muslime, zwingt sie aber zugleich in | |
einen Diskurs, der ihre Organisation verändert hat und weiter verändern | |
wird. | |
Selbst bei einem Verein wie Milli Görüs, der noch vor 20 Jahren von | |
grimmigen Männern mit langen Bärten und weiten Hosen geführt wurde, findet | |
man heute ein anderes Personal: junge, hier aufgewachsene und oft | |
akademisch gebildete Männer und in kleinerer Zahl Frauen, die sich eloquent | |
und aufgeklärt auszudrücken wissen. Dass solche Leute ihre Moscheevereine | |
repräsentieren, heißt nicht, dass sie repräsentativ sind. Aber ihre Zahl | |
wächst. | |
Der zweite Faktor des Wandels ist simpler: Macht, Einfluss oder schon | |
gesellschaftliche Anerkennung haben eine mitunter mäßigende Wirkung. Wer | |
etwas erreicht hat, hat etwas zu verlieren. Und die Verbände haben etwas | |
erreicht und wollen noch mehr. Sie kennen die Dos & Donts. | |
Hinzu kommt der öffentliche Druck. Seit dem 11. September müssen sich die | |
Muslime erklären. Und das bedeutet nicht nur, sich eines | |
Misstrauensdiskurses zu erwehren, sondern auch, sich selbst darüber zu | |
verständigen, was sie wollen. "Wir wollen als Muslime gleichberechtigte | |
Bürger werden", sagt Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der | |
Muslime. "Und wir sind dabei, einen Islam europäischer Prägung zu | |
entwickeln." | |
Das gilt sicher nicht für jeden; und ein rechtsextremer Laden wie die | |
Ertugul-Gazi-Moschee in Kreuzberg möge inschallah mitsamt seiner | |
Sportschule ("Kick-Boxen Full Conatct") in seinem Hinterhof vermodern. Doch | |
wer die Extremisten zurückdrängen will, muss der Mehrheit der Muslime | |
Angebote machen. | |
Wie wirken sich die repräsentativen Moscheen auf den Alltag aus? "Die | |
Kontakte sind intensiver, und das islamische Gemeindeleben ist | |
transparenter geworden", berichtet Michael Scheuermann, Quartiersmanager in | |
Mannheim-Jungbusch, wo die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für | |
Religion (Ditib) 1995 die bisher größte deutsche Moschee eröffnete. | |
Wer sich in der Stadt unter säkularen Türken umhört, bekommt allerdings | |
auch Klagen zu hören, dass die Moscheen mehr und mehr soziale Aufgaben | |
übernähmen oder die gesellschaftliche Kontrolle zugenommen habe. "An | |
Ramadan gerät man als nicht fastende Frau plötzlich in Erklärungsnot", so | |
eine 32-jährige Mannheimerin. | |
Dennoch begrüßen Kritiker den Gang in die Öffentlichkeit. "In den | |
Hinterhöfen wird kein liberalerer Islam gepredigt", meint Nurettin Korkmaz | |
vom Alevitischen Kulturzentrum. Er hat ein anderes Problem mit der | |
Yavuz-Selim-Moschee: "Eine Moschee, die nach einem Sultan benannt ist, der | |
zehntausende Aleviten ermordet hat, ist unerträglich." | |
Damit wäre die Frage nach der Semiotik der neuen Moscheen aufgeworfen. | |
Gemeint ist nicht der Streit über die Höhe der Minarette, an dem Freud | |
seine Freude gehabt hätte. Gemeint ist der architektonische Gesamtentwurf. | |
Und der ist oft wenig erbaulich. | |
Viele Moscheen erwecken den Verdacht, die Ausschreibung hätte einen a) | |
großen, b) funktionalen und c) billigen Bau verlangt, der d) gern | |
osmanischen Kitsch haben kann, solange c) dies zulässt. Dass die Bauten | |
zumeist ohne staatlichen Gelder auskommen, macht Einsparungen verständlich, | |
ist aber kein Grund für schlechten Geschmack - auf den die Muslime ein | |
Recht haben. | |
Die Moschee in Duisburg ist ein opulentes Exemplar dafür. | |
Der modernistische Entwurf des Kirchenarchitekten Paul Böhm für die Kölner | |
Moschee hingegen bietet eine Idee davon, wie eine im 21. Jahrhundert in | |
Westeuropa errichtete Moschee aussehen kann. Allerdings scheint der Ditib | |
bei der Gestaltung der Kölner Innenräume die Courage zu verlassen. Dem | |
Vernehmen nach soll der Auftrag dafür an Volkan Altinkaya gehen, der schon | |
die Duisburger Moschee im klassisch-ornamentalen Stil gestaltet hat. Außen | |
modern, innen traditionell. | |
Es ist nicht nur die rückwärtsgewandte Architektursprache, die den | |
Beteuerungen eines "europäischen Islams" zu widersprechen scheint. Auch die | |
Namen vieler Moscheen machen stutzig: 51 Moscheen in Deutschland heißen | |
"Fatih-Moschee". Fatih war der Beiname, den sich Memed II. nach der | |
Eroberung Konstantinopels zulegte, und bedeutet "Eroberer". Selbst wenn | |
diese Gemeinden beteuern, nur den Namen der Istanbuler Moschee übernommen | |
zu haben, bleibt ein Beigeschmack. Zugleich muss man erwähnen, dass 23 | |
Moscheen nach der Selimeye-Moschee in Edirne benannt sind und ein Schuppen | |
im ostwestfälischen Löhne sogar den Namen der schönsten Moschee Istanbuls, | |
der Süleymaniye, trägt. | |
Diese Namen bezeugen weniger einen Eroberungswillen denn die ungebrochene | |
Präsenz eines anatolischen Proletariats, für das Istanbul und seine große | |
Moscheen keine ästhetische, sondern allein quantitative Kategorien sind. | |
Die jetzige Generation, die sich vorgenommen hat, die Moscheen ihrer Väter | |
aus den Hinterhöfen zu führen, weiß zwar hier ihren Lebensmittelpunkt, hat | |
dafür aber noch keine adäquate Formensprache gefunden. Dieser Aufgabe wird | |
sich vielleicht die nächste Generation stellen. | |
Apropos Namensgebung: Anfang der Neunzigerjahre wurde in Berlin am | |
Kottbusser Tor eine Skulptur errichtet, die an Celalettin Kesim erinnert. | |
Und seit dort ein paar Bänke aufgestellt wurden, ist aus der Ecke ein | |
kleiner, aber namenloser Platz geworden. Celalettin-Kesim-Platz böte sich | |
an. Als Mahnmal gegen Fundamentalismus. Und als Erinnerung daran, dass der | |
Schutz der Minderheit auch den Schutz von Minderheiten innerhalb der | |
Minderheit bedeutet. | |
25 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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