# taz.de -- "Gegen die Wand" als Oper: Diese Musik befreit | |
> Dass Fatih Akins "Gegen die Wand" als Vorlage für eine Oper taugen | |
> könnte, hätte man so nicht erwartet. Aber die umjubelte Uraufführung von | |
> Ludger Vollmers Vertonung in Bremen zeigt: Sie war dringend notwendig. | |
Bild: Grandios singend und eindringlich agierend: Sirin Kiliç als Sibel in der… | |
Der Komponist Ludger Vollmer ist ein sehr schlanker, großer Mann Mitte 40, | |
der mitunter etwas zappelig wirkt und sehr schnell redet. Vollmer scheint | |
zu bersten vor Ideen. Und dem Wunsch sie mitzuteilen, wobei es vorkommt, | |
dass sich manche widersprüchlich anhören. Zum Beispiel sagt er: "Ich will | |
mein Publikum erreichen, ich will ihm etwas mitteilen." Aber eben auch: "Es | |
ist mir völlig egal, dass Oper als elitäre Kunstform verschrien ist!", und | |
das zischt er schon fast giftig, naja, die Frage war auch fies, so kurz vor | |
der Premiere. Aber mal ehrlich, wie revolutionär muss eine Dialektik sein, | |
die das jetzt wieder zusammenbinden soll? | |
Es funktioniert. Die Oper, seine zweite, ist Freitagabend in Bremen | |
uraufgeführt worden. Tosenden Beifall hat es gegeben. Das Haus war | |
proppenvoll, und das Publikum bestand nicht nur aus den üblichen | |
Premierenbesuchern: Es gab sogar Menschen die versuchten, Standing ovations | |
anzuregen. Dabei klappt das in Bremen nie. | |
"Gegen die Wand" heißt die Oper, und auf die Frage, wie es zu ihr kam, gibt | |
es zwei Antworten, von denen eine ganz leicht ist: Vollmer hat vor drei | |
Jahren den Film von Fatih Akin gesehen. Er war tief bewegt. Und dann hat er | |
sich an die Arbeit gemacht. Er musste das einfach tun, so hört sich das an. | |
Und jetzt, die Uraufführung in Bremen- ein reiner Zufall: "Wir waren auf | |
der Suche", erklärt Musikdramaturg Hans-Georg Wegner. | |
Das Theater in Bremen hat Länderschwerpunkte. Und in diesem Jahr heißt der | |
Türkei, das ist für Oper nicht unproblematisch. Man hat rumtelefoniert, und | |
irgendwann auch beim Agenten von Akin angerufen. Der wusste: Da werkelt so | |
ein unbekannter Berliner an einer Oper nach dem Film. | |
Das hätte stutzig machen können. Denn der Film war auch deshalb als so | |
persönliche Äußerung erschienen, weil die Story so wild bis wirr, so | |
hoffnungslos unerzählbar gewirkt hatte: Der Loser Cahit, der mit seinem | |
Auto gegen die Wand rast. Der in Ochsenzoll Sibel trifft, die sich ständig | |
die Pulsadern aufschneiden will, um dem Familienzwang zu entgehen. Die | |
Scheinehe. Das Nightlife-Fieber mit Rumficken, währenddessen sich, | |
ungewollt, die Passion der beiden entwickelt, Totschlag, Knast, sie: Flucht | |
nach Istanbul, Koks, die gruselige Szene in der nächtlichen Altstadt, | |
Rettung, und nach fünf Jahren: vollendete Desillusion - das kann man doch | |
nicht vertonen? "Es ist wieder große Oper geworden", sagt Vollmer. Ja, aber | |
vom Film zur Oper? Das sei doch völlig normal, "nehmen Sie den Figaro: das | |
war auch nicht nur irgendein Theaterstück, sondern eins, das die ganze | |
damalige Zeit erschüttert hat", sagt er, "das war ein Stoff, der die Wucht | |
hat, etwas zu entzünden". | |
Die Revolution siegt | |
"Wir hatten Vollmers Namen vorher noch nicht gehört", sagt Wegner, der | |
einmal am Theater der Stadt Nordhausen gearbeitet hat, als Techniker. Dort | |
ist - aber mehr als zehn Jahre später - Vollmers "Paul und Paula" | |
uraufgeführt worden, von der Lokalpresse durchaus gefeiert, vom Dramatiker | |
Ulrich Plenzdorf gelobt, aber ansonsten - ungehört. Bei "Gegen die Wand" | |
wird das anders sein: Stuttgart wills bald nachspielen. Am Premierenabend | |
haben die Detmolder ihre Fühler ausgestreckt. Und der Schott-Verlag hat | |
sich die Rechte gesichert. Schott, das ist in etwa Suhrkamp für klassische | |
Musik, nur wichtiger. Es ist ein Durchbruch. Die Revolution wird wohl | |
gesiegt haben. | |
Nur: Worin besteht sie? Monika Gora hat sehr zurückhaltend ausgestattet, | |
Kammeropernkonfektion. Auch Michael Sturms Regie hat wenig Umwälzendes: Zu | |
trivial sind die Gesten, mit denen er familiäre Bedrängnis, Gewaltakte und | |
suizidales Geschehen symbolisieren lässt: Wenn sich beispielsweise die | |
grandios singende und eindringlich agierende Sirin Kiliç als Sibel anfangs | |
immer mal wieder mit der rechten Handkante auf die Innenseite des linken | |
Unterarms klopfen muss, transportiert das den autoaggressiven Furor der | |
Figur nur unzureichend. | |
Das Tempo zieht an | |
Aber Vollmer lässt dem Regisseur auch wenig Spiel: "Ich will das | |
dramaturgische Konzept der Oper reformieren", hat er angekündigt, und es | |
dabei nicht belassen: Einen Sprecher und einen Sänger hat er als Erzähler | |
eingeführt, das rafft Handlung. Er lässt räumlich getrennte Szenen | |
ineinander laufen, er switcht in Sekundenbruchteilen von der Hochzeit zum | |
Dancefloor und die Geschehnisse laufen teils wie auf einem Split Screen | |
parallel ab. "Unsere Ästhetik", sagt Vollmer, "ist spätestens seit den | |
50ern von elektronischen Medien beeinflusst", das Tempo zieht | |
kontinuierlich an: "Wieso", fragt er, "sollen sich junge Menschen in einer | |
fünf Stunden-Oper die Hintern breit sitzen?" | |
Aber das reicht noch nicht. Das sind bloße Oberflächenphänomene, und vor | |
ein paar Längen im ersten Teil des Abends hat das nicht geschützt. Das | |
wirkliche Novum, das ergibt sich aus der zweiten, und zwar der | |
komplizierten und wortreichen Antwort auf die Frage, wie es zu dieser Oper | |
kam: Sie hat sich aus Vollmers Art, Musik zu denken, ergeben. Sie steht im | |
Gegensatz zu dem, was die Gattung Oper ermöglicht, groß gemacht - und | |
gefesselt hat. Sie ist antiharmonisch. Sie ist eine Musik der unendlichen | |
Melodien. | |
Rationalisierte Musik | |
Man muss weit zurückgehen, um zu kapieren, was gemeint ist. Mindestens: Bis | |
ins 15. Jahrhundert. Um 1450 beseitigen katholische Eiferer auf der | |
iberischen Halbinsel die Reste vom Traum eines Miteinanders des | |
Verschiedenen. Sie ersetzen es durch die Idee von Weltherrschaft. | |
Gleichzeitig wird, gefördert und materiell abgesichert durch den Vatikan, | |
die Musik durchrationalisiert: Die Notenschrift wird perfektioniert. Die | |
Zahl der Taktarten auf vier reduziert. Der Katalog der Zusammenklänge nach | |
gut und schlecht sortiert. Ein Ende in vollkommener Konsonanz zwecks | |
Bewahrung des Seelenheils dekretiert. Mitte des 16. Jahrhunderts hat das, | |
was an Melodie übrig blieb, die Wahl: Es kann sich der "harmonia allegra" | |
unterwerfen, der heiteren Harmonie. Oder aber der traurigen, "harmonia | |
mesta". Dur oder Moll, thats all, schreibt, sinngemäß Giuseppe Zarlino | |
1558. 42 Jahre später wird die erste echte Oper aufgeführt. | |
"Ich", Vollmer sagt das fast resignativ, "habe eine melodisch-rhythmische | |
Begabung". Und man könne eben "nur so komponieren, wie es in einem klingt". | |
Er also hat sich auf die Suche machen müssen nach "Kulturen, die in der | |
Melodie Meisterhaftes vollbringen", mittelalterliche Musik und | |
orientalische Musik, die mit komplexen Systemen mikrotonalen Stimmungen | |
arbeiten. Jeder Person gibt Vollmer eine Art persönliche Tonleiter, als | |
Quelle einer persönlichen Melodie, die durch Motive nicht gegliedert und | |
deren Ende notwendig offen ist: Es gibt keine billige Erlösung durch | |
Kadenzen - aber ein sich mitunter bis nahe an den Schwulst aufbauendes | |
Pathos. Kontrapunktisch lassen sich die Beziehungen der Figuren nicht | |
beschreiben. Die Monophonie überwiegt, manchmal kommts zum Clash: | |
Heterophonie. Polyphonie? Nix da. | |
Das hat er im Grunde schon bei "Paul und Paula" so gehandhabt. Aber der | |
Sinn der Übung, der erschließt sich erst beim nicht ganz so innerdeutschen | |
Thema von "Gegen die Wand". Vielleicht weil die abendländischen | |
Kompositions-Kapazitäten von Jean-Baptiste Lully über Mozart bis Rossini | |
immer viel Freude daran hatten, das bedrohlich konkurrierende Musik-System | |
des Orients auf die eigene Bühne zu zerren: Personifiziert durch den | |
Türken. Der hatte als groteske Karikatur und stets besiegter Feind immer | |
auch die Funktion, das eigene, harmonisch-rationalistische System zu | |
stabilisieren. | |
Im Endorphinrausch | |
Bei "Gegen die Wand" hätte man Türken erwarten können. Es gibt sie nicht. | |
Es gibt Melodien. Es gibt Menschen, die Türkisch singen. Und Deutsch. Indem | |
er die aus dem Stahlbad der Harmonielehre hervorgegangene Gattung Oper mit | |
orientalischer Komponierweisen - aber auch mit Jazz-Sätzen und | |
balkanisierten und afrikanischen Rhythmen - erfüllt, entzieht Vollmer das | |
Werk der territorialkulturellen Zuschreibung. Jede Note, von den wie im | |
Endorphinrausch aufspielenden Philharmonikern produziert, teilt mit: Diese | |
Musik befreit. Zur Gemeinsamkeit. Multikulti geht nämlich doch. | |
30 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
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Oper | |
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