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# taz.de -- Folter durch Musik in Guantánamo: Auf der Playlist des Bösen
> Eine neue Liste zeigt, welche Musik in Guantánamo und anderswo zur
> "weichen" Folter verwendet wird. Jetzt werden endlich erste Künstler
> aktiv gegen diese Praxis.
Bild: Zu der Ausrüstung der Verhörspezialisten von Guantánamo zählen auch i…
"We've been punishing our parents, our wives, our loved ones with this
music for ever. Why should the Iraqis be any different?" (James Hetfield,
Metallica)
Wer derzeit offenen Ohres seine vorweihnachtlichen Einkäufe erledigt, der
dürfte eine sehr leise Ahnung davon bekommen, welches ausgewachsene
Folterpotenzial selbst in den lieblichen Klängen vertonter Harmlosigkeiten
wie "Jingle Bells" oder "White Christmas" schlummert.
Die britische Menschenrechtsorganisation Reprieve hat in dieser Woche eine
aktualisierte Liste jener Songs veröffentlicht, mit denen die Gefangenen in
Guantánamo an einem speziellen Ort namens "Disco" in den Wahnsinn getrieben
werden sollen. Neben den üblichen Verdächtigen (siehe Kasten), die auch
schon beim Folterskandal von Abu Ghraib genannt wurden, kommen auch hier
wieder einige friedliche Kompositionen zum Einsatz - wie etwa die
Titelmelodie des Kinderfernsehklassikers "Sesamstraße".
Zwar belegen zahlreiche Studien, dass der Song selbst, und sei er noch so
aggressiv, eher zweitrangig ist - und die eigentliche Folter in der
Lautstärke sowie in der permanenten Wiederholung besteht. Auch verrät die
Playlist mehr über den tendenziell metallischen Musikgeschmack der
US-Armeeangehörigen, als dass er auf irgendeinen geheimen Hintersinn bei
der Musikauswahl verwiese; wer in den Kampf zieht, der wird sich zuvor wohl
kaum mit Enya oder Amy MacDonald aufputschen. Wirklich perfide ist also
nicht ein auch inhaltlich expliziter Metal-Klopper wie "I Hate Your God"
von Deicide, sondern ein Kinderlied wie "I Love You" von Barney The
Dinosaur: "I love you, you love me/ Were a happy family/With a great big
hug and a kiss from me to you/ Wont you say you love me too?".
Binyam Mohamed, ehemaliger Guantánamo-Insasse und Kronzeuge von Reprieve,
bestätigte gegenüber dem Guardian, dass vor allem diese "weiche Musik" ihn
allmählich habe verrückt werden lassen. Vor die Wahl gestellt, ob er lieber
sein Augenlicht oder seinen Verstand verlöre, würde Mohamed auch heute noch
sein Sehvermögen wählen: "Mit körperlichem Schmerz konnte ich umgehen, weil
er irgendwann endete." Manchmal, so Mohamed, hätten Verhörspezialisten auch
Eigenkompositionen aus Baby- und Katzengeschrei verwendet. Und innerhalb
von vier Tagen ganz langsam irre zu werden, das sei eine völlig andere
Sache.
Eine Sache, mit der US-Sicherheitskräfte bereits einige Erfahrungen
gesammelt haben. Bevor 1993 zum Sturm auf das Hauptquartier der
Davidianer-Sekte im texanischen Waco geblasen wurde (bei dem 76 Menschen
starben), wurde das Gebäude tagelang mit Nancy Sinatras "These Boots Were
Made For Walking" berieselt. Und schon 1989 wurde nach dem US-Einmarsch in
Panama die vatikanische Botschaft, in der sich der Diktator Manuel Noriega
versteckt hielt, 24 Stunden lang mit AC/DC und Metallica beschallt, bevor
der Bösewicht endlich entnervt aufgab.
Dass die verantwortlichen Militärs, wie etwa in Panama ein gewisser General
Colin Powell, angesichts ihrer akustischen Kriegsführung moralische
Bedenken hegen, ist eine seltene Ausnahme. Denn stammt, wie unlängst ein
US-Colonel der Zeitung St. Petersburg Times erläuterte, die pfiffige Idee
mit der Musik nicht von Gott höchstpersönlich? Josuas "Männer mögen nicht
in der Lage gewesen sein, die Mauern von Jericho buchstäblich mit ihren
Posaunen einzureißen, aber der Lärm ließ den Mut der Feinde erodieren".
Vielleicht hat es ja deshalb so beschämend lange gedauert, bis sich - nach
dem Roten Kreuz, den Vereinten Nationen und dem Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte - auch die betroffen Musiker gegen den militärischen
Missbrauch ihrer Kunst organisieren. Jetzt haben sich Künstler wie James
Lavelle von U.N.K.L.E., Matthew Herbert, Tom Morello von Rage Against The
Machine, Massive Attack, Magic Numbers oder Elbow der Initiative "Zero
Decibel" angeschlossen, die unter anderem mit Schweigeminuten auf Konzerten
gegen den Missbrauch ihrer Lieder protestiert und für 2009 zahlreiche
Aktionen geplant hat. Am Freitag kündigte sogar der Berufshasser Trent
Reznor von Nine Inch Nails (NIN) an, er werde gegen diese Verwendung seiner
Musik klagen.
Zeit wurde es. Schließlich wird doch bei anderen Anlässen - von "Live Aid"
bis "Live Aid" - die komplette Kulturproduktion der Rock- und Popmusik
gerne als eine universelle Sprache verstanden, in der die westliche Welt
zur restlichen Welt sanft von humanitärer Gerechtigkeit spricht.
Metallica ausgenommen: Die Gruppe ließ wissen, sie sei "stolz", am "Krieg
gegen den Terror" teilnehmen zu dürfen.
13 Dec 2008
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Manuel Noriega
Guantanamo
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