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# taz.de -- Ausgrabungen: Römer mutiger als gedacht
> Ein Hobbyarchäologe könnte die Geschichtsschreibung revolutionieren: Nach
> der Niederlage bei der Varus-Schlacht im Teutoburger Wald haben sich
> Legionäre, anders als bislang vermutet, wieder ins Land gewagt.
Bild: So also sieht ein Schlachtfeld 1.700 Jahre aus, nachdem Römer und German…
So sieht also der Hang aus, der die Geschichtsschreibung revolutionieren
soll: im südniedersächsischen Kalefeld gelegen und mit grünen, gelben und
blauen Tennisbällen übersät. Gelb steht für Katapult-Bolzen, grün für
Pfeilspitzen, blau für Eisenteile von Speeren und Lanzenspitzen. Jeder
Tennisball zeigt an, wo vor rund 1.800 Jahren ein römisches Geschoss
niederging.
Es sind sehr viele Tennisbälle, die Legionäre müssen hier mit neun
Katapulten auf die Germanen gefeuert haben, an anderen Stellen des 1,5
Kilometer langen und 500 Meter breiten antiken Schlachtfelds haben weitere
Katapulte gestanden. An dem mit Tannen gesäumten Bergkamm in Kalefeld, tief
im Süden Niedersachsens, hat gerade eine archäologische "Sensation" das
Licht der Welt erblickt.
Wahrscheinlich muss wegen der bislang rund 600 Fundstücke die Geschichte
des im dritten Jahrhundert nach Christi Geburt schwächelnden Römischen
Reiches neu geschrieben werden. Bislang gingen die Historiker stets davon
aus, dass sich die Römer nach der verheerenden Niederlage im Teutoburger
Wald im Jahre neun nach Christus nicht mehr über den als "Limes" bekannten
Schutzwall entlang von Rhein und Main in das sumpfige Gebiet der Germanen
gewagt hatten. Die Funde vom Westhang des Harzes zeigen jedoch, dass sie
sich kaum 200 Jahre später wieder zu den Rabauken im nordischen
"Barbaricum" trauten.
Die Tennisbälle zeigten einen "Jahrhundertfund von europäischer Bedeutung",
sagt Kreis-Archäologin Petra Lönne, als am Montag die Grabungsergebnisse
erstmals der Öffentlichkeit im Kalefelder Gasthaus Zwickert präsentiert
werden.
Bei Roms bislang vergessenem Feldzug handele es sich um eine
"wissenschaftliche Sensation", erklärt Niedersachsens Wissenschaftsminister
Lutz Stratmann (CDU). Neben Fliegerbomben aus dem zweiten Weltkrieg haben
die Archäologen Waffenteile und persönliche Gegenstände von wahrscheinlich
rund 1.000 Legionären zutage gefördert.
Die meisten antiken Preziosen wurden in höchstens 40 Zentimeter Tiefe
gefunden - und sie sind exzellent gut erhalten. Auch die Axt eines
römischen Pioniers, Pferde- und Wagengeschirr, Schlüssel und Münzen wurden
entdeckt. Anhand von Sandalennägeln können die Archäologen sogar die
Fluchtwege der Legionäre nachvollziehen.
Als bislang sicherster Datierungshinweis gilt eine Münze mit dem Abbild des
römischen Kaisers Commodus, der von 180 bis 192 regierte. Experten datieren
die Schlacht am Harzrand auf die Jahre 180 bis 260. Im kommenden Jahr will
Kreisarchäologin Lönne mit Hilfe von Kollegen von der Freien Universität
Berlin weitergraben. Rätselhaft ist nämlich bislang, dass die Funde fast
durchweg den Römern zuzuordnen sind. Von den Germanen, die ihnen
aufgelauert haben müssen, fehlt jede Spur. Das könnte daran liegen, dass
das Gelände bislang nur mit Metalldetektoren abgesucht wurde. Lönne hofft,
bei den Ausgrabungen Gräber oder Knochen zu finden.
"Wir müssen einen neuen Blick auf die Quellen werfen", sagt Günther
Moosbauer, Althistoriker von der Universität Osnabrück. Er hält den
Schlachtplatz für den Teil eines Rachefeldzugs der Römer. Kaiser Maximus
Thrax könnte die Strafexpedition in Gang gesetzt haben, nachdem die
Alemannen etwa im Jahr 235 im Gebiet des heutigen Hessen über den Limes
gekommen waren.
Nach Moobauers Erkenntnissen sollen mit den Truppen sogar syrische
Bogenschützen als Söldner in römischen Diensten in der Harz gekommen sein.
Wegen der vielen noch intakt erhaltenen Fundstücke glaubt er, dass die
Römer das Gefecht gewonnen haben. Am wahrscheinlichen Schlachtort im
Teutoburger Wald, im niedersächsischen Kalkriese, sei "eine Armee zugrunde
gegangen", erklärt Moosbauer. "Bei der römischen Armee am Harzrand kann man
davon ausgehen, dass die Legionäre den Weg zurück nach Hause gefunden
haben".
Rolf Peter Dix hat die archäologische Sensation acht Jahre lang nichts
ahnend in seinem Wohnzimmerschrank aufbewahrt "Ich dachte, das käme aus dem
Mittelalter", sagt der 63-jährige Hobbyarchäologe. Der Rentner hatte
bereits im Jahr 2000 die ersten Speerspitzen und Katapultgeschosse mit
seiner Metallsonde gefunden, sie aber für relativ wertlos gehalten.
Erst nachdem ein Grabkollege in diesem Jahr Teile einer "Hipposandale",
einer Vorform des Hufes, ins Internet stellte, wurde ihm die Bedeutung des
Fundes klar. Dix wandte sich an die Kreisarchäologin Lönne. Seit Juni gräbt
sie in Kalefeld unter Ausschluss der Öffentlichkeit, damit das Gelände
nicht von Raubgräbern geplündert wird.
15 Dec 2008
## AUTOREN
Kai Schöneberg
## TAGS
Römer
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