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# taz.de -- Piraten, Schmuggler und Ausgestoßene: Freibeuter der Geschichte
> Wer will mit uns auf Kaperfahrt fahren: Über die Beziehungen zwischen
> Piraterie, Failed States und der ursprünglichen Akkumulation. Ein
> historischer Rundblick.
Bild: Die deutsche Marine auf Piratenjagd: Aushang an Bord der Fregatte "Karlsr…
"Ein leichter Korken, tanzt ich dahin auf steiler Welle." (Arthur Rimbaud,
"Le Bateau ivre")
Der Dichter und Abenteurer Rimbaud trieb sich, bevor er 37-jährig starb,
als Waffenhändler dort herum, wo heute die somalischen Piraten ihr
Hinterland haben. Während ihre Hintermänner - wenn man so will, die
wirklichen Piraten - in Dubai und den Vereinigten Arabischen Emiraten leben
sollen, entlang der früheren Piratenküste also. Das Gebiet, in dem die
Seeräuber navigieren, ist größer als das Mittelmeer und das Rote Meer
zusammen, sie konzentrieren sich laut FAZ um die "Piratenhochburg Eyl".
Ihre Zahl wird auf über 1.000 geschätzt. Es sind ehemalige Fischer mit
Meereskenntnissen, die wegen der systematischen Überfischung der
Küstengewässer kein Einkommen mehr hatten, Milizionäre, die zuletzt immer
schlechter bezahlt wurden, und Lehrer mit Sprachkenntnissen - für die
Lösegeldverhandlungen. Für jedes gekaperte Schiff verlangen sie im Schnitt
sechs Millionen Dollar. Politischen Schutz an Land und Absatz für ihre
Kaperware finden sie bei den mächtigen somalischen Stämmen.
Der Dichter und Piratenforscher Bert Papenfuß meint, dass es nur so lange
Piraten gab, wie sich die Staaten noch nicht konsolidiert hatten; ab da
handelte es sich um bloße Verbrecher und Terroristen. Andersherum hätten
Failed States auch immer wieder das Piratentum neu entfacht - wie jetzt vor
der somalischen Küste und so wie einst bei den südslawischen Uskoken, den
letzten Kämpfern gegen die Türken, die sich schließlich auf einige
Adriainseln zurückzogen, Schiffe bauten und als Piraten osmanische Frachter
überfielen. Nachdem Venedig ihnen die Unterstützung entzogen hatte,
überfielen sie ab 1566 auch christliche Schiffe. Abenteurer aus ganz Europa
schlossen sich ihnen an, die Uskoken waren jedoch aus Not Piraten geworden:
Überfälle sind unsere Landwirtschaft! Immer wieder verhandelten sie mit
Österreich um Ansiedlungsgebiete, vergeblich. Sie wollten sesshaft und
wieder Bauern werden. Die Jugoslawien-begeisterte Autorin Rebecca West
schreibt: "Sie wurden in die Piraterie wie in ein Gefängnis gezwungen, von
Mächten, die vorgaben, über ihre Verbrechen entsetzt zu sein." Der
Piratenforscher Ronald Voullié würde sie wohl nicht einmal als Verbrecher
bezeichnen, denn sie gehörten zur "Bruderschaft des Meeres", waren also,
wie viele Seeräuber vor und nach ihnen, "Likedeeler" (Gleichteiler).
In der Nord- und Ostsee galt das auch für die Vitalienbrüder des Klaus
Störtebeker. Diese wurden um 1400 von der Hanse vernichtet. Sie sind für
die Friesen, die von ihnen profitierten, noch heute Helden. Der
DDR-Geschichtsschreibung galten sie als proletarisch-sozialistische
Vorkämpfer. Ihre Führungstroika wurde für die "Arbeiterfestspiele" auf
Rügen dementsprechend besetzt: "Störtebekers ,Chefideologe' Magister
Wigbold, das war der Kurt Hager, Goedeke der Haudegen Mielke und
Störtebeker selbst die Lichtgestalt - Honecker", so sieht es rückblickend
der heutige Intendant der "Störtebeker-Festspiele" auf Rügen, Peter Hicks.
Neben seinem entpolitisierten Ostsee-Spektakel gibt es inzwischen auch noch
ein realgeschichtlich angelegtes "Störtebeker-Festspiel" an der Nordsee -
in Marienhafe, wo auch das größte Störtebeker-Denkmal steht. Der Ort war
einst fester Stützpunkt für die Vitalienbrüder.
Die Piraterie, der Raubüberfall, steht laut Karl Marx am Anfang jeder
ursprünglichen Akkumulation. Meist kennt man nur die gescheiterten
Seeräuber, also diejenigen von ihnen, die gefangen genommen und getötet
wurden. Unbekannt sind dagegen all jene Freibeuter geblieben, die
erfolgreich waren, also mit ihrer Prise (Beute) entkommen konnten - und
ehrenwerte Geschäftsleute wurden, denen mithin die ursprüngliche
Akkumulation im Sinne von Marx gelang.
Der gescheiterte Westberliner Kaufhauserpresser Dagobert, Arno Funke,
spricht in seiner Autobiografie von der gefährlichen "Schnittstelle"
zwischen Polizei und Geldübergabe, der alle Aufmerksamkeit zu gelten habe.
Die Schnittstelle bei der Seeräuberei ist eine doppelte: einmal - beim
Entern - zwischen dem eigenen und dem fremden Schiff und dann beim Umrubeln
der Kaperware an Land beziehungsweise beim anschließenden Transfer der
Gewinne in legale Geschäfte, auch Geldwäsche genannt.
Dergestalt sind die Freibeuter zwiefach gezwungen, sich an die
Haupthandelsströme zu heften. Und demzufolge waren ihre Wirkungszentren
nacheinander das Mittelmeer, die Karibik, das Südchinesische Meer, die ost-
und westafrikanische Küste, die Nord- und Ostsee sowie auch die
Wasserstraßen zwischen Indonesien und den Philippinen. Im Jahr 1993 wurden
von Peenemünde auf Usedom 40 von der Bundeswehr ausrangierte Kriegsschiffe
der NVA nach Indonesien verkauft. Nach Protesten von Pazifisten musste die
Regierung Suharto sich verpflichten, sie in ihren Gewässern nur gegen
"Piraten und Schmuggler", die dort "Sea Gypsies" genannt werden,
einzusetzen. Nach 1945 hatten die Indonesier selbst ihren
Unabhängigkeitskampf erst einmal als Piraten und Schmuggler mit englischen
Schiffen geführt, gegen Japaner und Holländer.
Um Peenemünde herum war ab 1945 nach dem Failed State Großdeutschland
zunächst ebenfalls eine der Piraterie günstige - nämlich unübersichtliche -
Situation entstanden. Hier waren es dann eine Frau Gnahb und ihr Sohn Otto,
die mit einem Fischkutter den "Stückgutverkehr" zwischen den Schwarzmärkten
entlang der Ostseeinseln besorgten, von den Russen geduldet. Sogar ein
Shanty von dieser und zugleich über diese "Königin der Ostseepiraten" wurde
gesungen. Es findet sich in Thomas Pynchons Peenemünde-Roman "Die Enden der
Parabel" auf Seite 777.
Als die DDR 1989 unterging, entstand noch einmal eine ähnliche Situation.
Im Jahr 1993 reimten der Lausitzer Baggerführer Gundermann und seine Band
Seilschaft in einem Lied bereits "Piratenschatz" auf "Arbeitsplatz". Seit
Beendigung der Privatisierungstätigkeit der Treuhand geht es in
Ostdeutschland aber nicht mehr um Arbeitsplätze, sondern um Immobilien.
Beim Anschluss Ost wurde vor allem mit Abschreibungsmöglichkeiten,
"Sonder-Afa" genannt, operiert. Auch in Gundermanns Braunkohlerevier, das
man in eine Lausitzer Seenplatte verwandeln will, geht es nur noch um
kostbare Uferimmobilien. Und in dieser Spannung zwischen den meist aus dem
Westen stammenden neuen Grundstücksbesitzern und den arbeitslos gewordenen
jungen Ostlern ("Freedom is if there is nothing left to lose", wie es in
einem alten Neonazi-Lied heißt) baut sich ein neues Piratenphänomen auf.
Bereits 1998 traf ich an der Mecklenburgischen Seenplatte die ersten
Binnensee-Freibeuter. Die beiden Yachtbesitzer orientierten sich äußerlich
an der Fernsehserie "Miami Vice", innerlich liebäugelten sie jedoch mit dem
Verbrechen. Der eine hatte bereits zu DDR-Zeiten wegen
"Arbeitsverweigerung" im Knast gesessen, der andere bekommt noch heute eine
Gänsehaut, wenn jemand in seiner Gegenwart von ehrlicher Arbeit spricht.
Beide lebten vom "Tschintschen" in Ufernähe. Ihre Gewinnspannen waren an
guten Tagen höher als die monatlichen ABM-Einkünfte der Saisonarbeitskräfte
des Malchower Biergartens, wo ihre Yacht "Bounty" an jenem Abend angelegt
hatte. Wenn man von dort weiter nach Rügen fährt, kommt man an vielen
Loser-Kneipen vorbei, die "Störti", "Zum Störtebeker" oder "De Likedeelers"
heißen, und ein in Stralsund gebrautes Bier namens "Störtebeker" wird als
"Bier der Gerechten" beworben.
Piraten müssen stets auf Kollisionskurs gehen. Hinter ihnen standen aber
oft ganze "Companies", seriöse große Kapitalgeber also. Dies war besonders
in Mittelamerika der Fall, wo es ein Pirat dann auch schaffte, berühmt zu
werden, ohne zu scheitern: Henry Morgan. Er wurde später Gouverneur von
Jamaica. Die Liste der erfolgreichen Investoren in Kapergeschäfte ist lang.
Sogar Voltaire beteiligte sich an einer auf Sklavenhandel spezialisierten
"Company".
Die Liste der Failed States wird auch immer länger. Im Jahr 1984 gab es
weltweit 50 Fälle von Piraterie, 1997 waren es 250 und 2000 bereits 471.
Deutschland beteiligt sich nun also mit einem eigenen Truppenkontingent an
der multinationalen Seeräuberjagd, die 1.400 Marinesoldaten bekommen pro
Tag und Mann 110 Euro für ihren Einsatz. In der UNO setzt sich dagegen
langsam der Plan durch, das Problem von der Landseite aus zu lösen.
29 Dec 2008
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Andreas Dresen
Piraten
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Projektionsfläche.
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