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# taz.de -- Debatte Finanzkrise und Hunger: "Heilige Kühe" schlachten
> Jetzt gilt es, antizyklisch die Kleinbauern in Afrika und Asien zu
> unterstützen. Die systematische Modernisierung ihrer Betriebe kann
> erneute Hungerwellen verhindern
Im ersten Quartal des Jahres 2008 häuften sich die Berichte über massive
Proteste gegen rasant steigende Preise für Nahrungsmittel und Benzin in
Westafrika, Zentralamerika, der Karibik und Teilen Asiens. Infolgedessen
gingen etwa Indien, Argentinien, Pakistan, Vietnam dazu über, den Export
von Reis wenn nicht zu verbieten, dann erheblich zu erschweren. Nur so
konnten sie ihre einheimischen Verbraucher schützen.
Nur neun Monate später zeigt sich ein völlig verändertes Bild. Die
Spekulationsblase ist in sich zusammengefallen. Die Preise fast aller
landwirtschaftlichen Rohstoffe sind wieder um 50 Prozent gefallen, der
Preis für Öl brach noch deutlich stärker ein. Letzterer beeinflusst über
die Transportkosten indirekt ganz erheblich die Preise für Nahrungsmittel.
Von dem Preisverfall profitieren die Konsumenten in den städtischen
Agglomerationen der Entwicklungsländer ebenso wie die meisten Deutschen von
den sinkenden Benzinpreisen.
Trotzdem wird in der politischen Diskussion unter dem Stichwort der
"multiplen Krisen" gerne suggeriert, dass sich Finanz- und Wirtschaftskrise
auf der einen und Nahrungsmittelkrise auf der anderen Seite gegenseitig
bedingen oder gar verstärken. Das aber hat mit der Realität wenig zu tun.
Das zu behaupten grenzt fast schon an Volksverdummung.
Doch obgleich sich die Situation im Moment entschärft hat - die
Nahrungsmittelkrise hat auf ein zentrales strukturelles Problem aufmerksam
gemacht. Die wachsende Weltbevölkerung und die steigende Kaufkraft in
Entwicklungs- und Schwellenländern stoßen bei gegebenen
landwirtschaftlichen Anbaumethoden auf begrenzte Ressourcen an fruchtbaren
Böden und Wasser. Sollte die Weltwirtschaft auf einen Wachstumspfad
zurückkehren, ist daher die nächste Nahrungsmittelkrise vorprogrammiert.
Armut und Hunger sind immer noch in erster Linie ein ländliches Phänomen.
Die niedrige landwirtschaftliche Produktivität führt zu geringen Einkommen
und zu niedriger Kaufkraft im ländlichen Raum. Die Folgen sind, dass
weniger in die Landwirtschaft investiert wird, eine hohe
Landinanspruchnahme durch extensive "shiftung cultivation", Überweidung
sowie dass in die Vermeidung von Bodenerosion oder die Erhöhung von
Bodenfruchtbarkeit gar nicht mehr investiert wird. Bei steigendem
Bevölkerungsdruck führt traditionelle Subsistenzlandwirtschaft daher zu
mehr Armut, mehr Hunger, mehr ökologischen Problemen und mehr Landflucht.
Weite Teile Afrikas und Asiens sind durch bäuerliche Familienbetriebe
geprägt. Eine Strategie, die darauf zielt, ländliche Armut zu verringern
und gleichzeitig die landwirtschaftliche Produktion in weiten Teilen
Afrikas und Asiens zu steigern, wird sich deshalb über eine
Modernisierungs- und Investitionsstrategie für bäuerliche Familienbetriebe
Gedanken machen müssen.
Diese Perspektive erfordert, einige "heilige Kühe" der
entwicklungspolitischen Diskussion zu schlachten. So bilden
Exportlandwirtschaft und die Produktion von Nahrungsmitteln für den
einheimischen Markt vielfach keinen Gegensatz. Die wichtigsten
landwirtschaftlichen Exportgüter Afrikas - Baumwolle, Kaffee und Kakao -
werden fast ausschließlich von Kleinbauern und von diesen als Mischkulturen
oder in Fruchtfolge angebaut. Die "Cash Crops", mithin die für den Export
bestimmten "Geld-Früchte", erlauben dabei oft den Zugang zu Krediten,
Düngemitteln und zur landwirtschaftlichen Beratung. Stehen diese Ressourcen
zur Verfügung, führt das in der Regel zu einem Anstieg der
Nahrungsmittelproduktion. Gleiches gilt für den Vertragsanbau. Er
ermöglicht den Bauern, qualitativ hochwertige Ware sowohl für den Export
als auch für die in den Entwicklungsländern expandierenden
Lebensmittelketten zu produzieren.
Entscheidend ist, dass Cash Crops und Vertragsanbau den Bauern den Zugang
zu moderner Technologie öffnen, das heißt zu qualitativ hochwertigem
Saatgut, Ochsenanspannung, Pflügen, organischem und anorganischem Dünger.
Dies ermöglicht Produktivitäts- und Einkommenssteigerungen, vorausgesetzt,
die vertraglichen Konditionen sind ausgewogen und fair.
Zu Recht monieren die Globalisierungskritiker indessen, dass der
wirtschaftswissenschaftliche und politische Mainstream sich in den letzten
Jahrzehnten einseitig auf die Handelsliberalisierung in den
Entwicklungsländern konzentriert hat. Als in der ersten Hälfte von 2008 auf
dem Weltmarkt plötzlich kaum noch Reis zu bekommen war, realisierte nicht
nur der Senegal, wohin es führt, wenn die eigene "teure" Reisproduktion
über Jahre zugunsten billiger Importe vernachlässigt wird.
Deshalb sind nicht "marktkonforme" Mittel wie Importzölle, garantierte
Mindestaufkaufpreise, begrenzte Düngemittelsubventionen, günstige
Kreditzinsen in Jahren niedriger landwirtschaftlicher Preise - das zeigen
die Erfahrungen der letzten Jahre eindeutig - sinnvoll, um
landwirtschaftliche Produktion für Bauern attraktiver zu machen und den
Bauern Investitionen zu ermöglichen und damit die Produktion von Rohstoffen
und Lebensmittel zu steigern. Es ist sinnvoll, gerade den ärmsten Ländern
Mittel der Entwicklungszusammenarbeit wieder für solche Zwecke zu Verfügung
zu stellen. Wer die Spekulationsblasen der Zukunft mit ihren dramatischen
Auswirkungen für Millionen von Menschen abmildern möchte, ist gut beraten,
jetzt antizyklisch in die Förderung der landwirtschaftlichen Produktion zu
investieren.
Die Lage der landwirtschaftlichen Familienbetriebe in Entwicklungsländern
ist vielschichtig. Dort findet man nicht nur den Kleinbauern mit einem
Hektar marginaler Böden, dessen Familie am Existenzminimum lebt. Es gibt
auch den Lehrer in Ghana, der sein begrenztes staatliches Gehalt mit einer
5 Hektar großen Palmölplantage substanziell aufbessert und seinen beiden
Söhnen so ein Studium finanziert. Oder es gibt den Beamten in Benin, der
seinen sicheren Staatsjob an den Nagel gehängt hat, weil er mit seinen 12
Hek- tar, auf denen er Mais, Sorgha, Baumwolle und Cashewnüsse anbaut,
deutlich mehr Geld verdient und sich einen Traktor sowie einen Landrover
leisten kann. Oder es gibt den Kaffeebauern in dritter Generation am Mount
Kenia, dessen gepflegter Hof mit getrenntem, solide gebauten Wohnhaus,
Ställen, Geräteschuppen und Komposthaufen von einem Lebensstandard zeugt,
der deutlich über dem der meisten Kenianer liegt.
Diese Bauern, die durchaus verschiedene Regionen Afrikas prägen, stehen für
den Typus des bäuerlichen Kleinunternehmers, der recht gut ausgebildet ist,
auf moderne Technik setzt und auch deswegen für moderne ökologische
Anbaumethoden offen ist. Landwirtschaft muss für diesen Typus von Bauern
und damit ganze Regionen in Entwicklungsländern eine Wohlstandsperspektive
bieten, wenn zukünftige Nahrungsmittelkrisen verhindert werden sollen.
ROGER PELTZER
13 Jan 2009
## AUTOREN
Roger Peltzer
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Kaffee
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