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# taz.de -- Pierre-Joseph Proudhon zum 200.: Der anarchistische Kleinbürger
> Seinen Ausspruch "Eigentum ist Diebstahl" kennt fast jeder. Ansonsten ist
> Pierre-Joseph Proudhon, der radikale anarchistische Denker des 19.
> Jahrhunderts, fast in Vergessenheit geraten.
Bild: Ob die "Volksbank" heute noch weiß, wer als erster die Idee dazu hatte?
Niemand wird bestreiten, dass Pierre-Joseph Proudhon, den Georges Sorel als
den "größten französischen Philosophen des 19. Jahrhunderts" bezeichnet
hat, heute zu den großen "Vergessenen" der französischen Ideen- und
Sozialgeschichte gehört. Die französische Ausgabe der Monatszeitung Le
Monde diplomatique nennt ihn in einem Artikel ihrer Ausgabe vom Januar gar
den "infréquentable Proudhon"! "Infréquentable"? Also etwa "anrüchig" oder
"unzeitgemäß"?
Die großen Pariser Verlagshäuser - von Fayard einmal abgesehen, der sein
bedeutendstes Werk "De la Justice dans la Révolution et dans l'Eglise"
(1858; Die Gerechtigkeit in der Revolution und in der Kirche) in seiner von
Michel Serres herausgegebenen Klassiker-Reihe neu aufgelegt hat - kehren
ihm schon lange den Rücken zu.
Zu seinem 200. Geburtstag, der sich morgen, am 15. Januar 2009, jährt -
soll er dennoch etwas "entstaubt" werden. Darum zumindest bemüht sich die
Société Pierre-Joseph Proudhon, die des einflussreichen, aber wegen seiner
antisemitischen Äußerungen in seinen Tagebüchern ("Carnets") nicht
unumstrittenen französischen Sozialphilosophen noch im Sommer dieses Jahres
in Besançon, der Geburtsstadt Proudhons, mit einem internationalen
Symposium gedenken wird.
In die Geschichte der Sozialphilosophie und der sozialen Bewegungen des 19.
Jahrhunderts ist Proudhon, der "Vater" des französischen Anarchismus,
eingegangen als Begründer des "Mutuellisme" (Prinzip der Gegenseitigkeit)
und der "Banque Populaire" (Volksbank); zweier Begriffe, die gewissermaßen
die Grundpfeiler seiner Vision einer libertären, föderierten und von
kapitalistischer Ausbeutung befreiten Gesellschaft sind und die seiner der
"Autonomie" und der "Freiheit" verpflichteten Sozialphilosophie den Stempel
aufgedrückt haben. Seine Devise war: "Liberté - Egalité - Fraternité -
Mutualité!"
Karl Marx, der Proudhon 1844 während seines Exils in Paris persönlich
kennengelernt hatte, verdankt ihm unter anderem den Begriff des
"Klassenkampfs". Sein auf Französisch geschriebenes Buch "Das Elend der
Philosophie. Antwort auf Proudhons 'Philosophie des Elends' " (1847) ist
jedoch eine sehr kritische Replik auf Proudhons Thesen. Vor allem die
Proudhonsche Theorie der Notwendigkeit einer Klassenallianz von Proletariat
und Mittelklasse lehnte Marx ab und bezeichnet sie als typische Ansicht
eines "Kleinbürgers", der ständig "zwischen Kapital und Arbeit, politischer
Ökonomie und dem Kommunismus schwankt".
Zwar verstand auch Proudhon sich als Anhänger eines "wissenschaftlichen
Sozialismus", der auf "die Wissenschaft einer methodisch erschlossenen
Gesellschaft" gegründet sein soll. Seine Strategie zur Emanzipation der
arbeitenden Klassen jedoch unterschied sich von der von Marx und Engels
dahingehend, dass er die Veränderung der Gesellschaft nicht durch die
revolutionäre Selbstorganisation des Proletariats als der eigentlichen
Antriebskraft einer sozialen Revolution anstrebte, sondern nur durch
radikale wirtschaftliche und politische Reformen mittels der auf dem
Prinzip der Mutualité (der gegenseitigen Hilfe) gegründeten
Arbeiterassoziationen. Sie sollten zum Eckpfeiler der von ihm propagierten
"Arbeiterdemokratie" werden.
Zu diesem Zweck gründete Proudhon im Jahre 1849 die "Volksbank" (Banque
Populaire), die - durch den Verkauf von "Volksaktien" zum Preis von 5
Francs - zinslose Kredite an die Arbeiter vergeben sollte. Auf politischer
Ebene kämpfte Proudhon als Journalist und Herausgeber der Zeitungen Voix du
Peuple, Le Peuple und Le Représentant du Peuple für eine Änderung des
Wahlrechts zugunsten der arbeitenden Klassen. 1848 war er als Sozialist in
die französische Nationalversammlung gewählt worden. Auch forderte er immer
wieder eine Senkung der Zinsen und der Mieten.
Während sich Marx schon seit 1847 eindeutig für das Prinzip "Klasse gegen
Klasse" und - ähnlich wie Louis Auguste Blanqui - für den Sturz der
bürgerlichen Herrschaft durch das organisierte Proletariat aussprach,
stützte Proudhon, der radikale libertäre Pragmatiker, seine wesentlich
gemäßigteren Forderungen primär auf die Prinzipien des "pragmatischen
Travaillismus" und des "selbstverwaltenden Föderalismus" sowie auf einen
sehr radikalen Antiklerikalismus. "Die Anarchie", lehrte Proudhon, "das ist
die Ordnung ohne die Macht." Stets verteidigte er - gegen den Marxschen
"Kollektivismus" - die Freiheitsrechte des Individuums.
Wegen seiner radikalen Kritik am bürgerlichen Eigentumsbegriff ("Eigentum
ist Diebstahl!"), wegen seines Atheismus und seiner scharfen Opposition
gegen Louis Napoleon Bonaparte III., dessen diktatorische Bestrebungen er
schon seit 1848 heftig bekämpfte, musste Proudhon - ähnlich wie
Louis-Auguste Blanqui - viele Jahre seines Lebens im Gefängnis verbringen.
Von 1849 bis 1852 war er in Sainte-Pélagie inhaftiert, dem damaligen
Staatsgefängnis für politische Häftlinge, und nach dem Verbot seines sehr
antiklerikalen Buches "De la Justice dans la Révolution et dans l'Eglise"
im Jahre 1858 gar zur Flucht nach Belgien gezwungen. Aus diesem Exil kehrte
er erst im Jahre 1862, drei Jahre vor seinem Tod, zurück.
Bis zuletzt kämpfte Proudhon leidenschaftlich für seine Utopie der
"Föderation". Sein 1863 veröffentlichtes Buch "Über das föderative Prinzip
und die Notwendigkeit, die Partei der Revolution wieder aufzubauen" bringt
noch pathetisch die Hoffnung zum Ausdruck, dass "das 20. Jahrhundert die
Ära der Föderation eröffnen wird". "Das Proletariat ist dazu berufen", kann
man da lesen, "sie zu verwirklichen. Sozialismus, das bedeutet Föderation
und sonst nichts."
In seiner nach seinem Tod am 19. Januar 1865 erschienenen Schrift "Theorie
des Eigentums" entwickelte Proudhon parallel zu der Konzeption der in einer
losen Föderation Güter austauschenden und in Selbstverwaltung
("autogestion") von den Arbeitern geleiteten industriellen und
landwirtschaftlichen Produktionseinheiten den Begriff des "föderativen
Eigentums", demzufolge die einzelnen Produzenten Miteigentümer an den einst
ausschließlich privat appropriierten Produktionsmitteln werden sollten. Ein
Vorschlag, der allerdings bei den Anhängern von Marx in der
"Internationalen Arbeiterassoziation" (IAA) auf wenig Gegenliebe stieß,
insofern, als die Marxsche Forderung nach Vergesellschaftung der großen
Produktionsmittel dies ausschloss.
Proudhon hingegen verteidigte ausdrücklich die individuelle
Unternehmensinitiative des Kleinhandwerks, die er gleichberechtigt neben
die kollektiven Produktionsformen der Arbeiterassoziationen stellen wollte.
Er blieb jedoch der "Sozialist des Kleinbauern und des Handwerksmeisters".
Wenn dennoch jetzt, wenngleich auch nur mit Vorbehalten, von einer erneuten
"Aktualität" Proudhons heute, im Frankreich Sarkozys, gesprochen werden
kann, so nicht nur wegen seiner in linken anarcho-syndikalistischen
Gewerkschaftskreisen immer noch lebendigen und populären Theorie der
"autogestion", sondern auch wegen seiner leicht aktualisierbaren radikalen
Kritik an der Privilegienwirtschaft und dem Zynismus eines
moralisch-politisch sich immer mehr zersetzenden, immer autoritärere und
neobonapartistische Züge annehmenden neoliberalen Systems. Dessen Absichten
und "Perversionen" hat Proudhon schon in den 50er-Jahren des 19.
Jahrhunderts schonungslos entlarvt und gegeißelt.
13 Jan 2009
## AUTOREN
Arno Münster
## TAGS
Recht auf Stadt
Knapp überm Boulevard
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Sainte-Pélargie, wo er wegen Beleidigung der Staatsmacht von Juni 1849 bis
1852 einsaß. Unveröffentlichte Notizen aus dem Kerker
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