# taz.de -- Konflikt im Ostkongo: Niemand blickt durch | |
> Die Lage im Kongo bleibt unübersichtlich. Erst ist Ruandas Armee | |
> eingerückt, dann Kongos Armee, und jetzt wurde der Rebellenführer Nkunda | |
> verhaftet. | |
Bild: Von Menschenrechtlern schwer beschuldigt: Rebellenführer Nkunda. | |
GOMA/RUTSHURU taz Der Hotelmanager hat das Radio an seinen | |
Disco-Lautsprecher angeschlossen, die Frühstücksgäste sind sprachlos. Ein | |
Sprecher des kongolesischen Generalstabs verliest die Meldung von der | |
Verhaftung Laurent Nkundas. Der gefürchtete Führer der Tutsi-Rebellen im | |
Osten der Demokratischen Republik Kongo, dessen militärische Erfolge das | |
Land seit Jahren in Atem halten und der sich zuletzt als ebenbürtiger | |
Gegenspieler des Präsidenten Joseph Kabila verstand, wurde um halb elf in | |
der Nacht zu Freitag festgenommen - ausgerechnet in Ruanda, das als Nkundas | |
Schutzmacht galt. | |
"Unglaublich!", entfährt es einem Zuhörer, während ein anderer den Kopf | |
schüttelt: "Wir verstehen überhaupt nichts mehr. Wir erleben historische | |
Augenblicke, aber wohin der Lauf der Geschichte führt, wissen wir nicht." | |
Die offizielle Mitteilung lautet, Nkunda sei nach "Widerstand" gegen | |
vorrückende kongolesische Regierungssoldaten bei Bunagana über die nahe | |
Grenze nach Ruanda geflohen und verhaftet worden. Tatsächlich, so lokale | |
Quellen, wurde in Bunagana gar nicht gekämpft, und Nkunda wäre wohl auch | |
kaum vor Soldaten geflohen, die er regelmäßig selbst in die Flucht schlägt. | |
Ein Mitarbeiter Nkundas behauptet, der Rebellenchef sei zu Konsultationen | |
nach Ruanda gerufen und dort festgenommen worden. Sein weiteres Schicksal | |
ist nicht bekannt: Er soll sich in Militärgewahrsam in Ruanda befinden, | |
aber es werden unterschiedliche Orte genannt. Kongo hat seine Auslieferung | |
beantragt. | |
Innerhalb weniger Tage wurden somit die Verhältnisse im Ostkongo, einem der | |
schlimmsten Kriegsgebiete der Welt, komplett durcheinandergewirbelt. Am | |
Freitag vergangener Woche verkündeten die Generäle von Nkundas | |
Rebellenorganisation CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes), | |
die große Teile der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu beherrschen, das | |
Ende ihres Kampfes. Am Dienstag rückte Ruandas Soldaten zu tausenden ins | |
Rebellengebiet ein, zum gemeinsamen Kampf mit Kongos Armee und CNDP gegen | |
die ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung | |
Ruandas) im Ostkongo. Und nun haben sie als Erstes CNDP-Führer Nkunda, der | |
sich gegen seine Generäle gestellt hatte, außer Gefecht gesetzt. | |
Nichts ist mehr so, wie es scheint. Vordergründig sieht es in den grünen | |
Hügeln des Distrikts Rutshuru, wo die Vulkane Ruandas blau am Horizont | |
schimmern und man in die andere Richtung durch die Bananenhaine zuweilen | |
auf blaue Seen und idyllische Landschaften blickt, nach Frieden aus: | |
Soldaten in grünen Uniformen, bepackt mit Plastikcontainern, | |
Kartoffelsäcken, Sturmgewehren und was man sonst so im Kongo zum Überleben | |
braucht, marschieren in einer endlosen Kolonne in der Sonne eine zerfallene | |
Teerstraße entlang. Auf der Straßenseite gegenüber, im Schatten, stehen | |
einige wenige Rebellen in scheckigen Tarnuniformen und gucken. Es fällt | |
kein Schuss, es fällt kein Wort. | |
Genauso könnte allerdings auch Krieg aussehen: Denn je weiter sich die | |
Straße von der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma Richtung Norden in | |
die 70 Kilometer entfernte Distrikthauptstadt Rutshuru durch den Busch | |
schlängelt, desto zahlreicher werden auch die Soldaten. Sie beugen sich von | |
überladenen Lastwagen herunter, sie liegen im Gras, sie drängeln sich vor | |
einem Transporter mit Lebensmitteln, sie häufen ihr Gepäck in riesigen | |
Bündeln. Die kongolesischen Regierungstruppen denken nicht daran, zusammen | |
mit ihren Kameraden aus Ruanda weiterzuziehen. Sie tun so, als eroberten | |
sie einfach kampflos Nkundas Rebellengebiet zurück. Und vielleicht stimmt | |
das sogar. | |
Im kleinen Dorf Kibumba dominieren die Regierungssoldaten den Gemüsemarkt. | |
Mehr Soldaten stehen da herum als Kohlköpfe. Die zum Truppentransport | |
requirierten Lastwagen blockieren die Straße. | |
In den Dörfern am Südrand von Rutshuru fläzen sie sich breitbeinig und | |
arrogant in den Vorgärten von Lehmhütten, deren Bewohnerinnen verschreckt | |
auf den schmalen Holzbänken an den Türen hocken. In der 100.000 Einwohner | |
zählenden Distrikthauptstadt selbst richten sie sich im Sportstadion ein | |
und bummeln durch die Gassen, immer beäugt von CNDP-Soldaten. | |
In seinem gepflegten, einfachen Haus in Rutshuru zwischen unbefestigten, | |
zerfurchten Wegen feiert Territorialverwalter Jules Simpense, von den | |
CNDP-Rebellen eingesetzt, gerade die Taufe seiner jüngsten Tochter. | |
Herausgeputzte kleine Mädchen in weißen Kleidern und kleine Jungs in | |
schwarzen Anzügen rennen aufgeregt ein und aus, während drinnen Musik | |
spielt und Bierkästen angeschleppt werden. Beim Gespräch auf der Veranda | |
stellt der junge Mann mit dem CNDP-Anstecker "Rebels For Christ" am | |
Anzugrevers klar, dass das alles so nicht vorgesehen war: "Die Soldaten | |
sollen nicht die Stadt besetzen, sie sollen in Richtung der FDLR-Gebiete | |
weiterziehen, aber sie neigen dazu, das nicht zu tun", erklärt er | |
diplomatisch. Seit Donnerstag rücke Ruandas Armee wie vereinbart in zwei | |
Richtungen gegen die FDLR-Milizen vor - einmal Richtung Ishasha an der | |
Grenze zu Uganda, einmal Richtung Nyanzale ins Landesinnere. Aber die | |
Regierungssoldaten des Kongo gehen nicht mit. "Sie haben nichts zu essen | |
und keine Unterkunft", warnt ein Mitarbeiter Simpenses. "Nach zwei Tagen | |
werden wir sehen, was das ergibt, und das wird Konsequenzen haben." Das ist | |
eine kaum verhüllte Warnung, dass Nkundas Rebellen notfalls wieder zu den | |
Waffen greifen. Ob mit oder ohne Nkunda. | |
"Inquiétude" - Beunruhigung - ist die häufigste Antwort im kleinen Dorf | |
Rugari weiter südlich, wenn man nach der Stimmung fragt. "Wir haben keine | |
Ahnung, was hier los ist", sagt ein verhärmter alter Mann, der an der | |
Hauptstraße neben einer CNDP-Patrouille das Treiben beobachtet. Am Dienstag | |
spazierten an den verblüfften Dorfbewohnern lange Kolonnen ruandischer | |
Truppen vorbei. Am Mittwoch folgten ebenso lange Kolonnen kongolesischer | |
Truppen. Am Donnerstag laufen kongolesische Regierungsverbände und | |
CNDP-Rebellen durcheinander die Straße auf und ab. Haben die Leute denn | |
nicht die Soldaten gefragt, was sie hier machen? "Das sind Soldaten", | |
lautet die Antwort. "Denen stellt man keine Fragen." | |
Einer, der Fragen stellen darf, ist der traditionelle König der Region, | |
Mwami Paul Ndeze. Er regiert über die kongolesischen Hutu, die im Distrikt | |
Rutshuru die Bevölkerungsmehrheit stellen. Der gedrungene Mann mit | |
ergrautem Haar kann sich kaum gegen die vielen Obstverkäuferinnen | |
behaupten, die das Auto umringen, als er südlich von Rutshuru auf der | |
Hauptstraße anhält. "Ich habe keine Ahnung, was hier los ist", eröffnet er | |
die Diskussion. Kann ihm mal bitte jemand erklären, warum hier jetzt jeden | |
Tag eine andere Armee durchläuft? Er weiß nicht einmal, wen er anrufen | |
soll, falls etwas passiert. "Es braucht nur ein hungriger Soldat einen | |
Laden zu plündern und ein CNDP-Soldat geht dazwischen, und dann wird wieder | |
geschossen", fürchtet er. Kongos Hutu haben unter Kongos Kriegen viel | |
gelitten. Sie wurden immer wieder als mutmaßliche Kollaborateure der | |
ruandischen Hutu-Milizen verdächtigt, die sich nach dem von ihnen | |
begangenen Völkermord in Ruanda 1994 im Kongo versteckten. Sie haben seit | |
sechzehn Jahren keinen Frieden mehr erlebt. Ihre Märkte sind ärmlich, die | |
Dorfhütten elendig, obwohl es in dieser Region nicht an Nahrung mangelt: | |
Der Boden ist sehr fruchtbar, auf der Hauptstraße donnern Lastwagen mit | |
fünf Meter hohen Ladungen Gemüse Richtung Goma. Zu essen gibt es viel, aber | |
Geld hat hier kaum jemand. Die Frauen mit Schüsseln voller Orangen, | |
Avocados und Bananen auf dem Kopf werden ihre Ware nicht los, obwohl viele | |
der staubigen und zerlumpten Kinder hungrig aussehen. | |
So manche Hutu haben jetzt die Rückkehr der Regierungsarmee begrüßt. Das | |
Gebiet fiel erst im Oktober 2008 an die Tutsi-Rebellen der CNDP, die in | |
Rutshurus Vorstadt Kiwandja prompt ein Massaker anrichteten. Für die | |
Regierungssoldaten gab es jetzt dort sowie in manchen anderen Orten | |
Freudenfeste, erzählt der König. "Manche Frauen haben vor den Soldaten ihre | |
besten Tücher auf der Straße ausgebreitet, als Zeichen der Huldigung, so | |
als hätte es einen militärischen Sieg gegeben." Ist es nicht gut, wenn sich | |
die Leute freuen? "Ich kann mich darüber nicht freuen. Da kommt vieles | |
hoch, was ungut ist: Stammestum und Hass: dass die einen gut sind und die | |
anderen schlecht." Er meint die Feindschaft von Hutu und Tutsi und die | |
anderen abgrundtiefen ethnischen Konflikte Ostkongos, die seit 1993 | |
hunderttausende Tote gefordert haben und deren Beendigung eines der | |
erklärten Ziele der CNDP ist. | |
Militärische Feldzüge gegen die FDLR haben nie funktioniert, sagt der | |
König. "Alle sagen: Die Soldaten aus Ruanda werden die Milizen auf den | |
Straßen suchen, während die sich im Busch verstecken. Es ist ganz anders. | |
Die Soldaten suchen die Milizen im Busch, aber tatsächlich sind sie hier, | |
mitten auf der Straße, während wir reden, oder sie sitzen in den Häusern | |
und gucken zu. Sie sind überall." Viele FDLR-Kämpfer haben sich längst bei | |
kongolesischen Hutu eingeheiratet, im Kongo Kinder gezeugt, kongolesische | |
Ausweise erworben. Sie sind Teil der Bevölkerung geworden. | |
Die Regierungssoldaten haben andere Sorgen. Sie ziehen im Kongo mit ihren | |
Familien durch das Land, meist erschöpft und geschunden wirkende Frauen, | |
die zur Rast irgendwie eine Unterkunft improvisieren müssen. Die Frauen | |
schleppen Unmengen gelber Plastik-Wassercontainer, das wichtigste | |
Haushaltsgut unter der kriegsbedingt sehr mobilen Bevölkerung Ostkongos, | |
während ihre Männer mit Koffern und Waffen herumlaufen. Ist das der neue | |
Krieg? Ist das der neue Frieden? | |
23 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Afrika | |
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verfolgt im Kongo eigene Interessen. |