# taz.de -- Landesarbeitsgericht urteilt über "Emmely": Kündigung wegen 1,30 … | |
> Wegen Unterschlagung von zwei Leergutbons wurde Kassiererin Barbara E. | |
> fristlos gefeuert. Sie habe das Vertrauen des Arbeitgebers Kaisers | |
> missbraucht, so das Gericht. | |
Bild: Vor dem Urteil: Kassiererin Emmely am Dienstag vorm Berliner Landesarbeit… | |
BERLIN taz Vier Frauen stehen vor dem Landesarbeitsgericht. Vor ihren | |
Körpern tragen sie selbst geschriebene Transparente. "Keine Repressionen | |
gegen gewerkschaftlich aktive Kolleginnen!", steht auf dem einen, "Weg mit | |
der Verdachtskündigung! Solidarität mit Emmely!" steht auf dem anderen. Die | |
Frauen sind vom Bundesverband Migrantinnen. Vom Fall Emmely fühlen sich | |
viele angesprochen. | |
Dennoch wird im Saal 334 die Kündigungsschutzklage der Kaisers-Kassiererin | |
nun schon in zweiter Instanz abschlägig beschieden. Die 50-Jährige habe von | |
ihrem Arbeitgeber fristlos gekündigt werden dürfen, weil gegen sie der | |
dringende Verdacht einer Straftat bestand, urteilt Richterin Daniela Reber. | |
Am 22. Januar 2008 soll Barbara "Emmely" E. an ihrem Arbeitsplatz zwei | |
Pfandbons eingelöst haben. Diese hatte ein Kunde zehn Tage zuvor im | |
Supermarkt verloren und wurden nun im Büro aufbewahrt. Der Wert des einen | |
Bons betrug 48 Cent, der des anderen 82 Cent. | |
Doch die seit 31 Jahren als Verkäuferin beschäftigte Frau bestreitet: "Ich | |
kann nur immer wieder betonen, ich wars nicht", sagt die füllige Frau mit | |
der kleinen, runden Brille. Sie habe sich an diesem Tag ihre Einkaufs- und | |
Pfandbons abzeichnen lassen: "Mitarbeiter-Bons müssen immer abgezeichnet | |
werden." Die einzige Erklärung für das Vorgefallene sieht Barbara E. in | |
ihrem gewerkschaftlichen Engagement. Gemeinsam mit sieben anderen | |
Kolleginnen hatte sie sich seit November 2007 in ihrer Hohenschönhausener | |
Supermarkt-Filiale an drei Streikwellen beteiligt. Die Streikenden seien | |
dann zu Einzelgesprächen mit der Distriktmanagerin und dem Filialleiter | |
gebeten worden. "Man solle in sich gehen und sich überlegen, auf welcher | |
Seite man steht", erinnert sich "Emmely". Die Streikbrecher dagegen habe | |
man zum Bowlen eingeladen und sie gebeten, "Augen und Ohren offenzuhalten" | |
und Unregelmäßigkeiten sofort zu melden. Sie wusste seit Oktober 2007, dass | |
sie "auf der schwarzen Liste ganz oben" stehe, sagt Barbara E. In dieser | |
angespannten Situation hätte die erfahrene Kassiererin ihrem Arbeitgeber | |
wohl kaum für einen derart lächerlichen Betrag einen Kündigungsgrund | |
geliefert. Zumal ihre Vorgesetzte bei der angeblichen Tat direkt hinter ihr | |
gestanden und ihre streikbrechende Erzfeindin an der Kasse gesessen habe - | |
so das Komitee "Solidarität mit Emmely". | |
In der Tat ist es merkwürdig, dass man E. erst drei Tage nach der | |
angeblichen Tat mit den Vorwürfen konfrontierte: Drei Tage beträgt die | |
Löschungsfrist der Videoaufzeichnungen aus dem Kassenbereich, die Barbara | |
E. womöglich entlastet hätten. Die Richterin sah dies jedoch anders. Es | |
ginge um "das rechtlich unangefochtene Instrument der Verdachtskündigung, | |
für die jedoch bloße Vermutungen nicht ausreichen", erklärt Daniela Reber. | |
Die Richterin fand die belastenden Zeugenaussagen glaubwürdig, die Klägerin | |
jedoch habe bei der Befragung durch den Arbeitgeber immer wieder falsche | |
Angaben gemacht. "Es geht nicht nur um Verdacht, sondern die Klägerin hat | |
diese Tat auch begangen", sagt die Richterin. Deshalb sei es für den | |
Arbeitgeber unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist abzuwarten. Auch eine | |
Abmahnung sei nicht in Betracht gekommen: Eine Kassiererin müsse absolut | |
zuverlässig sein, "auch bei kleinsten Beträgen". Nicht die 1,30 Euro seien | |
der Kündigungsgrund gewesen, auch nicht die Teilnahme am Streik, sondern | |
der irreparable Vertrauensverlust, so die richterliche Argumentation. | |
Damit begibt sich Reber vollständig auf die Seite von Kaisers, die von der | |
Rechtsanwältin Karin Schindler-Abbes vertreten wird. Man dürfe "nicht mit | |
den Vermögensdingen des Arbeitgebers leichtfertig umgehen", sagt die | |
Anwältin. "Wo wollen Sie da die Grenze ziehen?" Es ginge auch nicht um den | |
Streik. Es sei auch nach E.s Kündigung gestreikt worden. "Das ist völlig | |
legitim", so die Kaisers-Vertreterin. Die Gesamtumstände hätten ergeben, | |
die Mitarbeiterin sei nicht vertrauenswürdig. | |
Nach der Verkündung ihrer Niederlage wird Barbara E. von ihrer Tochter | |
getröstet. Dann stellt sie sich den Journalisten. "Ich bin erschüttert", | |
sagt sie tapfer in die zahlreichen Mikrofone. Sie habe heute Morgen ein | |
gutes Gefühl gehabt und geglaubt, die Richterin würde zu ihren Gunsten | |
urteilen. "Ich bin einfach nur enttäuscht", sagt sie noch. Dann schießen | |
ihr die Tränen in die Augen. In der so entstandenen Pause versichert ihr | |
Anwalt Benedikt Hopmann, die wenigen Mittel, die seiner Mandantin nun noch | |
geblieben sind, ausschöpfen zu wollen. Er werde eine Verfassungsbeschwerde | |
einlegen und sich notfalls an den Europäischen Gerichtshof für | |
Menschenrechte wenden. Es sei nur aus des Arbeitgebers Sicht argumentiert | |
worden: "Die Perspektive meiner Mandantin, die beanstandungsfreien 31 | |
Arbeitsjahre, der Verlust von Rente und Arbeit", seien völlig unter den | |
Tisch gefallen, meint Hopmann. | |
Es sei eine Möglichkeit, "dass Kaisers mir die falschen Bons | |
untergeschoben" habe, so Barbara E. | |
24 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Uta Eisenhardt | |
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