# taz.de -- Amok-Forscher über Winnenden: "Amokläufe sind alle ähnlich" | |
> Der Amok-Forscher Jens Hoffmann über die schrecklichen Parallelen | |
> zwischen Winnenden und anderen Massakern und über die Möglichkeiten, | |
> solche Taten zu verhindern. | |
Bild: "Je früher man solche verhängnisvollen Entwicklungen mitbekommt, desto … | |
taz: Herr Hoffmann, Erfurt 2002, Emsdetten 2006, jetzt Winnenden. Gibt es | |
ein Muster, das all diese Schulattentate verbindet? | |
Jens Hoffmann: Ja, diese Amokläufe sind alle furchtbar ähnlich. Wir haben | |
in Deutschland und den USA knapp dreißig Fälle ausgewertet. Dabei zeigt | |
sich vor allem eines: Es gibt immer wieder dieselben Warnsignale, die man | |
auch hätte erkennen können. | |
Und die wären? | |
Eine solche Tat ist immer der Endpunkt eines langen Weges, der mit einer | |
Krise, einer Ausweglosigkeit oder einem wahrgenommenen Unrecht beginnt. | |
Dann kommt bei diesen jungen Menschen die Idee auf, dass eine solche Tat | |
eine Lösung sein könnte, die späteren Täter beginnen sich für andere | |
Amokläufer zu interessieren. Sie sprechen über Gewalttaten oder bauen auf | |
ihren Homepages Verehrungsschreine auf. | |
Aber was muss passieren, damit jemand wirklich zur Waffe greift? | |
Ohne zu dem konkreten Fall in Winnenden zum jetzigen Zeitpunkt etwas sagen | |
zu können: Allgemein fangen diese jungen Menschen irgendwann an, sich | |
vorzubereiten, sie machen Listen, besorgen Waffen. Und oft warnen sie auch | |
andere direkt davor, verabschieden sich oder verschenken an Menschen, die | |
sie gern mögen, persönliche Gegenstände. | |
Ist der erleichterte Zugang zu Waffen typisch bei Amokläufen? | |
Wir haben bei unseren Untersuchungen in Deutschland und den USA tatsächlich | |
festgestellt, dass dieser erleichterte Zugang oft gegeben ist. Aber das ist | |
nur ein Warnsignal von vielen, und der reflexhafte Schrei nach schärferen | |
Waffengesetzen ist ein sehr hilfloser. | |
Oft wird auf Killerspiele als Auslöser verwiesen. Was ist da dran? | |
Diese direkte Ursächlichkeit ist abstrus, wenn man sieht, wie viele | |
Jugendliche solche Spiele spielen. Was wir aber sehen, ist, dass sich | |
Amokläufer immer wieder in Gewaltwelten hineinbegeben und immer wieder | |
bestimmte Filme schauen oder Spiele nutzen, um ihre Fantasien auszuleben. | |
Sie nutzen also Medien anders. | |
Männlicher Einzelgänger, der Ballerspiele spielt: Ist das das typische | |
Profil eines Amokläufers? | |
Diese Täter sind nicht alle Einzelgänger. Und es wäre auch ein großer | |
Fehler, wenn man eine Art Profil erstellen würde. Damit stempelt man Kinder | |
und Jugendliche ab als potenzielle Amokläufer. Und man übersieht andere | |
Dynamiken. Häufig fallen zum Beispiel kurz vor der Tat letzte | |
stabilisierende Faktoren weg. | |
Inwiefern? | |
Zurückweisung durch ein Mädchen, die Schulversetzung klappt nicht, ein | |
Gerichtstermin am nächsten Tag. Das sind destabilisierende Elemente, die am | |
Ende eines langen Wegs dazukommen. | |
Wer soll denn all diese Warnsignale früh genug erkennen, damit Amokläufe | |
verhindert werden? Eltern? Lehrer? | |
Bewährt haben sich sogenannte Krisenteams in Schulen, die aber auch | |
entsprechend ausgebildet werden müssen. | |
Wer ist in diesen Teams? | |
Es muss in diesen Krisenteams Lehrer geben, die von den Schülern auch | |
vertrauensvoll angesprochen werden können. Darüber hinaus muss ein Klima | |
entstehen, in dem alle hinschauen: Gibt es Gewaltfantasien unter Schülern? | |
Oder Suizidäußerungen? Hat dieser Schüler vielleicht auch noch Zugang zu | |
Waffen? Die Krisenteams müssen auch vernetzt sein mit der Polizei, der | |
Jugendhilfe und Beratungsstellen. | |
Besteht da nicht die Gefahr, dass man auch harmlose Teenager an die Polizei | |
verpetzt? | |
Es geht nicht darum, Schüler zu verpetzen. Es geht auch nicht um die | |
Strafverfolgung auffälliger Teenager. Es geht ums Hingucken. Darum, | |
mitzubekommen, was passiert oder passieren könnte. Und darum, dass man eine | |
Krise aufhält, die darin gipfelt, das jemand sich selbst oder anderen etwas | |
antut. Je früher man solche verhängnisvollen Entwicklungen mitbekommt, | |
desto besser kann man sie noch abwenden. Denn eines ist auch klar: Jemand, | |
der andere Schüler erschießt, ist nie ein glücklicher Mensch. | |
12 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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