# taz.de -- Spanischer Bürgerkrieg: Ein Blick zurück ohne Groll | |
> Vor 70 Jahren endete der Spanische Bürgerkrieg. Exilierte, Zurückgekehrte | |
> und ihre Kinder berichten bis heute von einer inneren Zerrissenheit. | |
Bild: "Ich will die alten, verwischten Wege finden. Nie habe ich Granada gesehe… | |
"So weit weg, über die Meere, Felder und Berge! Jetzt schauen andere Sonnen | |
auf mein graues Haupt. Ich war nie in Granada. Mein graues Haupt, verlorene | |
Jahre. Ich will die alten, verwischten Wege finden. Nie habe ich Granada | |
gesehen", trauerte der spanische Dichter und Kommunist Rafael Alberti aus | |
der Ferne des Exils seiner Heimat nach. Mehr noch als der Kampf für die | |
Freiheit und gegen den verhassten Diktator Francisco Franco war es das | |
Heimweh nach dem verlorenen Land dort auf der Iberischen Halbinsel, das | |
rund eine Million geflohener Spanier in Frankreich, Nordafrika und | |
Lateinamerika einte. 70 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges (1936-1939) ist | |
dieses dunkle Kapitel für die meisten in Spanien längst vergessene | |
Geschichte. Vor allem bei denen, die Jahrzehnte fern der Heimat lebten oder | |
gar im Exil geboren wurden, kommt dieser Tage die Erinnerung hoch. Und mit | |
ihr die Frage nach dem heutigen Spanien und ihrem Platz in einem Land, in | |
dem sie nie wieder ganz angekommen sind. | |
"Wir kamen mit der Maschine nach Francos Tod von Mexiko nach Madrid", | |
erinnert sich Carlos Atienza. 27 lange Jahre im Exil lagen hinter ihm. | |
"1944, als ich vier Jahre alt war, verließen meine Eltern Spanien", erzählt | |
Atienza. Der Vater, Sozialist, nutze einen Hafturlaub, um zu Fuß über die | |
Pyrenäen nach Frankreich zu entwischen. Die Mutter und mit ihr der kleine | |
Carlitos machten sich in einem Fischkutter bei Nacht davon. Der Großvater | |
war gleich nach dem Krieg gegangen. Ein Onkel starb in der Haft unter | |
Franco. Carlos Atienza, Bauingenieur im Vorruhestand, widmet sich ganz | |
seiner großen Leidenschaft: dem Schreiben. Seine Bücher drehen sich immer | |
wieder um sein zerrissenes Leben. "Am Anfang, als kleines Kind, sind die | |
Töchter und Söhne der Exilierten wie andere Kinder auch", berichtet er. | |
Doch spätestens in der Schulzeit ändert sich das. | |
Wie die Kinder von anderen Immigranten auch leben sie in zwei Kulturen. Im | |
Fall Atienzas in der französischen und der spanischen. Seine Mutter | |
erzählte ihm jeden Tag von der verlorenen Heimat, von Madrid, dem alten | |
Stadtteil, den Nachbarn, der unweit gelegenen Stierkampfarena. "Wenn du | |
dies akzeptierst, hast du plötzlich Wurzeln", weiß Atienza. Doch während | |
die Immigranten nur etwas Geld brauchen, um zurückkehren zu können, ist die | |
"mentale Heimat der Eltern, die so auch zu meiner wurde", unerreichbar. "Du | |
lebst in einer imaginären, fantastischen Welt." Als Jugendlicher begann | |
sich Atienza politisch zu engagieren, natürlich in der Sozialistischen | |
Jugend im Exil. "Plötzlich befindest du dich in der gleichen Situation wie | |
deine Eltern, du lebst nicht wie bisher in Frankreich, sondern im Exil." | |
Die meisten Freunde und, wie im Falle Atienzas, oft auch die | |
Lebenspartnerin stammen aus dem gleichen Umfeld. | |
Von Frankreich ging er als frisch Verheirateter 1968 nach Mexiko. Auch dort | |
lebte er wieder im Kreise der Exilierten. "Dann kommt der lang ersehnte | |
Tag. Du kehrst zurück in die Heimat", erinnert sich Atienza. Doch die | |
Erinnerungen der Eltern, die eigenen Wünsche, sie alle existieren längst | |
nicht mehr. "Uns war immer klar, dass wir eines Tages Spanien zurück zur | |
Demokratie führen würden. Doch alles kam ganz anders, als wir im Ausland es | |
uns gedacht haben", erzählt Atienza. Es waren die im "Innern", wie es im | |
Exilspanischen heißt, die das Land veränderten. Der Diktator war 1975 ganz | |
einfach im Bett gestorben. Das neue Staatsoberhaupt König Juan Carlos I. | |
setzte auf Demokratie. Ein Teil der alten Eliten und des | |
antifranquistischen Widerstands führte das Land durch die Transición, den | |
Übergang. Die Zurückgekehrten nahmen teil, doch Wortführer sollten sie | |
nicht werden. | |
Sie hätten es auch gar nicht gekonnt. "Bist du von hier? Wirklich?", wird | |
Atienza bis heute immer wieder gefragt. Ein leichter Akzent, aus dem | |
Französischen übernommene Vokabeln, der andere Sinn für Humor … seine | |
Gegenüber machen in ihm immer den Andersartigen aus. "Wenn bei einem | |
Treffen mit Freunden jemand auf die Idee kommt, ein Gedicht von Becquér | |
oder Campoamor zu zitieren, bleibt dir nichts anderes übrig, als mit | |
Baudelaire oder Verlaine zu kontern. Und wenn Spanien gegen Frankreich | |
spielt, fieberst du mit Spanien und bekommst Gänsehaut bei der Marseillaise | |
…" Das Exil schaffe eine gewisse Schizophrenie: "Du bist dort und denkst an | |
hier. Du bist hier und merkst, dass ein Teil von dir dort ist." Atienza ist | |
dennoch bis heute in Spanien geblieben. So manch anderer schaffte den Weg | |
zurück nicht. | |
Entweder versuchten sie es erst gar nicht, oder sie kamen und gingen | |
wieder, wie der spanische Schriftsteller Jorge Semprún. Atienza kann das | |
gut verstehen. "Für meine Eltern war das Nach-Franco-Spanien ein Schock", | |
erinnert sich Carmen Díaz. Die 62-jährige Tänzerin für spanischen und | |
mexikanischen Tanz ist als Tochter kommunistischer Eltern, die in den | |
letzten Kriegstagen flohen, in Mexiko geboren. Als Diktator Franco starb, | |
kam die Familie voller Hoffnung zurück. "Doch das neue Spanien war so | |
anders als das, was meine Eltern erwartet hatten", Sexpostillen, Drogen, | |
Rockmusik, unverheiratete Pärchen … Sie gingen zurück ins moralischere | |
Mexiko. Nachdem ihre Eltern gestorben waren, machte sich Carmen Díaz vor | |
sechs Jahren abermals auf den Weg über den Atlantik. "Es ist nicht leicht", | |
erzählt sie. Dort war sie die "Españolita", hier die Mexikanerin. Ihr | |
spanischer Akzent verrät sie. "Die Menschen reagieren seltsam auf mich, | |
wenn ich meine Geschichte erzähle", sagt Díaz, "neugierig oder | |
zurückweisend, doch nie einfach offen." | |
Díaz hat auch nach sechs Jahren keine spanischen Freunde in Madrid. Und | |
obwohl ihr Herz links schlägt, ist für sie Spanien nicht die "Freiheit, | |
sondern Libertinage". Und sie vermisst ihre Familie. Ein neues Gesetz | |
erlaubt es jetzt auch ihrer Tochter und ihrem Sohn, die spanische | |
Nationalität zu bekommen. Doch beide haben kein Interesse an einem Leben in | |
Spanien. Ihre Tochter, die weiter in Mexiko lebt, wird den Pass erst gar | |
nicht beantragen. Ihr Sohn nur, weil er damit als Arzt in Kanada weniger | |
Probleme mit der dortigen Einwandererbehörde haben wird. So sitzt Carmen | |
Díaz schon wieder auf den Koffern. Es soll in die USA gehen. Dort sei der | |
Arbeitsmarkt für eine Tänzerin und Sängerin besser, und die Kinder sind | |
nicht so weit weg. | |
María Luisa Fernández, die einzige wirkliche Freundin, die Díaz in Madrid | |
gefunden hat, teilt mit ihr das Schicksal des Exils. Die heute 70-Jährige | |
war drei Wochen alt, als ihre Eltern, beide Sozialisten, bei Kriegsende von | |
Barcelona nach Frankreich flohen. Nach dem Leben in einem Gefangenenlager | |
und der Schulzeit in Frankreich kam Fernández mit ihrer Mutter 1955 ins | |
Franco-Spanien zurück. "Sie nahmen mir meinen Namen", erzählt die | |
weißhaarige Frau, die ihren französischen Akzent nicht verbergen kann. | |
"Libertad" (Freiheit) hatten ihre Eltern sie in den letzten Kriegstagen | |
voller Hoffnung genannt. "María Luisa" trugen die spanischen Beamten 16 | |
Jahre später ins Geburtsregister der Sieger ein. | |
Lange hielt es Fernández im autoritären, engen und muffigen Spanien nicht | |
aus. Zwei Jahre später zog es sie zurück nach Frankreich und von dort nach | |
Deutschland und später nach Mexiko. Als junge Gewerkschaftsaktivistin | |
arbeitete sie mit den Immigranten, die Franco-Spanien aus sozialer Not | |
verließen. 1979 kam sie erneut in die Heimat ihrer Eltern. Sie schloss sich | |
der wieder legalen sozialistischen PSOE an, wo sie bis zur Rente als | |
Funktionärin arbeitete. Trotz der Entbehrungen und Leiden im Exil hegt sie | |
keinen Groll. | |
"Wir wurden mit Liebe und Sehnsucht nach Spanien erzogen", erklärt | |
Fernández. "Sonst wären wir wohl kaum zurückgekommen." Doch der Konflikt | |
sei längst nicht überwunden. "Im Unterschied zu Deutschland wurde die | |
Vergangenheit hier nie aufgearbeitet. Die Rechte zieht sich noch immer | |
zurück und verteidigt den Putsch Francos und die Diktatur." "Revisionismus" | |
nennt Fernández dies. Sie hofft, dass das von der Regierung des Sozialisten | |
José Luis Rodríguez Zapatero erlassene Gesetz zur geschichtlichen | |
Erinnerung den Exilierten und anderen Opfern der Diktatur endlich "ihren | |
Platz in der Geschichte Spaniens" geben wird. Doch es gibt sie auch, die | |
Zufriedenen. | |
"All das Leiden hat sich gelohnt", sagt Luis Azgarade. Frankreich, Mexiko, | |
DDR, Kuba …, von 1939 bis 1976 lebte der heute 87-jährige Ingenieur, der | |
noch immer der Kommunistischen Partei Spaniens angehört, im Exil. "Wir | |
haben vieles verloren. Die Fahne der Republik, die Hymne, die | |
Gerechtigkeit. Aber es hat sich gelohnt", erklärt Azgarade. "Heute leben | |
wir in einer Demokratie. Letztendlich haben wir damit den Krieg gewonnen." | |
7 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
Reiner Wandler | |
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Kommunismus | |
Spanien | |
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