# taz.de -- Debatte um die hässliche Hauptstadt: Tatort Berlin-Mitte | |
> Zwei "Tatort"-Schauspieler finden Berlin hässlich, Klaus Wowereit klagt | |
> über die leere Mitte. Hat die Sehnsucht nach der heilen Stadt nun die | |
> politische Mitte erreicht? | |
Bild: Hässliche Stadt: "Komissar" Boris Alinovic in einer Szene des letzten Ta… | |
Die Touristen stehen auf Berlin, die Berliner sowieso. Trotzdem hat die | |
Stadt mal wieder eine Imagedebatte am Hals. Schuld daran ist der RBB-Tatort | |
"Oben und unten" vom Wochenende. Und vor allem seine Kommissare. Die | |
Schauspieler Dominic Raacke und Boris Aljinovic haben in einem Interview | |
Berlin als hässlich bezeichnet und damit die Hauptstadtpresse auf Trab | |
gebracht. "Tatort-Stars beleidigen Berlin", titelte der Berliner Kurier und | |
ließ Volkes Seele gegen die Schauspieler pöbeln. | |
Normalerweise könnte man das Ganze ins Schubfach mit dem Aufkleber | |
Boulevard stecken. Doch der Kurier ist nicht der einzige, der sich derzeit | |
um Schönheit oder Hässlichkeit der Stadt sorgt. Auch der Regierender | |
Bürgermeister spielt mal wieder den Stadtplaner. Nach einem Blick aus dem | |
Roten Rathaus kam Klaus Wowereit zu der Erkenntnis, dass die Leere rund um | |
den Neptunbrunnen "nach neuen Lösungen schreit". Sein Kulturstaatssekretär | |
André Schmitz hatte zuvor schon eine Bebauung der Fläche angeregt - mit dem | |
Argument, dass gegenüber dem Schloss nie eine Brach- und Grünfläche war. | |
Nun könnte man Schmitz vorwerfen, dass er in den letzten 20 Jahren mit | |
geschlossenen Augen durch die Stadtmitte gelaufen sein muss. Doch Schmitz | |
Blindheit für die real existierende Stadt ist symptomatisch. Es geht - mal | |
wieder - um die Sehnsucht nach einem längst verlorenen Berlin. Heimelig, | |
kuschelig, sauber und schön. | |
Noch betont Wowereit, dass es sich bei seinem Leiden an der Leere um einen | |
Einzelfall handele. Doch vor exakt zehn Jahren schaute schon einmal ein | |
Regierungschef aus seinem Fenster und gab damit der Debatte um Berlins | |
Mitte die entscheidende Wende. Da hatte der frisch nach Berlin gezogene | |
Gerhard Schröder gejammert: "Von meinem Übergangsbüro im ehemaligen | |
Staatsratsgebäude muss ich immer auf den Palast der Republik gucken". Er | |
hätte da lieber ein Schloss. Mittlerweile sind der Palast und der Kanzler | |
Geschichte. Die Rückkehr zum Kaiserschloss aber ist beschlossene Zukunft. | |
Zwar hat sich die von Exsenatsbaudirektor Hans Stimmann propagierte "gute | |
Stube" am Pariser Platz längst zum Schlossplatz ausgedehnt. Doch das ist | |
den Retro-Freunden nicht genug. Nun soll der Wiederaufbau über die Spree | |
schwappen - Richtung Alexanderplatz. | |
Doch das würde das Bild Berlins nicht nur verändern, sondern sogar | |
beschädigen. Um dies festzustellen, muss man keineswegs die Stadt durch | |
eine ostalgische Brille sehen. Im Gegenteil: Wie schon bei der Debatte um | |
den Palast der Republik trübt eine ideologische Sicht auf Berlins Mitte nur | |
den klaren Blick. Den bekommt man viel eher, wenn man auf die T-Shirts | |
schaut, die sich all die jungen Berlin-Touristen in ihre Koffer packen. Das | |
Motiv, das die Jugend der Welt auf dem Herzen mit nach Hause trägt, ist | |
nicht das Brandenburger Tor, es ist der Fernsehturm. Und das hat sicherlich | |
keinerlei ideologische Gründe. | |
Vielleicht könnte man den Neubauplänen etwas abgewinnen, wenn nur ein | |
Fünkchen Hoffnung bestünde, dass dort Architektur entstehen würde, die | |
einem modernen Berlin entspräche. Doch dafür bräuchte es mehr als ein | |
Bauchurteil à la Wowereit und Schröder. Es bräuchte eine Stadtplanung, die | |
ihren Namen verdient - anspruchsvolle, öffentliche Diskussionen. Und einen | |
ergebnisoffenen Streit über Schönheit. Vielleicht sogar über die Schönheit | |
des angeblich Hässlichen. Und über die Qualität einer aus der Geschichte | |
gewachsene Leere in Berlins Mitte. | |
Die Koryphäen der Stadtplanung jedoch haben sich längst aus den Debatten | |
verabschiedet. Das darf nicht verwundern, weil am Ende immer nur Entwürfe | |
zum Zuge kommen wie die schmerzhaft banale Stadtschlosskopie des | |
italienischen Architekten Franco Stella. Dabei hätte selbst die | |
rückwärtsgewandte Bauaufgabe Schlossrekonstruktion eine Chance sein können. | |
Das haben die Wettbewerbsentwürfe gezeigt, die an den vom populistischen | |
Bauchgefühl der Politiker bestimmten Vorgaben gescheitert waren. | |
Stattdessen wird alles, was Ecken und Kanten hat, als hässlich diffamiert. | |
Dabei ist es gerade diese "Hässlichkeit", die Berlin so wunderbar macht. | |
Das haben nicht nur die beiden "Tatort"-Schauspieler begriffen. In einem | |
weiteren Interview hat Dominic Raacke gerade gesagt: "Berlin sieht toll | |
aus. Und es sieht scheiße aus. Berlin ist nicht umsonst die Hauptlocation | |
für Filme heutzutage." | |
Noch deutlicher bringt es der Sänger Peter Fox in seiner im letzten | |
"Tatort" zu hörenden Berlinhymne "Schwarz zu blau" auf den Punkt: "Du bist | |
nicht schön und du weißt das auch / dein Panorama versaut / Siehst nicht | |
mal schön von Weitem aus / doch die Sonne geht gerade auf / Und ich weiß, | |
ob ich will oder nicht / dass ich dich zum atmen brauch". | |
Der Song steht derzeit hoch oben in den Hitparaden. Er besingt allerdings | |
weniger die ganze Stadt als die wunderbare Ranzigkeit rund ums Kottbusser | |
Tor in Kreuzberg. In Berlins Mitte bleibt einem zunehmend die Luft weg. | |
22 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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