| # taz.de -- Soziale Unruhen?: Wieder nix los in Kreuzberg | |
| > 289 Festnahmen, über 270 verletzte Polizisten - in Berlin-Kreuzberg waren | |
| > die Mai-Krawalle heftig wie seit Jahren nicht mehr. Aber mit einer | |
| > Sozialrevolte hat das nichts zu tun, so Politiker. | |
| Bild: Eher Krawall und Remmidemmi als sozialer Aufstand: 1.Mai in Kreuzberg. | |
| Die größte Enttäuschung dürften die Boulevardjournalisten erlitten haben. | |
| Tage vor dem 1. Mai hatten sie gewalttätige Auseinandersetzungen im | |
| Berliner Bezirk Kreuzberg herbeigeschrieben, die es angesichts der | |
| Wirtschaftskrise an diesem aufgeladenen Datum geben könnte. | |
| Tatsächlich gab es am Freitag in Kreuzberg so viel Randale wie seit 2004 | |
| nicht mehr. Doch wer glaubt, die Scharmützel lassen sich mit den | |
| befürchteten sozialen Unruhen in Verbindung bringen, der irrt. Dass es am | |
| Freitag in Berlin heftiger knallte als in den Vorjahren, lag ganz allein an | |
| der schlechten Umsetzung des Deeskalationskonzepts der Berliner Polizei. | |
| Rund 2.500 zumeist linke DemonstrantInnen und Feiernde eines Straßenfestes | |
| lieferten sich am Freitag in den Abendstunden Straßenschlachten mit der | |
| Polizei. Die Situation eskalierte, als am Ende der sogenannten | |
| Revolutionären 1.-Mai-Demonstration der Antifa eine Hundertschaft der | |
| Polizei versuchte, die Demospitze einzukesseln. Die Demonstranten fühlten | |
| sich provoziert. Randalierer griffen einen Streifenwagen mit zwei Beamten | |
| an. Die blieben zwar unverletzt, einer von ihnen musste aber mit einem | |
| Schock ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Straßenschlachten zogen | |
| sich bis nach Mitternacht hin. | |
| In den Vorjahren verfolgte die Polizei die Strategie, die Antifa ihre Demo | |
| friedlich beenden zu lassen. Die Demonstranten zerstreuten sich daraufhin. | |
| Im Anschluss kam es zwar auch dann zu Ausschreitungen. Aber für die | |
| potenziellen Randalierer war es wesentlich schwieriger, sich | |
| zusammenzurotten. Deeskalierend war bei den vergangenen Malen auch, dass | |
| sich die Polizisten bei beginnender Randale zunächst zurückhielten. Erst | |
| wenn sich die Situation beruhigt hatte, griffen sich die Beamten die | |
| Steinewerfer heraus. Dieses Mal schritten sie unverzüglich und teils mit | |
| überzogener Härte ein. Es waren Beamte an besonders brisanten Punkten im | |
| Einsatz, die nicht aus Berlin kamen und mit dem Deeskalationskonzept nicht | |
| vertraut waren. | |
| Die Bilanz dieser missglückten Umsetzung: Mit 289 Festnahmen lag die Zahl | |
| fast doppelt so hoch wie im Vorjahr. 273 Polizisten wurden unter anderem | |
| von Steinen, Flaschen und Böllern getroffen. 14 von ihnen waren am nächsten | |
| Tag dienstunfähig. Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch erzählte am | |
| nächsten Tag von einem Fall, in dem drei Beamte mit einer brennbaren | |
| Flüssigkeit übergossen und angesteckt wurden. Sie blieben unverletzt. Vier | |
| Randalierer müssen sich wegen versuchten Mordes verantworten. | |
| Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) betonte, dass die Krawalle mit | |
| sozialen Unruhen wegen der Wirtschaftskrise nichts zu tun haben. Der | |
| Großteil der Täter sei unpolitisch, sagte Körting. "Die Randale stand | |
| eindeutig im Vordergrund." | |
| Auch der Berliner Protestforscher Dieter Rucht sieht kein Indiz für soziale | |
| Unruhen. Auffällig sei zwar, "dass derzeit Teile der linksradikalen Szene | |
| vor Selbstbewusstsein strotzen und meinen, vor dem Hintergrund von Finanz- | |
| und Wirtschaftskrise mehr Verständnis in der Bevölkerung zu finden". Rucht | |
| hält es für unwahrscheinlich, dass es nun zu Solidarisierungen mit dieser | |
| Szene komme. "Zwischen dem moderaten linken Lager inklusive der | |
| Gewerkschaften und der militanten Linken gibt es in dieser Hinsicht keine | |
| Brücken." Der Innenexperte der Berliner Grünen, Benedikt Lux, konnte | |
| ebenfalls keine neue Qualität sozialen Unmuts erkennen. An der Randale | |
| seien die gleichen Kreise beteiligt wie in den Jahren zuvor. Zugleich | |
| sprach er vom "heißesten 1. Mai" - meint damit aber die Temperaturen. "Der | |
| Klimawandel ist größer als der Gewaltwandel." | |
| 5 May 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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