# taz.de -- Holocaust-Opfer: "Ich bin Teil der Versuchsanordnung" | |
> Peter Ruzicka dirigiert in Bremen seine Oper über den Dichter Paul Celan, | |
> der den Nazis entkam, dann aber doch an ihnen zugrunde ging. Am Sonntag | |
> ist Premiere. Ein Gespräch über prägende Begegnungen und Texte, die wie | |
> Schneeflocken zerschmelzen. | |
Bild: Zum Schluss wälzen sich alle in der konkreten Poesie der Orgie und versc… | |
taz: Herr Ruzicka, Sie sind mit dem Preis "Neues Hören" für "die gelingende | |
Vermittlung zeitgenössischer Musik" ausgezeichnet worden. Ist die Oper | |
"Celan" mit ihrer komplexen Erzählstruktur dafür ein Beispiel? | |
Peter Ruzicka: Der Preis bezog sich auf meine Intendantentätigkeiten in | |
Salzburg und bei der Münchener Biennale. Aber auch als Komponist dieser | |
Oper ist es mir um die Vermittlung zu tun - hier um die Veranschaulichung | |
der Wunden des 20. Jahrhunderts, die sich noch immer nicht geschlossen | |
haben. | |
Die Resonanz auf die Uraufführung in Dresden war gemischt: Die "Zeit" | |
sprach von "dröhnender Psychorhetorik" und "Betroffenheitspathos". | |
Die emotionale Betroffenheit, das Mitleiden, Mitfühlen, verlangte vom | |
Komponisten in dieser Partitur auch den Schmerzensschrei. Ein solches Thema | |
eignet sich nicht zum intellektuellen Glasperlenspiel. Die ganz überwiegend | |
zustimmende Aufnahme auch der folgenden Produktionen der Oper zeigt, dass | |
dies verstanden worden ist. | |
Was wird in Bremen anders im Vergleich zu den bisherigen | |
"Celan"-Inszenierungen? | |
Es wurden zwei Filme gedreht, die Bremer Passanten mit der Frage | |
konfrontierten: "Was sagt Ihnen das Thema Holocaust?" Diese Aussagen sind | |
Teil der Inszenierung. Bei der Uraufführung gab es an dieser Stelle Szenen | |
aus dem Buchenwald-Film. Das war eine sehr schmerzvolle Lösung, die man | |
einfach nicht wiederholen kann. | |
Wie begann Ihre Beschäftigung mit Celan? | |
Schon als Schüler kannte ich die "Todesfuge", deren Verse wie "Der Tod ist | |
ein Meister aus Deutschland" wir ohne Sinn und Verstand aufsagen mussten - | |
diese Sinnlosigkeit hatte System, denn die Hintergründe des Holocaust | |
wurden damals nicht thematisiert. Als ich 1969 Celan kurz vor seinem | |
Selbstmord in Paris besuchte, kam ich als unwissend Suchender zu ihm, wie | |
ein Parsifal. Ich wusste weder von seinen Traumata als "unschuldig | |
Schuldiger", der im Gegensatz zu seiner Familie dem Tod entronnen war, noch | |
von den absurden Plagiatsvorwürfen gegen sein Werk, die er als eine zweite | |
Verfolgung empfand. Seit dieser verstörenden Begegnung ist Celan für mich | |
ein wichtige Gestalt. | |
Sie dirigieren den Bremer "Celan" selbst, am Premieren-Abend sind in | |
Hamburg gleichzeitig Ihre "Fünf Bruchstücke für großes Orchester" zu hören. | |
Fällt es Ihnen leicht, Ihre Sachen aus der Hand zu geben? | |
Das Aus-der-Hand-geben ist für einen Komponisten das Normale. Manchmal mag | |
man dabei in der Tat unruhig sein. Aber es gibt auch die umgekehrte | |
Situation: Da scheint das eigene Werk klüger als der Autor und ich höre in | |
einer fremden Interpretation Dinge, die mir unbewusst waren. Als Dirigent | |
hingegen bin ich Teil der "Versuchsanordnung". | |
Zu dieser "Versuchsanordnung" gehört, dass in "Celan" keine einzige | |
originale Textzeile vorkommt. Weshalb? | |
Eine Dramatisierung der Celan'schen Verse wäre ein völlig falscher Ansatz. | |
Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass man die Texte damit eigentlich | |
zerstören würde - das ist wie mit der Schneeflocke, die in der Hand | |
zergeht. Die Gedichte besitzen ja eine kalligrafische Gestaltetheit, da | |
gibt es den Zeilenfall, mal eine Leerzeile, all das wird durch eine fremde | |
Musikalisierung überdeckt und in Frage gestellt. | |
Die Devise "kein Celan-Vers" steht in diametralem Gegensatz zu "Hölderlin", | |
Ihrer zweiten Dichter-Oper: Dort führte die ausdrücklich gewünschte | |
Verwendung von Zitaten zum Eklat mit dem Librettisten. | |
Letztlich ging es um ganze sechs Hölderlin-Sätze, die der Regisseur | |
eingefügt hat. Es war erstaunlich, dass Peter Mussbach - mit dem ich im | |
Übrigen längst wieder im Reinen bin - dabei den Begriff der Authentizität | |
als Autor so hoch gehalten hat, schließlich nimmt er sich als Regisseur | |
alle künstlerische Freiheit. Ich musste mich jedenfalls mit dem Regisseur | |
solidarisieren, sonst wäre die Uraufführung nicht zu Stande gekommen. | |
Sie haben ein besonderes Verhältnis zu Bremen: Studiert haben Sie bei dem | |
Bremer Komponisten Hans Otte, noch vor kurzem haben Sie sich im Kampf für | |
den Erhalt des Radio Bremen-Sendesaals engagiert. | |
Otte war viel mehr als ein Kompositionslehrer. Durch die von ihm begründete | |
"pro musica nova"-Reihe waren Bremen und auch der Sendesaal ein Zentrum für | |
zeitgenössische Musik, vergleichbar mit Donaueschingen. Es ist ein Jammer, | |
dass das von Radio Bremen eingestellt wurde. | |
Sie waren auch Mitglied der Findungskommission, die Hajo Frey zum Bremer | |
Intendanten kürte. Man weiß natürlich nicht, für wen Sie votiert haben, | |
unter den BewerberInnen war ja auch eine Ihrer Salzburger Mitarbeiterinnen. | |
Doch wie beurteilen Sie nun das künstlerische Resultat? | |
Ich fahre von Hamburg aus zu vielen Musiktheater-Premieren nach Bremen, und | |
ich muss sagen: Hut ab. Hans Joachim Frey hat Verbindungen zu vielen sehr | |
interessanten Regisseuren und Sängern und ist international hervorragend | |
vernetzt. Das zeigt sich auch daran, wie Bremer Produktionen in die Welt | |
hinaus gehen. "Celan" beispielsweise wird im September von der Bukarester | |
Staatsoper übernommen. | |
Kritisiert wird unter anderem, dass Frey zunehmend Gäste engagiert. | |
Die Oper "Celan" ist zu 80 Prozent eine Hausbesetzung, und eine solche auf | |
herausragendem Niveau - bis auf die beiden Celans allerdings. | |
Heldenbaritone sind eben Mangelware. | |
8 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
Oper | |
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