# taz.de -- Leseschwache Jungs: World of Warcraft als Köder | |
> Der schwäbische Buchhändler Jürgen Hees hat es geschafft, junge Männer zu | |
> Lese-Stammkunden zu machen - mit einer Bücherecke nur für Jungs. | |
Bild: Gute Taktik: Mit World of Warcraft Jungs zum Lesen bringen. | |
Als Jürgen Hees vor zehn Jahren die Kinder- und Jugendabteilung einer | |
Buchhandlung übernahm, stand er vor einem Phänomen: Seine jugendliche | |
Kundschaft bestand fast nur aus Mädchen. Jungs kamen so gut wie keine. | |
Allenfalls ließen sie sich zwangsweise blicken - wenn es in der Schule eine | |
Buchvorstellung gab. "Die Mütter fragten dann immer nach einem Buch für | |
ihren 11- oder 12-Jährigen Sohn - der eigentlich nicht liest." | |
Der junge Buchhändler stand meist genauso beklommen vor seinen Regalen. | |
Denn Kinderliteratur schien vor allem aus Mädchenbüchern zu bestehen. Es | |
gab kaum etwas, was Jungs aus der Reserve hätte locken können. | |
Heute ist das ganz anders. Jürgen Hees aus Schwäbisch Gmünd hat geschafft, | |
was andere händeringend versuchen: Er bringt die als leseschwach geltenden | |
Jungs zum Lesen. Bei Hees gibt es inzwischen eine Ecke nur für Jungs. Es | |
kann passieren, dass er, langhaarig und im Schlabberlook, um die | |
Buchauslage kurvt. "Supercooles Buch!", raunt er stöbernden 12-Jährigen zu. | |
"Da wird ausreichend gemeuchelt, das wäre was für dich!" | |
"Um zu wissen, wie Jungs ticken, muss man über seinen eigenen Schatten | |
springen und sich auf ihre Welt einlassen," erzählt der 34-Jährige. Kamen | |
anfangs nur verzweifelte Eltern, ist der Buchladen inzwischen ein | |
Geheimtipp - unter Jungen. "Ich habe Jungs, die wissen, dass es bei uns in | |
der Buchhandlung eine Ecke für sie gibt, wo sie auch Sachen finden, die | |
ihnen ihre Eltern nicht kaufen würden." | |
Der ambitionierte Jungbuchhändler eignete sich einiges über die wahren | |
Interessen der Jungs beim Lesen an. Er konzentrierte sich auf das Alter ab | |
elf, zwölf Jahren, dem Zeitpunkt des sogenannten Leseknicks, wenn selbst | |
jene Jungs aufhören zu lesen, die Bücher bis dahin mochten. So entstand die | |
Idee, ein Regal eigens mit Büchern für Jungs zusammenzustellen. Klar hatte | |
auch Hees den Wunsch, anspruchsvolle Jugendliteratur zu verkaufen. Er | |
merkte aber, dass er nichtlesenden Jugendlichen ganz anders kommen muss. | |
Über seine Zielgruppe erfuhr er am meisten im Internet. Bei Portalen wie | |
Facebook und MySpace verraten Jugendliche, was sie cool finden. "Da | |
erschrickt man erst mal, wie viel die Jugendlichen von sich preisgeben." | |
Hees entdeckte, welche Computerspiele gerade schwer angesagt waren. Er | |
merkte, dass einige davon auf Fantasyromanen wie "Warhammer" oder "World of | |
Warcraft" basieren. Hees legte solche Titel auf die Auslage seiner | |
Jungs-Bücherecke. "Das sind eher Köder, da leuchten die Augen auf, weil die | |
das kennen von ihren Spielen. Aber so merken die, das ist eine Welt, die | |
geht viel weiter als das Computerspiel." | |
Im Netz fiel Hees noch etwas anderes auf. Jungs haben Lieblingsautoren, | |
meistens US-amerikanische oder englische, seltener deutsche. "Das sind ganz | |
häufig junge Autoren, die ein eigenes Netzwerkportal haben oder sogar | |
Blogs. Sie schaffen es, die Anonymität zwischen Autor und Leser aufzulösen. | |
Für den jugendlichen Leser ist es sehr wichtig zu wissen, wer hinter einem | |
Buch steht." | |
Der Vielleser Hees kämpfte sich durch die einschlägigen Fantasy- und | |
Horrorserien für Kinder und Jugendliche. "Vieles ist erzählerisch und | |
dramaturgisch gut gemacht und leicht zu lesen. Das war das, was gezündet | |
hat, denn Jugendliche brauchen Erfolgserlebnisse." | |
Als Eltern wiederkamen, weil ihre Sprösslinge das empfohlene Buch gerne | |
gelesen hatten, entwickelte Hees eine eigene Strategie. "Ich habe dann eine | |
Art Lesepfad eröffnet. Im Regal stehen die verschiedenen Bücher mit | |
unterschiedlichen Niveaus, nicht voneinander getrennt, sondern alle | |
nebeneinander. Denn ein Jugendlicher, der nicht liest, möchte auf gar | |
keinen Fall das Gefühl bekommen: Ich bin zu blöd zum Lesen. Der möchte | |
selbst schauen und seine Favoriten suchen. Das ist heute noch so: Im | |
Jungsregal steht vom Starwars-Buch über Fantasy bis Krimi alles bis hin zur | |
Che-Guevara-Biografie." | |
Jürgen Hees weiß um die Gratwanderung. "Es ist mir wichtig jedes Buch, das | |
ich empfehle, vorher gelesen zu haben. Bücher, die voller unreflektierter | |
Gewalt stecken, biete ich nicht an. In meinen Augen muss klar sein, das das | |
alles Fiktion ist, das es nicht um die reale Welt geht." Zunächst gilt es | |
das Buch zu finden, das den Jungen am meisten anspricht, das kann ruhig | |
blutig daherkommen oder einen Erwachsenen total abstoßen. | |
Hat der Jugendliche das Gefühl, das man ihn und seine Vorlieben nicht | |
verurteilt, sondern ernst nimmt, schafft das Vertrauen. Wenn dieser Junge | |
es dann schafft, das Buch zu lesen, und im besten Fall auch noch ein Lob | |
vom Lehrer für seine Buchvorstellung bekommt, kommt der Stein ins Rollen. | |
"Wenn die wiederkommen, gebe ich denen mindestens drei Titel aus der | |
gleichen Richtung, dann beginne ich sie langsam anzufüttern." | |
Die Erfahrung hat Hees gelehrt, dass es drei verschiedene Lesevorlieben | |
gibt: Fantasy, Krimi und Bücher, die humorvoll über die Sorgen | |
pubertierender Jungs erzählen. Steigen seine Schäfchen mit "Warhammer" und | |
"World of Warcraft" ein, führt er sie sachte ans fantastische Jugendbuch | |
heran. Mit Titeln wie "Eragon," den Christopher Paolini mit fünfzehn Jahren | |
schrieb, oder "Das Drachentor", den Jenny-Mai Nuyen mit 18 Jahren schrieb, | |
gelingt das Umsteigen leicht, hat Hess festgestellt. Von da geht er über | |
zur klassischen Fantasy, mit Tolkiens "Der kleine Hobbit" und "Herr der | |
Ringe." Manchmal gelingt sogar der Sprung zu Georg Orwells "1984" oder Ray | |
Bradburys "Fahrenheit 451." | |
Eine andere Schiene beginnt mit Grusel- und Horrorbüchern, wie die Reihe | |
"Fearstreet". Ältere steigen mit Stephen King oder Hans Holbein ein. Der | |
Sprung zum Agententhriller wird durch Autoren wie Andy MacNab und Anthony | |
Horowitz leicht gemacht. Die Reihe "Top Secret" von Robert Muchamore und | |
die Thriller des Finnen Ilkka Remes kommen bei jugendlichen Jungs gut an. | |
"Da kann man sicher sein, die Bücher sind superspannend und die Hauptfigur | |
ist ein Junge, der zwar eine gebrochene Figur ist, die aber aus dem ganzen | |
Abenteuer als strahlender Held hervorgeht. Schießereien, Explosionen, | |
Action, aber keine Leichen." Vom Thriller geht es zum Krimi, innerhalb | |
dieses Genres kann man sich vom Trash zum raffinierten Detektivroman | |
hochlesen. | |
Hees treuester Stammkunde kam vor fünf Jahren als absoluter Nichtleser in | |
die Buchhandlung. Er begann mit einem dünnen Bändchen von Stephen King, las | |
dann Horrorromane, Krimis und entdeckte vor kurzem Ernest Hemingways "Wem | |
die Stunde schlägt." "Er hatte hinten drauf gelesen, dass es um Revolution | |
und Action geht. Als er das nächste Mal kam, fragte ich ihn, ob er den | |
Hemingway schon geschafft habe. Er lachte und sagte: ,Es war total | |
anstrengend, aber ganz toll!' Dabei strahlte er vor Stolz übers ganze | |
Gesicht." | |
Warum die Jungs gerne zu Jürgen Hees kommen? "Ich bin der einzig männliche | |
Buchhändler in unserer Firma. Und ein Jungsregal habe ich bisher leider in | |
noch keiner anderen Buchhandlung gesehen." | |
Der Text stammt vom Weblog [1][www.pankowliest.wordpress.com]. Pankow | |
liest! veranstaltet am 17. Juni ein Podium, wie man Kinder und Jugendliche | |
zum Lesen bringt | |
3 Jun 2009 | |
## LINKS | |
[1] http://www.pankowliest.wordpress.com/ | |
## AUTOREN | |
Sarah Wildeisen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Literatur | |
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