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# taz.de -- Debatte Kitastreik: Mehr Geld statt mehr Pausen
> Der Kampf der Erzieherinnen ist ein Lehrstück über die neuere deutsche
> Bildungsdebatte und die Ideologie der heiligen Familie.
Der Kitastreik bringt bundesweit zehntausende Erzieherinnen auf die
Barrikaden und bald die Eltern auf die Palme. Richtig so, denn das Thema
Bezahlung der Erzieherinnen gehört zu den großen Peinlichkeiten der neueren
deutschen Bildungsdebatte. Die öffentliche Diskussion darüber verläuft in
den üblichen Bahnen: Mürrisches Lehrpersonal nutzt Streikmacht, um wichtige
Institutionen lahmzulegen, ist nur eine davon. Bald wird man ins
Klein-Klein tariflicher Details abbiegen. Dann hört eh keiner mehr zu. Das
ist schade. Denn die Hintergründe des Kitastreiks gehen uns alle an.
Seit die Familienministerinnen Renate Schmidt und Ursula von der Leyen im
Verein mit Hirnforschern die Kitas zu Bildungseinrichtungen ersten Ranges
erklärt haben, ist ein rasanter Wandel des guten alten Kindergartens zu
beobachten. Alle Tage wird die frühe Hirnentwicklung als die wichtigste
Phase im Leben des Kindes gepriesen. Die gern Kindergärtnerin geheißene
Figur von einst, die bedächtig im Rübchenbeet harkt, ist passé. Heute tritt
sie auf in der Rolle einer Züchterin von Hochleistungssynapsen in den
Köpfen unseres ertragreichsten Humankapitals, der Kleinkindern. Eine
Erzieherin muss Entwicklungspsychologin, Didaktikerin und Lerntheoretikerin
in einem sein - so tönt es jedenfalls allenthalben.
Die Realität sieht leider anders aus, ganz anders. Da werden die
Kita-Professorinnen bezahlt wie bessere Putzfrauen. Sie verdienen so wenig,
dass sie sich nicht selten aus kümmerlich entlohnten Teilzeitstellen in den
sicheren Hafen der Ehe retten. Kitaleiterinnen können ein Lied davon
singen, wie ihnen aussichtsreiche, vielfach fortgebildete Erzieherinnen
weggeheiratet werden. Es ist letztlich die deutsche Mutterideologie, die
wirksam bleibt: Die beste Erzieherin sei immer noch Mutti selbst. Nur eine
Rabenmutter vertraue dem Staat ihre Kinder zur Erziehung an, so lautete die
tief ins Bewusstsein eingegrabene Haltung der heiligen deutschen Familie.
Staatliche Erzieherinnen brauche es nur im bedauerlichen Einzelfall und
gebildet müsse frau nicht sein, um Kinder gefallener Mütter in einer
Bewahranstalt zu betreuen.
Entsprechend niedrig rangierte historisch die Erzieherin im Ansehensranking
der Berufe. Die Bremer Soziologin Karin Gottschall sagt, das kulturelle
Arrangement rund um Familie und Kindergarten stamme aus dem Kaiserreich -
und habe sich im Prinzip bis heute fortgesetzt. Viele junge Frauen sind
immer noch in den Strukturen um Kindergarten und Halbtagsschule gefangen:
niedrig gebildet und schlecht bezahlt. Erzieherin ist in Wahrheit weiter
ein Synonym für Jungmädchens Traum: "Ich wollte was mit Kindern machen." Im
Endeffekt ist Erzieherin eine mehr oder weniger solide Vorbereitung auf die
Mutterrolle.
Die Bundesländer tun viel dafür, dass sich daran nichts ändert. Mögen ihre
für Familie und Bildung zuständigen Minister noch so sehr das Hohelied auf
die frühkindliche Bildung singen - die Finanzminister der Länder weigern
sich strikt, auch nur einen Cent mehr für Erzieherinnen herauszurücken. An
eine allgemeine tarifliche Höhergruppierung aller Erzieherinnen wird
überhaupt nicht gedacht. Es würde Milliarden kosten, um das
Betreuungspersonal von einst zu honorieren wie Akademikerinnen mit einem
Bachelor in early childhood education. Genau den aber fordern alle naselang
irgendwelche Bildungspolitiker. Fragt man sie nach den schlechten
Ergebnissen der Schule, richten sie sofort alle Scheinwerfer auf die
Kindergärten und sagen: Die Kinder kommen ja schon so schlecht vorgebildet
in der Schule an. Erst mal müssten wir die frühen Jahre nutzen!
Hier zeigt sich die ganze Perfidie des herrschenden Bildungsdiskurses. Die
Forderung nach einer besseren Kita wird gern von den Konservativen erhoben
- und zwar, um die lästige Debatte über die komplizierte und schlechte
vielgliedrige Schule abzuwehren. Die frühkindliche Bildung ist das
Surrogat, das von der Diskussion über die viel zu frühe Auslese in der
vierten Klasse ablenkt. Und so ändert sich insgesamt wenig. Im Kriechgang
schleppt sich die gute Schule dahin - und die viel beschworene strahlende
rosarote Zukunft der Kita ("Haus der kleinen Forscher") wird in den
endlosen Konferenzen der Kultus- und Finanzminister versenkt. Was dort
geschieht, hat die Öffentlichkeit noch nie richtig erfahren. Deswegen fällt
es ihr auch so schwer, das ganze Bildungsblabla der Sonntagsreden wirklich
zu durchschauen. Sie fühlt nur, dass viel Schwindel im Spiel ist.
Nun also der Kitastreik. Es wird nicht etwa um eine generelle bessere
Bezahlung gestritten. Nein, es geht um einen Gesundheitstarifvertrag. Das
heißt, um den Erzieherinnen bei ihrer anspruchsvollen Tätigkeit an den
Kinderhirnen zu helfen, sollen sie nicht etwa aufgabengerecht besser
entlohnt werden - vielmehr wird ihr Alltag mit peniblen Pausen- und
Vorbereitungszeiten garniert.
Das ist, sorry, eine ziemlich dumme Idee der Gewerkschaften. Anstatt dass
wenigstens sie die Kita zu einem wirklichen Bildungshaus macht, fordert die
GEW im übertragenen Sinne, ein Sofa in die Waschküche zu stellen und
wasserdichte Putzeimer anzuschaffen. Diese Strategie wirkt denkbar unsexy
in der Öffentlichkeit und sie zementiert das Bild der Kita als Betreuungs-
und Bewahrungsanstalt. Obendrein verwischen derartige Forderungen, worum es
eigentlich geht. Im Vordergrund steht nicht mehr die Frage, wie eine
intelligente pädagogische Arbeit gewährleistet werden kann, sondern die
sachgerechte Organisation von Pausenzeiten für weiterhin miserabel bezahlte
Erzieherinnen.
Wie entkommt man diesem Dilemma? Wer A wie "Kita ist wichtig" sagt, der
muss auch den Mut zu B wie "Das kostet Milliarden" haben. Die Kita der
Zukunft als kleines und freies Lernlabor gibt es nicht für lau. Kitas
brauchen eine konsequente Höhergruppierung des Gehalts für akademisch
gebildete Erzieherinnen. Das bedeutet, sie müssen pädagogisch wie pekuniär
mit Primarschullehrerinnen gleichgestellt werden. Zugleich muss ein breites
Fortbildungsprogramm anlaufen, um die Potenziale der rund 200.000
fachschulgebildeten Erzieherinnen zu erschließen - und schließlich auch sie
qualifikationsgerecht zu bezahlen.
8 Jun 2009
## AUTOREN
Christian Füller
## TAGS
Kita
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