# taz.de -- Ultimate Fighting in Deutschland: Taktik und Härte | |
> "Ultimate Fighting" ist verschrien als "hirnlose Gewalt ohne Regeln". | |
> Beim Kampf in Köln sieht das anders aus. Ein Bericht über das | |
> Zusammentreffen zweier Kulturen. | |
Bild: Die Deutschland-Premiere der UFC: Der Niederländer Denis Stojnic würgt … | |
Die Farbe der Wahl ist Schwarz. Schwarz sind Maschendraht und Rahmen des | |
achteckigen Käfigs, des berühmten Oktagons, das die Ultimate Fighting | |
Championship (UFC) zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Schwarz sind auch | |
die T-Shirts der Helfer rund ums Oktagon, das in der Mitte der Kölner | |
Lanxess Arena aufgebaut ist bei diesem ersten Versuch der US-amerikanischen | |
UFC, auf europäischem Festland einen Kampfabend auszutragen. Schwarz ist | |
die Kleidung der Ringrichter, auch die Latexhandschuhe, die sie tragen | |
müssen, sind schwarz. Und schwarz sind nicht zuletzt auch die 140 Gramm | |
leichten fingerlosen Handschuhe der Kämpfer, die, so lässt die UFC wissen, | |
die Hände des Kämpfers schützen sollen, nicht Gesicht oder Körper des | |
Gegners. Schwarz signalisiert Gefahr - und das gehört zum Marketing. | |
Es ist ein Zusammentreffen zweier Kulturen an diesem Abend in Köln. | |
Innerhalb der mit 12.800 Karten - Umsatz rund 930.000 Euro - fast | |
ausverkauften Arena sind heute die Fans der "kombinierten Kampfsportarten", | |
Englisch Mixed Martial Arts (MMA) versammelt. Hier sind nicht Neugierige, | |
die sich mal etwas Neues ansehen wollen - hier sind MMA-Kundige aus ganz | |
Europa zusammengekommen. | |
Sieben Anfang 20-Jährige aus einem Vorort Helsinkis etwa sind nach Köln | |
gereist. Sobald der Ticketverkauf losging, haben sie sich Karten gesichert, | |
83 Euro pro Person, und Flüge gebucht. "Wir hatten sehr gute Plätze, kaum | |
40 Meter vom Oktagon entfernt und mit gutem Blick auf die Monitore", | |
berichten sie anschließend. In Finnland, erzählen sie, ist MMA immer mehr | |
im Kommen. Dabei wird, im Unterschied zu Deutschland, wo die | |
UFC-Veranstaltungen seit März zeitversetzt im DSF zu sehen sind, in | |
Finnland nichts im Fernsehen gezeigt. Sie jedenfalls holen sich die Videos | |
stets illegal aus dem Internet. Immer mehr junge Finnen interessierten sich | |
für Kampfsport, allein in ihrer Gruppe gäbe es zwei, die Jiu-Jitsu lernen, | |
und einen, der Muay Thai trainiert. Und ist die Straßenkriminalität größer | |
geworden, die Gesellschaft verroht? Quatsch, sagen sie, das Erste, was du | |
in jedem Gym lernst, ist, dass du deine Fähigkeiten im Ring anwendest - und | |
sonst nirgends. | |
All die Diskussionen um die Kölner Veranstaltung - sie mögen da draußen | |
eine Rolle spielen, bei den anderen, die sich nicht auskennen. Hier drinnen | |
lösen sie an diesem Abend mitleidiges Lächeln aus und die Bemerkung, in den | |
USA, in England und all den anderen Ländern, in denen MMA inzwischen große | |
Anhängerschaften hat, sei es am Anfang auch so gewesen. | |
Anders als bei großen Boxabenden, bei denen die Vorkämpfe vor leeren Rängen | |
stattfinden, ist die Kölner Halle schon zum ersten Kampf um Viertel vor | |
sieben gut gefüllt. So verpasst auch niemand den zweiten Vorkampf, die | |
Begegnung, die Veranstalter Marek Lieberberg später als die beste des | |
Abends bezeichnen wird. Im Schwergewicht stehen sich gegenüber der | |
21-jährige Stefan Struve aus Holland, ein 2,11 Meter großer Türsteher, und | |
der 29-jährige Bosnier Denis Stojnic, der derzeit ein Sportstudium | |
abschließt, als Beruf aber angibt, schon immer ein Kämpfer gewesen zu sein. | |
Sie sind nicht die Vorzeigeathleten der UFC, die sich damit rühmt, an die | |
80 Prozent ihrer Kämpfer hätten eine Ausbildung oder ein Studium | |
absolviert. Das gilt etwa für Rich Franklin, der Stunden später den | |
Hauptkampf gegen den Brasilianer Wanderlei Silva gewinnen wird. Franklin | |
ist Mathematiklehrer. | |
Im Kampf zwischen Struve und Stojnic zeigt sich die ganze Bandbreite von | |
MMA. Schon in der erste Runde gerät Struve unglücklich in die Rückenlage, | |
kann keine gute Verteidigung aufbauen, wird immer wieder von Schlägen am | |
Kopf getroffen. "Ground and Pound" heißt es im Fachjargon, wenn der Kämpfer | |
oben auf den liegenden schlägt. Stojnic kann zwar nicht ausreichend Kraft | |
in seine Schläge legen, um den Kampf zu beenden, aber genug, um Struve eine | |
heftige Platzwunde auf der Stirn beizubringen, die stark blutet. | |
Der Kampf wird kurz unterbrochen, der Ringarzt besieht die Wunde und | |
erklärt Struve für kampffähig. Die Situation im Moment der Unterbrechung | |
wird wiederhergesellt, Struve muss sich wieder auf den Rücken legen, den | |
Gegner wiederum über sich lassen, bevor der Kampf wieder angepfiffen wird - | |
und Struve sofort weitere Schläge ins Gesicht kassiert. Blutüberströmt | |
rettet er sich in die Rundenpause, seine Wunden werden notdürftig versorgt. | |
Zwei schwarz gekleidete Helfer versuchen, mit Wasser und Handtüchern das | |
viele Blut vom Ringboden wegzuwischen - ein vergebliches Unterfangen. | |
Die zweite Runde beginnt ähnlich. Struve findet sich erneut am Boden | |
wieder, diesmal allerdings hat er Stojnic in einer guten Beinschere. Struve | |
gilt als Spezialist für Würgegriffe, aber kann er überhaupt noch sehen? | |
Kopf, Schultern, Arme beider Kämpfer sind voll von Struves Blut, beide | |
Kämpfer wälzen sich verschlungen herum, als Struve der entscheidende Dreh | |
gelingt - er zwängt den Hals von Stojnic in einen Rear Naked Choke - einen | |
Würgegriff, der die Blutzufuhr zum Gehirn unterbricht, sodass binnen | |
Sekunden Bewusstlosigkeit eintritt. Stojnic bleibt nur das schnelle | |
Abklopfen, solange er noch etwas merkt. Nach 7 Minuten und 43 Sekunden ist | |
der Kampf vorbei - und Struve, der einen Liter Blut verloren haben muss, | |
hat den Kampf gewonnen und jubelt. Die Halle tobt vor Begeisterung. | |
Das Blut habe ihn nicht erschreckt, wird Struve vier Stunden später bei der | |
Pressekonferenz erzählen, mit einem großen Pflaster auf der Stirn und | |
Wunden an Hals und Gesicht, als sei er in einen Häcksler geraten, aber | |
gelöst und glücklich über den Sieg. Es sei nur schwierig gewesen, die | |
Griffe richtig anzusetzen, weil alles so glitschig gewesen sei, sagt er | |
ganz technisch. Es ist eine Demonstration von Härte und Taktik: Struve hat | |
einstecken müssen, doch durch Geschick den Kampf für sich entscheiden | |
können. Die ganze Faszination der MMA. Und gleichzeitig der Grund, warum | |
viele sich voller Abscheu abwenden. | |
Es bleibt der spektakulärste Kampf des Abends. Sieben der insgesamt 12 | |
Kämpfe enden nach vollständig gekämpften drei Runden à fünf Minuten durch | |
Entscheidungen der Punktrichter, drei durch Aufgabe, zwei nach Abbruch | |
durch den Ringrichter ("technischer K.o."). "Prügeln, bis einer nicht mehr | |
aufsteht", wie manche Medien und Politiker MMA vorher beschrieben hatten, | |
ist in Köln nicht zu sehen. Die meisten Kämpfe sind vor allem durch Taktik | |
und Vorsicht bestimmt. Die Kämpfer kennen die jeweiligen Stärken und | |
Spezialtechniken ihrer Gegner und geben alles, sie zu vermeiden. Die | |
Paarungen sind durchweg gleichwertig - hier trifft kein starker Kämpfer auf | |
hilfloses "Fallobst", wie es im Berufsboxen gang und gäbe ist, um | |
aufstrebenden Boxern zu grandiosen Kampfrekorden zu verhelfen. | |
Bei der anschließenden Pressekonferenz zeigen sich UFC-Präsident Dana | |
White, die Kämpfer selbst und der deutsche Veranstalter Marek Lieberberg | |
über den Abend höchst zufrieden. Der Sprung aufs europäische Festland sei | |
jetzt geschafft, sagt White, nun werde es weitergehen. | |
MMA-Kampfsportschulen werden entstehen, das Interesse wird steigen, sagt | |
White überzeugt. So war es überall, wo die UFC angefangen hat, so wird es | |
auch hier sein. | |
Marek Lieberberg hofft, dass wenigstens die Verleumdungen aufhören. Und | |
tatsächlich: Wer diesen Abend erlebt hat, muss sicher nicht zum Fan der | |
Mixed Martial Arts werden. Wer jede Art von Kampfsport ablehnt, wird die | |
Käfigkämpfe genauso daneben finden. Die Propaganda aber, bei den | |
Käfigkämpfen handele es sich im Unterschied zum Boxen um hirnlose Gewalt | |
ohne Regeln - wenigstens dieser Blödsinn sollte in Deutschland nun | |
vorbeisein. Sie wird dem Sport nicht gerecht. Denen nicht, die ihn gut | |
finden - und erst recht nicht denen, die ihn betreiben. | |
15 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
## TAGS | |
Mixed Martial Arts | |
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