# taz.de -- Neues Album von Masha Qrella: Wahrlich keine Rampensau | |
> Die Berliner Musikerin Masha Qrella pflegt das Understatement. Deswegen | |
> überzeugt sie auf ihrem Album mit Weill- und Gershwin-Songs, denen sie | |
> das Broadway-Make-up vom Gesicht wischt. | |
Bild: Selbst wenn Masha Qrella rockt, tut sie das mit innerer Ruhe. | |
Ein Song wie die letzte Szene in einem Western, mit Cowboyhut, verwittertem | |
Männergesicht und Bass-Timbre. Wenn Masha Qrella, geboren 1975 in | |
Ostberlin, auf ihrem neuen Album "Speak Low - Loewe and Weill in Exile" den | |
in der Version des Schauspielers Lee Marvin weltbekannt gewordenen Song | |
"Wandring Star" singt, hat das so gar nichts von effektreichem, einsamen | |
Reiten in den Sonnenuntergang. | |
Die Musikerin und Sängerin Qrella definiert mit ihren Bands Mina und | |
Contriva ohnehin seit mehr als zehn Jahren elektronisch generierte Popmusik | |
problemlos neu und persönlich: Die 1996 gegründeten Contriva, denen manche | |
nachsagen, sie hätten das Genre "Indietronic" erfunden und füllten es auch | |
noch hervorragend alleine aus, und die komplett auf Gesang verzichtenden | |
Mina, bei denen die Multiinstrumentalistin Qrella neben Saxofon auch | |
Keyboard spielt, wandeln schon lange auf eigenen Wegen. Jenseits von | |
Dancefloor-Electroclash oder weichgespültem Pop, ohne dabei je in | |
Retroromantik zu fallen. | |
Konzentriert und eigenwillig geht Qrella auch bei der Adaption von | |
"Wandring Star" vor. Qrellas saubere, trockene Gitarre swingt sich erst | |
einmal ein, präzisiert die Grundstimmung, spielt mit den Harmonien, aber | |
noch nicht mit der Melodie und dem grandios-kitschigen Text von Alan J. | |
Lerner. Nur langsam kommen die Drums, bis sich nach anderthalb Minuten | |
Qrellas klare Stimme dazugesellt, die eine neue und eigene Gesangsmelodie | |
findet und in ihrer Jugendlichkeit den perfekten Gegenpol zu Lee Marvins | |
nikotin- und whiskeygestähltem Gebrummel bildet. Ein Gegenpol, der diesen, | |
in fast jedem Gehörgang der ersten beiden Welten angesiedelten, | |
abgelutschten alten Ohrwurm, so alt, abgelutscht und im Allgemeinkulturgut | |
verankert, dass er sogar von Otto Waalkes parodiert wurde, | |
erstaunlicherweise einfach wegwischt. | |
In Frederick Loewes "I talk to the trees", das das Album eröffnet und schon | |
von Berliner Radiostationen hofiert wird, erahnt man Qrellas juvenile | |
Sprechstimme. Die Sängerin könnte in Hörspielen kleine, freche Berliner | |
Jungs synchronisieren: Hastig spricht sie, die Grenze zum Nuscheln in | |
Hörweite, nimmt sich aber ihre Pausen. Andere würden bei dieser | |
Sprechgeschwindigkeit einfach durchplaudern auf die Gefahr hin, dummes Zeug | |
zu faseln. Qrella dagegen schweigt lieber, um zu überlegen. Sogar auf der | |
Bühne. Bei der Plattentaufe von "Speak Low" im bestuhlten Berliner Prater | |
waren die Tickets im Nu ausverkauft. "Masha Qrella plays Weill" evoziert | |
selbstredend eine große Kulturinteressierten-Schnittmenge: Es tummeln sich | |
TheaterfreundInnen, Indie-Fans und Songwriter-Liebhaber. Im Konzert spielt | |
Qrella die Songs in der Reihenfolge ihres Albums, erzählt zwischendurch | |
kurz, dass "Speak Low" ihr erstes Konzeptalbum ist, gefolgt von einem | |
schnellen, aus einer echten Verlegenheit geborenen Lachen. Eine Rampensau | |
ist Qrella wahrlich nicht, das begeisterte Publikum hat sie aber deswegen | |
schnell auf ihrer Seite. | |
Beim Interview in ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg, in der sie mit ihrem | |
Freund Norman Nitzsche, Mina-Bandkollege und Produzent von Bands wie The | |
Whitest Boy Alive, und der gemeinsamen einjährigen Tochter Ira lebt, denkt | |
sie über die Gemeinsamkeiten der ausgewählten Loewe- und Weill-Stücke nach: | |
"Sie tragen eine Melancholie in sich, die vielleicht damit zusammenhängt, | |
dass die Songs allesamt in der zweiten Lebenshälfte der Komponisten | |
geschrieben wurden." Selbst wenn Masha Qrella rockt, dann tut sie das mit | |
innerer Ruhe. Oft steigert sich die Spannung, man kann und soll Qrellas | |
Musik durchaus laut hören, aber geschrien wird nicht, und ausgeflippt eher | |
studentisch. | |
Nur Note und Text | |
Während Norman die kugeläugige Ira einpackt und Freunde besuchen fährt, | |
erzählt Masha, wie Detlef Diederichsen sie in seiner Funktion als | |
musikalischer Leiter des Berliner Hauses der Kulturen der Welt nach einem | |
Beitrag für einen Broadway-Abend fragte. "Kurt Weill kannte ich kaum, am | |
ehesten durch die ,Dreigroschenoper', vielleicht hatte ich auch ,Speak Low' | |
schon mal gehört, aber nicht im Jazzkontext." Prima Voraussetzungen für | |
eine unvoreingenommene Herangehensweise an die Interpretationen. "Ich habe | |
mir auch vorher extra keine anderen Songversionen mehr angehört, wir hatten | |
einfach nur die Noten und die Texte." | |
Qrella, der ehemalige Blumfeld- und jetzige Die-Türen-Organist Michael | |
Mühlhaus, theatererfahren wie die zweite Gitarristin Rike Schuberty, die | |
schon bei Contriva mit ihrer Orgel den Sound maßgeblich bestimmte, und der | |
Notwist-Schlagzeuger Andi Haberl wählten zusammen aus, welche der vielen | |
von Loewe oder Weill komponierten Songs sie interpretieren wollten. "Dieses | |
Musicalmäßige, Schauspielhafte liegt mir gar nicht, darum haben wir eher | |
drauf geachtet, ob es poppig klingt, ob es einfach ist." Elf Songs sind es | |
geworden, die jetzt, ein gutes halbes Jahr nach der ersten Aufführung im | |
Haus der Kulturen der Welt und vier Jahre nach Qrellas letztem, dem zweiten | |
Solo-Album "Unsolved Remained", im Albumformat herauskommen. | |
Darunter jene Hits wie "Wandring Star" und "On the street where you live". | |
Letzterer kommt im Musical "My Fair Lady" als schmetterndes, glückliches | |
Pathos schwitzendes Liebeslied daher, wird von Masha Qrella dagegen wie ein | |
anrührender, zerbrechlicher, mit Mühlhaus zarten, hochfrequenten Orgeltönen | |
sanft umrahmter Liebeskummer inszeniert: "People stop and stare / they dont | |
bother me / for theres nowhere else on earth where I would rather be." Dazu | |
sagt Qrella: "Wenn man sich den Text anguckt, merkt man, dass es eigentlich | |
ein total trauriger Song ist." Auch anderen Songs wischt sie das | |
Broadway-Make-up herunter und gibt ihnen stattdessen Persönlichkeit: Die | |
"Saga of Jenny" aus Kurt Weills und Ira Gershwins Musical "The Lady in the | |
Dark" wird bei Qrella wieder zur fatalistisch-bissigen Geschichte einer | |
Frau, die sich zum richtigen Zeitpunkt verlässlich falsch entscheidet. Das | |
Theatralische wird gegen die trockene, bestimmte Gitarre eingetauscht, die | |
zusammen mit der Orgel die Songstruktur hält und klärt. Überhaupt ist das | |
Zusammenspiel der weichen, immer wieder innovativen Orgel mit Qrellas | |
eigenwilliger Gitarre wunderbar ausgewogen. Die Musiker achten die | |
Frequenzen der Mitspieler, spielen sich nicht in den Vordergrund oder sägen | |
eitel auf den vorhandenen Fingerfertigkeiten herum. | |
"Speak Low" von Kurt Weill mit einem Text von Ogden Nash, das Qrellas Album | |
den Namen gab, ist ein bezaubernd träumerisches Liebeslied im 6/8-Takt, das | |
den romantischen Weill-Harmonien genügend Raum gibt, um ihren Charme zu | |
entfalten. Und obwohl Romantik und Melancholie geradezu mittelalterlich | |
große Gefühle sind, navigiert die Berliner Musikerin auf "Speak Low" so | |
sicher vom Kitsch weg, als ob es ihr am derrière vorbeiginge, wie man | |
Kitsch produziert. Genauso wie ansonsten gerne mal herbeigezogene | |
Gendertypisierungen übrigens: Auch wenn Qrella demnächst ein bisschen als | |
Ratgeberin bei einem "Popcamp für Mädchen" mitarbeitet, "mit denen | |
Instrumente ausprobieren, Bands zusammenstellen", ist sie keine, die das | |
Thema Frauen und Musik extra bedenken muss. "Es ist mir ein Rätsel, warum | |
es weniger Musikerinnen als Musiker gibt! Ich hab wegen meiner Musik nie | |
Probleme gehabt, und meine Umgebung auch nicht!" | |
Ihr Körper ist keine Deko | |
Unterstützende Eltern und FreundInnen, guter Geschmack, herausragendes | |
Talent: Qrellas Vollblutmuckertum ist selbstverständlich, wenn sie in Jeans | |
und T-Shirt mit festgewachsener Gitarre auf der Bühne steht. Wenn sie ihre | |
Schüchternheit nicht zugunsten eines aufgesetzten Bühnengrinsens ablegt, | |
wenn sie tatsächlich live genauso stoisch in ihre Songs versinkt wie im | |
Übungsraum, dann ist das neben dem tadellosen musikalischen Aspekt auch | |
bemerkenswert, weil es zwar viele Männer, aber kaum Frauen gibt, die so | |
wenig Wert auf das Exhibitionistische legen, das fast allen Künstlern eigen | |
ist. Denn Masha Qrella hat es schlichtweg nicht nötig, ihrer Musik den | |
eigenen Körper als Deko mitzugeben. | |
"Ganz früher haben wir tatsächlich nur für uns gespielt, mit dem Rücken zum | |
Publikum", erzählt Qrella selbstironisch, und dass sie Musik und Geschlecht | |
kaum in Zusammenhang stellen möchte, ist dann doch ein eindruckvolles | |
Genderstatement. "Speak Low", vielleicht für eisenharte Contriva-Fans zu | |
poppig, vielleicht für konservative Theaterliebhaber zu flott, ist eine | |
bezaubernde Hommage an die außergewöhnlichen Songarrangements von Loewe und | |
Weill geworden und zeigt die zurückhaltende Masha Qrella von ihrer mutigen | |
und mondänen Seite. | |
Masha Qrella: "Speak Low - Loewe and Weill in Exile" (Morr Music) | |
17 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Kolumne Großraumdisco | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kurt-Weill-Abend in der Berliner Bar jeder Vernunft: Tote können sich nicht we… | |
Die Musik von Kurt Weill ist seit ein paar Jahren wieder sehr präsent auf | |
den Berliner Bühnen. Nicht immer aber kommt man ihm dabei auch nahe. |