# taz.de -- Tofu in der Kulturkritik: Essen ohne Schuld? | |
> Mit Geschmack hat der Fleischersatz aus Soja nicht viel zu tun, was auch | |
> an den fehlenden Rezepttraditionen für die Sojabohne liegt. Tofu ist | |
> vielmehr ein Dilemma der modernen Ernährung. | |
Bild: Der Sojaanbau etwa in Südamerika zerstört die Umwelt und forciert die A… | |
Es schimmert hell, ist geruchlos, flutscht weich über die Zunge und | |
hinterlässt geschmacklich kaum Spuren im Gedächtnis. Tofu ist ein | |
Sojaprodukt, das erkennbar wenig mit Geschmack zu tun hat und außerhalb der | |
europäischen Ernährungskultur steht. Für Tofu, Bratlinge, Schnitzel, Burger | |
oder Aufstriche auf Sojabasis gibt es jenseits des Exotischen keine | |
gewachsene Tradition an Rezepturen und Zubereitungsarten, denn hierzulande | |
fehlen Speisen, die sich aus der texturellen Eigenheit der Sojabohne heraus | |
entwickelt haben; eine wesentliche Voraussetzung für Geschmack. Vielmehr | |
sind Sojaprodukte Ersatzstoffe. Anders, als es etwa bei fleischlosen | |
Speisen wie Risotto, Pilzravioli, Bohnengerichten oder Polenta der Fall | |
ist, ahmt eine Tofu-Frikadelle in ihrer Form, Konsistenz, Würzung und | |
Garmethode das fleischliche Original nach. | |
So zitiert Räuchertofu die Erinnerung an geräucherte Würste, Schinken oder | |
Fische, die jedoch nicht nur geräuchert werden, weil Rauch konserviert, | |
sondern weil seine Aromen in eine geschmacklich sinnvolle Verbindung mit | |
dem Eigengeschmack von Fisch und Fleisch treten können. Gelungene Speisen | |
sind nie nur pragmatischen Ursprungs, sie haben auch einen ideellen Wert, | |
der sich in der Eigenart und Intensität ihres Geschmackes ausdrücken kann - | |
der Ausdruck eines kulturellen Prozesses. | |
Sojaprodukte wie Tofu oder Sojamilch sind geschmacksneutral und | |
Aromenträger anderer Zutaten. Geräucherter Tofu schmeckt oft eindimensional | |
nach Rauch und Salz, die Raucharomen gehen mit dem Tofu keine neue | |
geschmackliche Verbindung ein. Dagegen schmeckt eine gebratene | |
Auberginenscheibe nicht nur nach dem Pfeffer, mit dem sie gewürzt wurde; | |
sie entwickelt während des Garprozesses eine signifikante geschmackliche | |
Qualität, da sich beim Garen etwas Drittes bildet. Das vermag eine | |
gebratene Tofuscheibe nicht, die in der Regel vordergründig nach Bratfett | |
und dem Gewürz schmeckt, mit dem sie bestreut wurde. | |
In Asien gibt es eigenständige Tofugerichte, wie Misosuppe, die, im | |
Unterschied zu den westlichen Tofu-Bratlingen, immer noch ihren kargen | |
Charakter erkennen lassen. Tofu wurde entwickelt, um Eiweißmangel der | |
schwer körperlich arbeitenden Bauern zu lindern, da sie keinen Zugang zu | |
lebensnotwendigen tierischen Proteinen hatten, die den Reichen vorbehalten | |
waren. Zudem war Tofu Krankenkost und die religiöse Fastenspeise der | |
Zen-Mönche. Der asketische Aspekt ist bei einer echten Misosuppe erkennbar | |
und Teil ihres geschmacklichen Profils. | |
Tofu ist in Deutschland mit jedem Fleischskandal populärer geworden, | |
momentan gibt es etwa 1,3 Millionen Vegetarier, davon ernähren sich ca. | |
82.000 vegan. Fleischlose Ersatznahrung auf Sojabasis ist ein Trend, wobei | |
es zahlreiche Gründe gibt, weder Fisch, Fleisch noch Eier essen zu wollen, | |
sich mit Massentierhaltung, Klonfleisch oder der Ausbeutung und Tötung von | |
Tieren nicht abfinden zu wollen. | |
Doch können die Probleme, die unsere Ernährung schafft, durch Verzicht und | |
Vegetarismus gelöst werden? Bekanntlich zerstört der Sojaanbau etwa in | |
Südamerika die Umwelt und forciert die Armut. Und gibt es das überhaupt, | |
das schuldfreie Essen? Kann eine Tofu-Bulette wirklich das Gewissen | |
erleichtern? Oder ist es eine Illusion im Gewand des Luxus, für den sich | |
der westliche Nahrungsüberfluss einen Markt geschaffen hat? Zudem hat die | |
Sache ein soziales Geschmäckle: Reiche leisten sich genfreien Biotofu, Arme | |
gentechnisch veränderten Sojafraß. | |
Wer sich beim Grillabend mit Freunden eine Tofuwurst grillt, kann weiter am | |
sozialen Leben der fleischessenden Mehrheit teilhaben. Doch warum können | |
und wollen Vegetarier nicht auf Fleischgeschmack verzichten? Und weshalb | |
greifen sie wirklich zu Tofu mit Wurstaroma, obwohl sie Fleisch strikt | |
ablehnen? Hier zeigt sich, dass der Drang wohl stärker ist als der Wille | |
zum Verzicht und sich die individuelle geschmackliche Sozialisation nicht | |
einfach überwinden lässt. Der Vegetarismus ist eine Ernährungsform voller | |
Widersprüche. Sie steht in Deutschland teilweise in der Tradition der | |
völkisch beeinflussten Lebensreformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts | |
und findet dort ihre Grenzen, wo allzu simple Antworten auf komplexe | |
Ernährungsfragen gegeben werden. | |
27 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Till Ehrlich | |
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