# taz.de -- Restitution von Büchern: Legal, illegal, Bib-Regal | |
> Die Bremer Staats- und Universitätsbibliothek bemüht sich um die | |
> Restitution von Büchern, die durch "Juden-Auktionen" in ihren Besitz | |
> gelangten. Lange Zeit wurden diese Aktivitäten von den Fachkollegen | |
> ignoriert oder argwöhnisch beäugt. | |
Bild: Im Bremer Hafen: Bücher jüdischer EmigrantInnen sollen ausgeschifft wer… | |
Die kleine Anzeige in den Bremer Nachrichten vom 19. April 1942 klingt | |
lapidar: "Im Auftrag des Herrn Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems" werde | |
"Auswanderungsumzugsgut" versteigert, heißt es in der bei behördlichen | |
Bekanntmachungen gebotenen Sachlichkeit und Knappheit. Das dahinter | |
stehende Geschäft war umso beträchtlicher: Als Auswandererhafen profitierte | |
Bremen erheblich vom enteigneten Eigentum Zigtausender, zumeist sehr | |
wohlhabender jüdischer EmigrantInnen. Mit Kriegsbeginn wurden deren | |
Speditionskisten nicht mehr verschifft, bereits auf See befindliche | |
Frachten zurück beordert und später von der Gestapo zu Gunsten des Fiskus | |
beschlagnahmt. | |
Bevor sich die Bevölkerung zum Schnäppchenpreis an Orientteppichen, Möbeln | |
und Kunstwerken bereicherte, nutzten die öffentlichen Einrichtungen ihr | |
Vorkaufsrecht - neben dem Bremer Focke-Museum vor allem die hiesige | |
Staatsbibliothek. Für 1942 weisen deren sorgsam geführte "Eingangsbücher" | |
rund 1.600 Buchtitel auf, die Bibliotheksdirektor Hinrich Knittermeyer | |
persönlich auf den damals allgemein als "Judenauktionen" bekannten | |
Versteigerungen erwarb. Diese Titel machten immerhin gut 40 Prozent der | |
Zugänge in diesem Jahr aus. | |
Der zweite Teil dieser Geschichte beginnt 49 Jahre später: Einem Besucher | |
des mittlerweile zur "Staats- und Universitätsbibliothek" erweiterten | |
Hauses fallen sonderbare Vermerke in einigen Bücher auf: "J.A." steht | |
handschriftlich am oberen Rand der inneren Umschlagseiten. Dieser Nutzer, | |
der Bremer Politologe Klaus v. Münchhausen, ehemals Bevollmächtigter des | |
deutschen Auschwitz-Komitees, interpretiert die Buchstaben zunächst als | |
Abkürzung für "Judenaktion". Mit einer Petition erzeugt Münchhausen | |
politischen Druck, schon kurze Zeit später fordert der Senat die Bibliothek | |
zur systematischen Erfassung und Restitution der Bücher jüdischer | |
Alteigentümer auf. Seither konnten 290 an ihre Eigentümer oder deren Erben | |
in den USA, Australien, Israel und Brasilien zurück gegeben werden. Weitere | |
Rückgaben soll eine im Aufbau befindliche Online-Datenbank ermöglichen. Sie | |
ist vielfach verschlagwortet und mit Scans sämtlicher handschriftlicher | |
Einträge aus den Büchern versehen, die noch keinen Eigentümern zuzuordnen | |
waren. | |
Dieses Bremer Rückgabe-Projekt, dem unter dem Titel "Eigentümer gesucht!" | |
derzeit eine kleine Ausstellung in den Räumen der Bibliothek gewidmet ist, | |
wirft Fragen auf. Es ist die bundesweit erste, bislang längste und | |
erfolgreichste systematische Restitutionsaktion im Bibliotheksbereich. Aber | |
warum blieb sie so lange - trotz vieler Vorträge und offensiver | |
Öffentlichkeitsarbeit - recht einsam auf der weiten Flur der deutschen | |
Bibliothekslandschaft? 1991, als in Bremen die Provenienzrecherchen | |
begannen, stand für die anderen wichtigen Bibliotheken in Sachen | |
Bücherrückgabe die entgegen gesetzte Perspektive im Fokus: Nach dem | |
Zusammenbruch des Ostblocks interessierten vornehmlich die eigenen | |
Restitutionsforderungen in Bezug auf Auslagerungs- und Plünderungsverluste | |
im Zweiten Weltkrieg. "Die deutschen Bibliothekare sahen sich selbst als | |
Opfer", bestätigt Jürgen Babendreier, der frühere Vize-Direktor der Bremer | |
Bibliothek. Dieser Blickwinkel habe "Täterschaft nicht zu zugelassen". | |
Der Umstand, dass in dieser Zeit in allen Häusern beträchtliche Zuwächse zu | |
verzeichnen waren, führte bei den Staats- und Universitätsbibliotheken in | |
Hamburg oder Berlin erst nach 1998 zu nachhaltigen Aktivitäten - nachdem | |
sich Deutschland in der "Washingtoner Erklärung" zur Erforschung und | |
Rückgabe von jüdischem Eigentum verpflichtet hatte - unabhängig von | |
zivilrechtlichen Verjährungsfristen. Für die Göttinger | |
Universitätsbibliothek beispielsweise waren auch dann noch weitere zehn | |
Jahre und ein Direktorenwechsel notwendig, bevor das seit langem bekannte | |
Problem angepackt wurde. Schon 1950 hatte es einen entsprechenden Aufruf | |
jüdischer Verbände in einschlägigen Bibliothekars-Fachzeitschriften | |
gegeben. "Das Thema war unter Bibliothekaren nicht diskursfähig", sagt | |
Babendreier. Selbst in den 90ern habe es in der Fachöffentlichkeit zunächst | |
"null Resonanz" auf die Bremer Bemühungen gegeben. Von vielen Kollegen, so | |
die Erfahrung der Bremer, wurden ihre Aktivitäten als "unpassend und | |
ärgerlich" angesehen. | |
Die Bremer Vorreiterrolle, auch sie schon mit fünf Jahrzehnten Verspätung | |
eingenommen, hängt mit Zufallsfunden, aber auch mit speziellen Personen | |
zusammen. Die wichtigste ist die pensionierte Schulrätin Elfriede Bannas, | |
die sich als externe Ehrenamtliche intensiv um die Identifizierung der | |
Alteigentümer bemühte. 1.475 Bücher durchforstete sie nach persönlichen | |
Einträgen, Widmungen und Ortsangaben, ermittelte auf diese Weise 90 | |
Familiennamen, von denen sie die Hälfte in Wiedergutmachungsanträgen aus | |
dem Bremer Staatsarchiv wiederfand. Dadurch wusste Bannas wenigstens, wohin | |
die Besitzer in den 40er Jahren geflohen waren. Als nächsten Schritt | |
schrieb sie die entsprechenden Stadtverwaltungen und jüdische Gemeinden an, | |
auch Medien wie die israelische Tageszeitung Haaretz halfen bei der Suche. | |
Die erste persönliche Rückgabe erfolgte 1993 an Irene Lawford-Hinrichsen, | |
Enkelin eines der wichtigsten deutschen Musikverlegers: Der Leipziger Henri | |
Hinrichsen, Inhaber der "Edition Peters", ließ 1938 31 Bücher im Bremer | |
Hafen zurück, als er versuchte auszuwandern. 1942 starb Hinrichsen, der | |
wegen Visa-Schwierigkeiten nur bis Brüssel kam, in Auschwitz. Der Brief aus | |
Bremen, der ihr vom Fund der Bücher ihres Großvaters berichtete, habe sie | |
"wie ein Blitz" getroffen, sagt die in London lebende Lawford-Hinrichsen. | |
Er ist, wie alle der vielen Dutzend von Elfriede Bannas verschickten | |
Benachrichtigungen, von Hand und sehr persönlich geschrieben. "In so einer | |
Sache wäre ein förmlicher Behördenbrief unangemessen", sagt die heute | |
84-Jährige. Frau Lawford-Hinrichsen sei mittlerweile eine Freundin. | |
Nach Schätzungen von Joachim Drews, dem jetzigen Leiter des Bremer | |
Rückgabe-Projekts, lagern noch etwa eine Million Bücher jüdischer Besitzer | |
in deutschen Bibliotheken. Nur ein Bruchteil davon sei identifiziert. In | |
Bremen waren die "J.A."-Bücher über sämtliche inhaltliche Abteilungen | |
verstreut: Es handelt sich um damals populäre belletristische Titel ebenso | |
wie um bibliophile Kostbarkeiten, Gebetsbücher oder Fachliteratur, die | |
vielleicht den beruflichen Neustart erleichtern sollte. | |
"Unser Beispiel zeigt, dass eine Suche machbar ist", sagt Drews. In der | |
Tat: Der Staatsminister für Kultur stellt sogar eine Million Euro jährlich | |
für die Unterstützung von Provenienzforschung zur Verfügung - was aktuell | |
allerdings nur von sechs Bibliotheken genutzt wird. Auch in Bremen besteht | |
durchaus noch Handlungsbedarf. Während der in die Bibliothek gelangte | |
Besitz der über Bremen Ausgewanderten als weitestgehend erfasst gelten | |
kann, ist ein noch näher liegender Bereich unerforscht: Die Frage, ob die | |
Bibliothek auch von der Enteignung Bremer Juden profitierte. Deren Eigentum | |
kam 1941 und 1942, unmittelbar im Anschluss an die Deportation nach Minsk | |
und Theresienstadt, ebenfalls unter den Hammer. | |
13 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
NS-Raubkunst | |
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