# taz.de -- Volksmusik: Ist Jodeln cool? | |
> "Hodaro", "Iohodraeho", "Holadaittijo" - Jodeln, das ist Singen ohne Text | |
> auf Lautsilben. Im Schweizer Naters ringen jedes Jahr im Sommer Chöre um | |
> die beste Technik und den besten Sound | |
Bild: Auf dem Festival in Naters | |
Die Imbissbetreiber bauen ihre Buden auf. Dabei tönt so manche | |
geschmacklose Volkstümlichkeit über ihre Lautsprecher. Denn es gibt sie | |
auch in der Schweiz, jene eigenartig erfolgreiche Variante der | |
Unterhaltungsmusik, die in Deutschland Menschen wie den ungekrönten | |
Lächelkönig Hansi Hinterseer oder die wuchtigen Wildecker Herzbuben zu | |
wahren Stars gemacht hat: Ein Graus für alle, die echte Volksmusik | |
betreiben. Doch die Imbissbetreiber schalteten ihre Anlagen schnell aus, | |
als die ersten Trachtler auf dem Weg zu ihrem Wettbewerbsbeitrag durch | |
Naters laufen. | |
Jetzt wird es ernst, jetzt kommen die echten VolksmusikerInnen: die Jodler, | |
die sich in der Schweiz regelmäßig beim Wettsingen messen. In Naters | |
beispielsweise, im Kanton Wallis gelegen, treffen sich diese puristischen | |
Volksmusikanten immer im Sommer beim Westschweizer Jodlerfest. | |
Tausendfünfhundert sind es dieses Jahr. In ihren Jodlertrachten ziehen die | |
Saas-Feer, die Appenzeller, die Thuner ein Wochenende lang durch den Ort an | |
der Rhone. Mit ihrem schmucken Auftreten strahlen sie die Autorität des | |
Ursprünglichen aus. Die Alphornbläser, die auch in den Jodelverbänden der | |
Schweiz organisiert sind, geben ohnehin ein eindrucksvolles Bild ab, wenn | |
sie mit geschultertem Instrument daher marschieren. "Jodlu isch cool", | |
lautet das Motto des 26. Westschweizer Jodlerfestes von Naters, dem größten | |
Dorf des Oberwallis. | |
Wenn Jodler zusammenkommen, dann wollen sie jodeln. In Naters treffen sie | |
sich dazu in den Wettbewerbslokalen, dem modernen Missionszentrum oder der | |
barocken Dorfkirche ausdem17. Jahrhundert. Aber die Jodelchöre schmettern | |
auch überall sonst ein Lied aus ihrem Repertoire - wann immer es ihnen in | |
den Sinn kommt. Ein ganzes Tal, eingerahmt von schneebedeckten | |
Viertausendern, vibriert mit den tiefen Bassstimmen der Männer, swingt mit | |
den hohen Jodeleinlagen der Frauenstimmen. Und wenn Jodelpause ist, dann | |
schallen Alphorntöne durch Naters. Coole Klänge. | |
Aber ist Jodeln wirklich cool? Am späten Abend, als jede Menge Bier und | |
Wein die Hirne der Besucher des Jodeldorfes schon ein wenig weicher gemacht | |
haben, sind auch jede Menge trachtenfreie Jugendliche zu hören, die von | |
Edelweiß singen und drauflos jodeln, ohne sich dafür zu schämen. | |
Jodelliederhaben es in den vergangenen Monaten regelmäßig in die Schweizer | |
Charts geschafft. So kennt beinahe jeder Schweizer den Jodlerklub | |
Wiesenberg und sein zusammenmit der Diseuse Jordi Francine verschlagertes | |
Lied "Das Feyr Vo Dr Sehns" (Das Feuer der Sehnsucht). Der Schweizer Rapper | |
Bligg, in dessen Hymne an die einheimische Popmusik "Mussig i dä Schwiiz" | |
(Musik in der Schweiz) kräftig gejodelt wird, ist immer wieder | |
Gesprächsthema, wenn die Jodler statt zu jodeln über das Jodeln reden. | |
Jodeln ist also cool. Die meisten winken ab. Vor allem die Älteren, | |
diejenigen, die das Bild bestimmen: Grauhaarige, naturgegerbte Kerle, die | |
beinahe verwegen aussehen, wenn ihnen der schwarze, kreisrunde Jodlerhut | |
über den Abend immer mehr ins Genick rutscht, und an denen man sich nicht | |
satthören kann, wenn sie mit ihrem Altersbass ein Jodellied begleitet | |
haben. "Ich weiß nicht, ob das cool ist, was wir machen", sagt einer vom | |
Jodelklub Bärgarve. Er ist schon in Rente und betreibt noch eine kleine | |
Landwirtschaft. "Es gab einmal eine Zeit, da gab es keine Jungen", meint | |
er, nachdem er mit seiner gemischten Gruppe den Wettvortrag "Heimlig isch | |
der Summa gange" intoniert hat. Zwanzig, dreißig Jahre sei das her, da habe | |
es kaum Nachwuchs gegeben. Das sei heute anders. "Cool?", überlegt er. "Das | |
müssen Sie die Jungen selbst fragen." | |
Die Desirée ist fünfzehn. Eine ganz Junge. Sie tritt mit einer | |
einheimischen Jodelgruppe im Finale des Wettbewerbs der besten Schweizer | |
Nachwuchsvolksmusiker auf, der am Rande des Jodlerfests stattfindet. Einmal | |
in der Woche trifft sich ihr Jodelchor in einem Ort in der Nähe von Naters. | |
Der Nachwuchs aus der Gegend wird von den Eltern, meist selbst aktive | |
Jodler, aus den Orten des Tals zum Probenraum chauffiert.Viele sind es | |
nicht, die sich zum Jodeln fahren lassen. "Manche sagen schon dumme Sachen, | |
wenn sie hören, dass ich jodle", meint Desirée. Andere würden wissen | |
wollen, wie das geht. "Dann jodle ich ihnen einfach etwas vor." | |
"Die ist cool!" Es ist schon spät am Abend, als der Präsident des | |
Jodelklubs Bärgarve aus Naters, Daniel Schmid, auf eine lässige, junge Frau | |
in Jeans zeigt.AmTag zuvor, als sie ihr Auftrittsdirndl anhatte, da sah sie | |
noch ganz anders aus. Christin Mazotti-Lauwiner ist Grundschullehrerin und | |
inzwischen diemusikalische Leiterin des gemischten Chors. Mit dem Vortrag | |
ihrer Gruppe ist sie zufrieden, denn die hat sich zufällig zusammengesetzt. | |
Irgendwo im Jodlerdorf, wo die Bewohner ihre Lagerkeller zu kleinen Bars | |
umgebaut haben, trällerten ein paar Frauen immer wieder dasselbe Volkslied. | |
"Ich fragte mich, ob die nichts anderes können?", erzählt Mazotti-Lauwiner. | |
Doch, sie konnten und stimmten ein Jodellied an, was immer mehr Frauen in | |
den Kreis zog. Mazotti-Lauwiner hat schnell mit eingestimmt, ist bald zur | |
Führungsjodlerin geworden. Ihr Jodelschlag wurde zum Sound des Dorfes. | |
"Beim Wettsingen ist es undenkbar, dass jemand in Jeans die Bühne betritt. | |
Das Outfit gehört zur Tradition", sagt Christin Mazotti-Lauwiner. "Auch | |
wenn die Jury, die Noten von eins bis viervergibt, nur auf die Töne achtet, | |
es geht auch um das Erscheinungsbild." Beim Jodlerfest in Naters hat eine | |
Gruppe aus Genf in Jeans die Grenzen ausgetestet. Eine reine Frauengruppe. | |
So etwas hat es noch nie gegeben. Der "Coeur des Yodleuses" ist trotzdem | |
gut angekommen. | |
Peter Summermatter, Jodeljuror, 47 Jahre alt und schon seit 23 Jahren | |
Leiter des Jodelklubs Aletsch aus Naters, sitzt in einer Jurypause an einem | |
Imbissstand und sinniert darüber, wann das Jodeln echt ist. "Seit 100 | |
Jahren wird in der Schweiz das Jodeln in der Form betrieben, wie sie in | |
Naters vorgestellt wurde. So alt ist das nicht", sagt er. Die meisten | |
Lieder, die gesungen werden, sind in der Dreißigerjahrenkomponiert worden. | |
Echt ist beim Jodeln nicht, was alt ist, sondern was klingt. Bis heute | |
werden Jodellieder komponiert und getextet. Und während es früher nur umdie | |
Schönheit derNatur ging, nur um das große Glück der Liebe, geht es heute | |
auchumdie Gefährdetheit der Umwelt und die Schwierigkeit, sich auf | |
Freundschaften einzulassen. Summermatter ist ein Freund der Veränderungen. | |
Doch einen echten Jodler kann in seinen Augen nicht jeder singen. Er weiß: | |
"Man muss die Tradition kennen, um glaubhaft Veränderungen bewirken zu | |
können." | |
23 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
## TAGS | |
Reiseland Schweiz | |
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