# taz.de -- Suizid-Prävention: Selbstmorde im Knast oft vermeidbar | |
> Nach dem Tod eines Häftlings im Bremer Gefängnis fordert die Expertin | |
> Katharina Bennefeld-Kersten für Untersuchungshäftlinge eine | |
> Telefon-Seelsorge und spezielle Zellen ohne Gitter und Stangen. | |
Bild: In einer Krisensituation: Gerade Untersuchungshäftlinge haben anfangs ka… | |
Ein großer Teil der Selbsttötungen in Gefängnissen lässt sich durch | |
gezielte Maßnahmen verhindern. Diesen Schluss legen neue Untersuchungen des | |
Kriminologischen Dienstes im niedersächsischen Justizvollzug nahe. Ein | |
Viertel der für ein Forschungsprojekt befragten Gefangenen habe angegeben, | |
in den ersten zwei Wochen nach Inhaftierung an Suizid gedacht zu haben, | |
sagte die Leiterin des Forschungsinstituts, Katharina Bennefeld-Kersten, | |
der taz. Dass Häftlinge vor allem am Anfang besonders gefährdet sind, ist | |
durch die Statistik belegt, die die Psychologin und ehemalige | |
Anstaltsleiterin führt. Danach haben sich in den Jahren 2000 bis 2008 | |
bundesweit 784 Inhaftierte das Leben genommen, 227 im ersten Monat, davon | |
knapp die Hälfte in den ersten drei Tagen. | |
Eine große Rolle spielt offenbar, ob sich die Gefangenen in | |
Untersuchungshaft befinden oder nach einem Urteil ihre Strafe absitzen: Mit | |
422 Personen starben über die Hälfte der Selbstmörder in U-Haft. Und das, | |
obwohl diese Häftlingsgruppe kaum ein Fünftel aller Gefangenen ausmacht. | |
Die hohe Quote sei nicht verwunderlich, sagt Bennefeld-Kersten, da sich | |
Untersuchungshäftlinge in einer Krisensituation befänden, die sie umso | |
schwerer bewältigen könnten, als sie kaum soziale Kontakte haben. Besuche | |
und Telefonate müssten vom Haftrichter erlaubt werden, der auch die Post | |
liest. Auch Mithäftlinge und Bedienstete seien zu diesem Zeitpunkt keine | |
Hilfe. "Sie wissen nicht, wem sie vertrauen können", sagt | |
Bennefeld-Kersten. Soziale Kontakte seien aber der Grund, sich nicht | |
umzubringen, so eins der Zwischenergebnisse der aktuellen Studie. | |
Abgehalten hätten die Befragten Gespräche mit dem Rechtsanwalt, mit | |
Mithäftlingen, mit Vollzugsbeamten. Deshalb setzt sich die | |
Wissenschaftlerin für die Einrichtung einer Telefon-Seelsorge ein. Zwar sei | |
die Finanzierung ungeklärt, aber die Justizministerien in Niedersachsen und | |
Schleswig-Holstein hätten bereits Interesse bekundet, eine | |
Telefongesellschaft denke darüber nach, die anfallenden Gebühren zu | |
erlassen. Wichtig sei ein Gesprächspartner vor allem nachts: Über die | |
Hälfte der Einzelinhaftierten brachte sich nachts um. | |
Dies trifft auch auf den 39-Jährigen zu, der am Dienstagmorgen tot in der | |
JVA Bremen aufgefunden worden war. Nach den bisherigen Kenntnissen hatte er | |
sich kurz nach Mitternacht erhängt. Er war erst am Sonntag in | |
Untersuchungshaft gekommen, unter dem dringenden Verdacht, seine Freundin | |
erschossen zu haben - ebenfalls ein typisches Merkmal. Laut Statistik | |
machen Gewalttäter die Hälfte der Selbstmörder aus. Die Leiterin der Bremer | |
Anstalt, Silke Hoppe, sagte, dass es bei dem Mann keine erkennbaren | |
Anzeichen für eine Suizidgefährdung gegeben habe. Sie verteidigte seine | |
Verlegung in eine normale Zelle, nachdem er zuvor als Vorsichtsmaßnahme in | |
einem extra gesicherten Haftraum untergebracht gewesen war. "Man kann dort | |
nicht jemand vorsorglich für eine längere Zeit drin lassen", sagte Hoppe. | |
Ein fast leerer und kameraüberwachter Raum würde nicht dazu beitragen, dass | |
sich jemand stabilisiert. "Das ist nur das Mittel der letzten Wahl." Sie | |
setze in der Suizidprävention auf engen Kontakt zu den Bediensteten sowie | |
darauf, die Untersuchungshäftlinge möglichst genau so zu behandeln wie die | |
Strafgefangenen, ihnen also Freizeit- und Arbeitsmöglichkeiten anzubieten. | |
Eine Telefonseelsorge, wie sie Bennefeld-Kersten vorschlägt, hält sie für | |
einen guten Vorschlag. Nicht sinnvoll findet sie, die Fenstergitter zu | |
entfernen - das jüngste Bremer Opfer hatte daran sein Bettzeug befestigt. | |
"Das würde bedeuten, dass man die Fenster nicht mehr öffnen könnte, aber | |
das muss in Haft möglich sein." | |
Bennefeld-Kersten hingegen wird demnächst als Vorsitzende einer | |
Arbeitsgruppe im Rahmen des Nationalen Suizidpräventionsprogramms den | |
Justizministerien empfehlen, sich des Gitter-Problems anzunehmen. 90 | |
Prozent würden sich erhängen, ihnen müsste es durch bauliche Veränderungen | |
in der Untersuchungshaft so schwer wie möglich gemacht werden, sagt sie. | |
Dazu würde auch die Entfernung von stabilen Duschstangen und offenen | |
Heizungsrohren gehören. Außerdem entwickelt sie einen Flyer für Gefangene | |
zum Thema, für Bedienstete wurde kürzlich einer verteilt. Darin werden | |
weitere Risikogruppen genannt: Ältere Männer, Süchtige, Täter, die sich | |
nicht selbst gestellt haben. Außerdem wird dazu geraten, Häftlinge auf | |
Selbstmordgedanken anzusprechen. | |
Aber auch Bennefeld-Kersten, die sich seit ihrer Diplomarbeit mit dem Thema | |
befasst, fürchtet, dass es immer Menschen geben wird, die sich durch nichts | |
und niemand vom Suizid abhalten lassen. Innerhalb und außerhalb der | |
Gefängnismauern. | |
24 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
Eiken Bruhn | |
## TAGS | |
Kolumne Großraumdisco | |
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